Start Interviews 100 Jahre Salzburger Festspiele: Intendant Markus Hinterhäuser im Interview

100 Jahre Salzburger Festspiele: Intendant Markus Hinterhäuser im Interview

Markus Hinterhäuser Foto: Neumayr

Lange Zeit sah es so aus, als wäre es auch für die Salzburger Festspiele schier unmöglich, in diesem Sommer zur Aufführung zu gelangen. Eine Mischung aus Hoffnung, Traum und Intuition haben das Unmögliche letzten Endes möglich werden lassen. Das wichtigste Musikfestival Österreich wird auch im 100. Jahr seines Bestehens über die Bühne gehen. „Achtzig“ sprach mit Intendant Markus Hinterhäuser über ein Handeln mit Signalwirkung, das aktuelle Programm und eine mögliche Erlösung.

Text: Stefan Zavernik

Die Salzburger Festspiele haben sich mit der Entscheidung, ob sie dieses Jahr stattfinden werden oder nicht, länger Zeit gelassen als alle anderen und die Hoffnung niemals aufgegeben. Sie selbst nannten diese Entscheidungsfindung eine Mischung aus Hoffnung, Traum und Intuition. Mit welchen Gefühlen und Erwartungen blicken Sie nun dem in Kürze stattfindenden Festivalstart entgegen?

Wir alle freuen uns, dass das Festival im Moment möglich scheint. Dass wir dies auch veröffentlicht haben, ist in gewisser Weise eine Momentaufnahme, mit der die Hoffnung verbunden ist, dass die Fallzahlen zumindest stabil bleiben und dass sie sich nicht dramatisch zum Negativen verändern. Wir müssen hier nach wie vor die Daumen drücken, dass alles wie geplant funktionieren kann.

Der Kampf um die Durchführung des Festivals hatte eine starke Signalwirkung. Welche Botschaft will man in die Welt senden?

Unser Handeln hatte in der Tat eine Signalwirkung. Es ist wirklich sehr schön, dass wir durch unser Zuwarten und auch durch die damit einhergehende Kommunikation anderen Hoffnung gegeben haben. Grundsätzlich ging es auch nicht „nur“ um die Salzburger Festspiele per se, sondern auch um eine allgemeine Botschaft: Wir müssen ja zu einer Art von Leben und Gemeinsamkeit zurückfinden! Wenn wir die Festspiele machen – und das betrifft wohl jeden, der im Kulturbereich tätig ist –, laden wir die Menschen ein, sich wieder zusammenzufinden. Das ist mitunter auch eine unserer schönsten und kostbarsten Aufgaben. Das ist in den Wochen des Shutdowns völlig verloren gegangen. Es waren Wochen und Monate, in denen man auch sehr melancholisch werden konnte und in denen es auch wenig Perspektiven gab. Jetzt gibt es diese Perspektive wieder, in Form von Erlässen, in Form von Gesetzen und es gibt sie in Form einer gewissen Stabilität in der Entwicklung – zumindest bei uns und in der unmittelbaren Nachbarschaft. Um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen: Das Signal ist: „Wir müssen lernen.“ Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben, und wir müssen lernen, dieses Virus zu beherrschen. Damit verbunden ist auch ein Appell an die Eigenverantwortung, denn ohne diese wird es nicht gehen. Das betrifft nicht nur den kulturellen Bereich, sondern auch viele andere Bereiche des Lebens. Man muss nun einen Lernprozess einleiten, einen Prozess, der uns eine gewisse Möglichkeit gibt.

Markus Hinterhäuser
Foto: Michael Rausch Schott

Die Politik in Österreich hat erst auf großen Druck von Künstlern, Intendanten und Kulturmachern reagiert und die Kunst zum wichtigen Thema werden lassen. Denken Sie, dass die Kunst durch diese Situation nun nachhaltig an Stellenwert in der Politik gewonnen hat?

