Start Featureshome Kulturjahr 2020 arbeitet weiter: Möglichkeiten und Spielräume

Kulturjahr 2020 arbeitet weiter: Möglichkeiten und Spielräume

Foto: Nicola Milatovic

Unterbrechung des Kulturjahres, Verlängerung bis Mitte 2021, eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Trotz unsicherer Rahmenbedingungen bespielen Künstler fortwährend den öffentlichen Raum, sensibilisieren für Stille, Klänge und das soziale Miteinander.

Text: Natalie Resch

Am 17. März musste das Kulturjahr als Reaktion auf die Coronakrise offiziell eine Pause bekannt geben. Seitdem wird an der Wiederbelebung des Programms gearbeitet. Wird es etwa ein „konzertiertes Re-Opening“ im Rahmen eines Kulturmonats im September geben? Das kann sich Programmmanager Christian Mayer gut vorstellen, dann, „wenn hoffentlich wieder vieles möglich ist. Projekte mit langer Planungsphase, in Abhängigkeit vom Wetter und der Nutzung des öffentlichen Raums sind bereits jetzt ins nächste Jahr verschoben worden, wie der Kultur-Klima-Pavillon des Breath Earth Collective. „Die Verschiebemöglichkeit der Projekte auf 2021 sowie die Änderung der Förderrichtlinien sollten helfen, gerade im Bereich der freien Szene und der kleinen Kulturinitiativen eine kleine Erleichterung zu bieten“, so Kulturstadtrat Riegler.

Sommerprogramm

630 Veranstaltungstermine waren im 2. Quartal geplant. Viele davon hätten laut Mayer die DNA des Kulturjahres – „die Nähe zwischen Künstlern und Bevölkerung, deren intensiven Austausch“ – im öffentlichen Raum sichtbar gemacht. Das Kulturjahr-Büro stehe mit allen 94 Projekten in engem Austausch zu den Plänen und Adaptierungsmöglichkeiten. Dabei nimmt Mayer wahr, dass „sich die Themen des Kulturjahres vor dem Hintergrund der aktuellen weltweiten Ereignisse wie unter einem Brennglas verschärfen: Programminhalte wie etwa soziales Miteinander oder auch die Arbeit von morgen bekommen eine erschreckend neue Dimension. Und die digitalen Lebenswelten halten Einzug in unseren Arbeitsalltag und definieren unser Kontaktverhalten wie nie zuvor.“

studio ASYNCHROME scharrt mit seiner Utopie zur Schloßbergbahn in den Startlöchern
Foto: Thomas Raggam

Das Büro für Pessi_mismus, hinter dem Nikolaus Pessler und Petra Lex stehen, analysiert weiterhin das Smart-City-Areal rund um den Bahnhof, sucht neue Wege des In-Kontakt-Tretens mit den Bewohnern. Projekte hingegen, die ähnlich dem Pavillon einer langen Planungsphase bedürfen, wie Heidi Pretterhofers und Michael Riepers Club Hybrid oder der Viertelpalast von <rotor>, sollen bestenfalls (zum Teil) schon im Herbst erlebbar sein. Studio Asynchrome scharrt mit seiner Utopie zur Schlossbergbahn in den Startlöchern. Ebenso Elisabeth Harnik mit ihrer poetisch-sinnlichen Bienen-Klanginstallation im Augarten. Im Hintergrund wird intensiv an jenen Projekten gearbeitet, die ohne Publikum auskommen, wie jenes zur Erforschung der Artenvielfalt in den Vorgärten von Graz. Das Theaterkollektiv Rabtaldirndl und das Theater im Bahnhof verlagern ihre Proben und Arbeit so lange wie nötig in den virtuellen Raum. Die Neue Hofkapelle Graz hätte mit dem Theaterkollektiv Kamchatka im Mai das interaktive Musiktheater Musica Fugit zur Aufführung gebracht. Die Künstler arbeiten nun mit Experten am Plan B, einer technischen Lösung, Aufnahmen von Spanien nach Graz zu schicken und Präsenz ohne körperliche Präsenz möglich zu machen. Eine „Testphase“ mit enormem Lernpotenzial, wie sie es selbst bezeichnen. Das Kulturjahr-Sommerprogramm nimmt konkretere Formen an, verlautbart das Kulturjahr-Büro: „Von unserer Seite wird es Ende Mai, Anfang Juni eine erste Zusammenschau ­geben.“

kulturjahr2020.at

Tipps aus dem Kulturjahrprogramm

Grazer Geräuschkulissen

Weder einen fixen Veranstaltungsort noch eine bestimmte Zeit braucht dieses Projekt von Radio Helsinki namens Grazer Soundscapes. Seit 27. Jänner sammelt es akustische Eindrücke der Stadt und gibt sie wieder. Unkommentiert und nur durch eine Anmoderation verortet. Das Soundscape der Woche dokumentiert täglich eine Momentaufnahme eines bestimmten Ortes und zeichnet ein Bild dessen, was das Leben in der Stadt prägt. Geräusche drinnen, draußen, unter freiem Himmel, in gebauter und belebter Umwelt. Begleitend stellen Künstler die Aufnahmen ihres persönlichen Umfeldes in einer 14-tägig stattfindenden Sendung zur Verfügung. Ob vor, während oder nach den Covid-19-Ausgangsbeschränkungen: Es sei wichtig, für klangliche Lebenswelten verschiedener Stadtgebiete zu sensibilisieren. Für Geräusche, die uns wie gewohnt umgeben, aber auch ein klangliches Abbild der derzeitigen Situation zeichnen. Aktuell neun (Sound-)Künstler und Multiplikatoren aus sieben Stadtteilzentren geben interessierten Menschen Fertigkeiten und Werkzeuge in die Hand, mit Hilfe derer sie sich aktiv in die Dokumentation und Gestaltung der Soundscape in ihrem Stadtteil einbringen können. Die Aufnahme funktioniert einfach und schnell über eine App am Mobiltelefon und kann an folgende Mailadresse geschickt werden: soundscapes2020@helsinki.at. Als Teil der Erinnerungskultur und als Zeitdokument finden die Aufnahmen und Sendungen der „Corona-Edition“ Eingang in die Sammlung des GrazMuseum.