Im Moment hat sich einiges in Bewegung gesetzt, auch in der Erfassung, wie wesentlich Kultur ist; eben nicht nur als eine Art von Zeitvertreib, sondern auch Kultur als Wirtschaftsfaktor, was man auch nicht außer Acht lassen darf. Welche Nachhaltigkeit dies hat, wage ich nicht zu bezweifeln, aber ich möchte eines schon klarstellen: Wir leben hier in Österreich – und das ist nicht unähnlich in Deutschland – in einem Land, in dem die Kultur sehr großzügig unterstützt wird. Das ist wirklich vergleichslos. Es gibt kein Land in Europa, das solche nachhaltigen Unterstützungen jedweder kulturellen Aktivität vornimmt. Das betrifft nicht nur die großen Institutionen wie die Salzburger Festspiele oder das Bundestheater, sondern auch kleinere bis kleinste Veranstalter. Diese Grundversorgung, die vom Staat übernommen wird, ist mehr als bemerkenswert. Jetzt ist es durch die Pandemie zu einer Krisensituation gekommen. Da darf man auch nicht zu vieles zu schnell erwarten. Es handelt sich um ein sehr komplexes Thema, wobei sich immer die Frage stellt: Wie geht man damit um? Der Überbegriff der Kultur oder der Kulturschaffenden ist eine Sache, aber wenn man hier ins Detail geht, ist es ein unfassbar differenziertes Unternehmen von Theatern, von Opernhäusern, Kinos und Verlagen; die Aufzählung ist endlos. Man muss den Verantwortlichen, die niemals mit einer derartigen Situation gerechnet haben, eine gewisse Zeit geben. Ein kluges Bemühen diesbezüglich ist den politischen Entscheidungsträgern auch nicht abzusprechen, das sage ich aus tiefster Überzeugung. Doch schlussendlich ist alles von der pandemischen Entwicklung abhängig.

Foto: Neumayr

Das Anfang Juni präsentierte Programm wurde wesentlich umfangreicher und stärker, als viele es für möglich hielten. Dennoch werden die Festspiele in diesem Jahr deutlich reduzierter über die Bühne gehen. Nach welchen Kriterien haben Sie die Entscheidung getroffen, was im Programm bleibt und was verschoben wird?

Wir haben zunächst in den Wochen zwischen Mitte März und Mitte April verschiedene Szenarien entworfen und eines davon war, dass wir gar nicht stattfinden können. Meine Aufgabe war es dabei, zu prüfen, wie viel man in das nächste Jahr transferieren kann; das war eine Grundvoraussetzung für alle weiteren Planungen. Es hat sich gezeigt, dass wir so gut wie alles in das nächste Jahr verschieben können. Dann hat sich glücklicherweise die Situation etwas entspannt und von dem Zeitpunkt an haben wir sprichwörtlich ein bisschen mehr Licht am Ende des Tunnels gesehen. Daraufhin haben wir uns überlegt, was wir in diesem Jahr noch schaffen könnten. Denn durch die vollkommenen Blockierungen im Haus und auch von Gegenden, in die wir einige Produktionsprozesse ausgelagert haben, wurde unser gewohnter Mechanismus durchbrochen und dieser Verlust an Zeit ist einfach nicht mehr aufzuholen. Wir wollten den aktuellen Umständen entsprechend auch möglichst viele Vorstellungen ohne Pause machen. Bei den Opern haben wir uns somit auf Elektra konzentriert. Es handelt sich dabei um eine Oper, die per se keine Pause hat und die auch nicht viel Personal auf der Bühne benötigt. Es ist ein Werk, von dem wir auch aus produktionstechnischer Sicht mit gutem Gewissen sagen können, dass wir sie bis zur Premiere fertig bringen. Abgesehen davon, dass es sehr schön ist, sie zu spielen, ist es auch die Oper eines der Gründungsväter der Salzburger Festspiele! Alle anderen geplanten Opern haben wir in das nächste Jahr transferiert. Wir konnten sie unter diesen Umständen nicht mehr umsetzen.

Mit der Oper „Così fan tutte“ ist den Salzburger Festspielen dafür eine große Überraschung für das neue Programm gelungen. Welche Idee steckte dahinter und wie wird es gelingen, das in seiner Originallänge doch umfangreichere Werk unter den gegebenen Umständen auf die Bühne zu bringen?