Radio Helsinki: Grazer Soundscapes

bis 31.12.2020, täglich 12–12.05 Uhr und 14-tägig, Di, 19–20 Uhr (gerade Kalender­wochen), Wiederholung: Sa, 14–15 Uhr (ungerade Kalenderwochen)

Radio Helsinki 92,6 MHz, Aktuelles und Archiv: helsinki.at/projekte/grazer-soundscapes

Künstlerin Margarethe Maierhofer-Lischka im Studio
Foto: Walther Moser

Vigils kehren auf den Schlossberg zurück

Mit einer zeitlichen Ausdehnung von La Strada anstelle einer Absage reagierte Festival-Intendant Werner Schrempf auf Covid-19. Seine Herangehensweise ist als logische Konsequenz von The Graz Vigil zu lesen, jenes Community-Projekt am Grazer Schlossberg, das von 1. Jänner bis 31. Dezember 732 Teilnehmer und ihre Begleiter involviert. Zu Sonnenaufgang und -untergang ist das Shelter, eine ortsspezifische Holzkonstruktion im Bereich der Bürgerbastei, beleuchtete Bühne für eine Person. Bis 16. März hielt sie eine Stunde lang Wache über die Stadt – beobachtete diese und konnte weithin gesehen werden. Die temporäre Architektur ist wesentlicher Teil der Choreografie der belgisch-australischen Künstlerin Joanne Leighton. Ebenso die eigene Präsenz im Raum wahrzunehmen und zu halten, so Leighton. Um die Kette der Vigils, wie die Teilnehmer genannt werden, aufgrund von Corona nicht zu unterbrechen, wurde die Idee der Home-Vigils geboren. 58 Personen haben ihre Wache zu Hause gehalten. „‚Schau auf dich, schau auf mich.‘ lautet gerade das Mantra in der Coronazeit. Diese Worte gehen mir immer wieder durch den Kopf. Ist es ein Imperativ, eine Bitte? Aktiv oder doch Passiv? Muss man zuerst auf sich selber schauen, um überhaupt erst auf andere schauen zu können?“, fragt sich Vigil Bernhard Fink. Eva Scheibelhofer-Schroll schreibt an ihr Graz: „Hier durch dieses überdimensionale Schaufenster eröffnet sich mir ein faszinierender Blick auf die Grazer Altstadt. Dieses atemberaubende Bild zieht mich in seinen Bann und erfüllt mich mit Dankbarkeit und Glück.“ Seit 14. April blicken die Vigils wieder vom Shelter auf die Stadt und die Stadt auf sie. Der begleitende Community Blog gibt Einblicke in die Gedanken und persönliche Fragen der (Home-)Vigils in dieser herausfordernden Zeit.

La Strada: The Graz Vigil

bis 31.12.2020, Grazer Schlossberg, vigil.lastrada.at

Bill Fontana

Die Türen des Kunsthaus Graz sind zwar noch bis Anfang Juli geschlossen, doch still ist es um den Friendly Alien dann doch nicht ganz geworden. Klangkünstler Bill Fontana sendet noch bis Ende Mai neun verschiedene Klänge vom Kunsthaus aus. 300 Meter weit sind die Sonic Projections zu hören. Ab dem 1. Juli geht die Klanginstallation in die ursprünglich geplante Version über. Dazu werden ortsspezifische Live-Installationen Sounds vom Uhrturm sowie vom Kunsthaus Graz senden. Sie treten in einen Dialog, der sich bis zum Bahnhof und zur Karl-Franzens-Universität erstreckt. Das Gehörte ist ein Reenactment der 1988 im Rahmen des steirischen herbst inszenierten Sonic Projections from Schloßberg. Damals wie heute sind es Klänge aus aller Welt, die der amerikanische Künstler in den Stadtraum schickt, wie den Gesang einer Nachtigall, den Klang eines Nebelhorns aus der San Francisco Bay oder den einer japanischen Tempelglocke. In seiner neuesten audiovisuellen Arbeit überlagern sich unter Zuhilfenahme neuer Technologien akustische und visuelle Muster in hypnotisierender Harmonie und lassen uns „voll präsent werden“, so der Künstler. Die von Katrin Bucher Trantow kuratierte Einzelausstellung zu Fontana, Primal Energies, deren Eröffnung Covid-19 zum Opfer gefallen ist, lässt ab 1. Juli im Kuppelraum des Kunsthauses erneuerbare Energien über multidimensionale Klangteppiche und Bildmontagen als physischen Eingriff wahrnehmen.

Ausstellung Bill Fontana. Primal Energies und Reenactment Sonic Projections

1.7.–4.10.2020, Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz

museum-joanneum.at/kunsthaus-graz

Bill FOntana, „Graphic Waves, BIX-Fassade, Kunsthaus Graz, 2020
Foto: UMJ/Grabner