Dies geschah aus der puren Freude und Lust heraus, eine Mozart-Oper zu machen. Ganz auf Mozart wollten wir nämlich doch nicht verzichten und es entstand die sehr spontane Idee, eine Così fan tutte zu machen. Das haben wir schließlich auch fast in einem Weltrekordtempo hinbekommen; mit herrlichen jungen Sängern, mit einer wunderbaren Dirigentin. Es wird zudem eine Fassung sein, die kürzer ist als die Così fan tutte, die wir alle kennen, die aber auf intelligente Weise gekürzt wird. Es ist uns damit gelungen, eine Oper entstehen zu lassen, ohne gleich die ganz große Opernmaschinerie anzuwerfen. Die Konzerte haben wir zum Großteil auch so gestaltet, dass sie keine Pause brauchen.

Die Aufführungen sollen wie erwähnt ohne Pausen durchgeführt werden. Könnte aus dieser Nothandlung eine Tugend für die Zukunft werden? Sind kompaktere Stücke womöglich eine Chance, um neues Publikum zu erreichen?

Daran denke ich gar nicht. Das sind aktuell alles Planungen, die mit einer ganz besonderen Situation zu tun haben und ich fände es auch nicht schön, wenn man ein neues Publikum dadurch generieren würde, indem man keine Pausen mehr macht. Das ist eine zu leichte Übung.

Werden auch die einzelnen Produktionen als Gesamtkunstwerk von einer notwendigen Reduktion betroffen sein?

Das ist schwer vorherzusagen. Die Elektra werden wir so aufführen, wie sie geplant war. Die Così fan tutte ist neu dazugekommen, aber schon unter ganz anderen Prämissen. Wir machen zudem eine Schauspieluraufführung von Peter Handke und hier ist auch keine Änderung vorgesehen, denn wir hatten eine normale Probenzeit und es wird auch genau das Bühnenbild verwendet, welches für dieses Stück erdacht wurde. Auch der Jedermann wird nach Plan aufgeführt. Das sind im Wesentlichen die großen szenischen Produktionen und die unterliegen allesamt keinen ganz großen Änderungen. Wenn sich aber aufgrund der Corona-Entwicklungen etwas anderes ergeben muss, dann wird man darauf aber auch sehr schnell reagieren können.

Die Salzburger Festspiele werden sich heuer anders präsentieren als die Jahre zuvor. Wird sich der Geist des Festivals für das Publikum dennoch gleich anfühlen?

Das weiß ich noch nicht. Ich habe es noch nicht erfahren. Aber ich glaube, dass es eine große Freude darüber gibt, dass die Festspiele stattfinden. Es gibt zumindest einen ungeheuer enthusiastischen und empathischen Zuspruch zu dem, was wir veröffentlicht haben. Bei den auftretenden Künstlerinnen und Künstlern besteht außerdem gar kein Zweifel, dass diese allerhöchste Klasse sind. Außerdem kommen auch die Reden über das Jahrhundert von Alexander Kluge, Georg Baselitz, Navid Kermani, Anita Lasker-Wallfisch und Elisabeth Orth dazu, die mir persönlich auch sehr am Herzen liegen. Diese werden sicher im besten Sinne und auch atmosphärisch etwas dazu beitragen können, zu zeigen, dass die Salzburger Festspiele doch auch einer Sinnhaftigkeit und einem geistigen Aufruf folgen und nicht nur stattfinden, um stattzufinden.

Eine der beiden Uraufführungen in dieser Ausgabe des Festivals „Everywoman“ stellt sich ausgehend von der mittelalterlichen „Jedermann“-Vorlage die Frage, ob es noch Erlösung geben kann. Ist das Zustandekommen der Festspiele in diesem Jahr womöglich auch eine Art der Erlösung geworden?

Im Moment fühlt es sich so wie eine Erlösung an und ich hoffe, dass es sich auch weiterhin so anfühlt und dass wir alle den 30. August dann als letzten Tag dieser Erlösung empfinden können.        

Foto: Franz Neumayr

Salzburger Festspiele: 1.–31. August 2020

Infos und Karten unter: www.salzburgerfestspiele.at