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Im Schauspielhaus Graz hebt sich wieder der Vorhang

Schauspielhaus Graz Intendantin Iris Laufenberg Foto: Lupi Spuma

Iris Laufenberg, Intendantin des Grazer Schauspielhauses, über theatrale Experimente im Lockdown und die Rückkehr zur Normalität.

Text: Wolfgang Pauker

Mitten in den Proben für „Macbeth“, einem Highlight der Spielzeit, musste das Schauspielhaus in den Lockdown. Wie erlebten Sie die letzten Wochen?

Freitag, der 13. März war ein Schock: Eine auch vom Publikumszuspruch her unglaublich erfolgreiche und von zahllosen Festival- und Gastspieleinladungen gekrönte Spielzeit kam abrupt zum Halten. Nicht nur Macbeth, auch drei weitere Produktionen wurden mitten in den Proben unterbrochen. Die Gäste und Regieteams reisten Hals über Kopf zurück nach Hause, das Theater war von einem Tag auf den anderen geschlossen. Die folgenden Wochen hatten eine ganz eigene Dynamik: Es gab viel Kommunikationsbedarf und folglich auch eine große Betriebsamkeit, viele Telefonate und Videokonferenzen – und dann immer wieder Phasen des Abwartens, Spekulierens, Nachdenkens, Lesens. Ganz wichtig war am Beginn, erst einmal den Betrieb zu sichern, dann zu lernen, mit der Situation zu leben, dann zu verstehen, wie man sich immer wieder schnell, flexibel, kreativ den neuen Gegebenheiten anpassen kann. Dieser Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen. Aber inzwischen wissen wir, unter welchen Bedingungen wir wieder spielen können.

Programm gab es trotz Spielverbot: Vom Streaming der Stücke „Böhm“ und „Bookpink“ bis zu Kurzvideos der Schauspielerinnen und Schauspieler. Kann digitales Theater das reale Bühnenerlebnis ersetzen?

Nein. Die digitalen Angebote, die viele Theater und so auch wir in den vergangenen Wochen gemacht haben, waren Ersatzspielstätten im Netz, wenn Sie so wollen. Die Arbeit daran hat durchaus Spaß gemacht und auf diese Weise konnten auch die kreativen Muskeln weiter trainiert werden, allerdings ist uns doch auch wieder sehr deutlich geworden, wie wichtig und wertvoll das leibhaftige, entschleunigte, nicht-digitale Zusammensein ist. Große Gebäude im Herzen der Stadt wie z. B. das Schauspielhaus sind ein Schatz, denn in ihnen können Menschen unterschiedlichster Herkunft zweck- und zwanglos zusammen sein und sich als Gesellschaft und Gemeinschaft erleben. Und glücklicherweise finden nicht nur wir das, sondern auch Zuschauerinnen und Zuschauer, die uns vermissen. Und wie wichtig es ist, an der weiteren Diversifizierung des Publikums zu arbeiten, damit auch eine Meinungs- und Stimmenvielfalt zu kultivieren und somit demokratische Grundtugenden einzuüben – das ist uns in dieser Ausnahmesituation in aller Dringlichkeit vor Augen geführt worden.

Gezeigt wurde in HAUS ZWEI auch mittels Virtual-Reality-Brillen „Judas 360°“. Wie ist die Resonanz auf diese neue Theaterform?

Das Publikum kommt. Sie nehmen furchtlos in HAUS ZWEI mit Abstand Platz und erleben dort ganz normales Theater. Und sie setzen sich neugierig eine VR-Brille im Foyer auf und erleben etwas technisch Spektakuläres, das trotzdem theatrale Qualitäten hat und sicher zu weiteren Experimenten in Zukunft einlädt.

Schauspielhaus Graz
Foto: Lupi Spuma

In HAUS EINS wurde die Pause für Umbauarbeiten genutzt. Was wurde verändert?

Wir werden bis zum Ende der Sommerferien die Erneuerung der gesamten Heizungs- und Lüftungsanlage abgeschlossen haben. Das wird zu einer entscheidenden Verbesserung des Raumklimas sowohl im Winter als auch im Sommer beitragen und ist eine seit Jahren geplante, aufwändige und teure Sanierungsmaßnahme, die glücklicherweise trotz der Ausnahmesituation umgesetzt werden kann.

Seit rund vier Wochen wird wieder geprobt, allerdings weitab des Normalbetriebs. Wie ist die Stimmung im Haus?

Sehr gut. Die ersten Proben der verschiedenen Produktionen und eine Betriebsversammlung in HAUS EINS waren wie ein freudiges Wiedersehen nach der Sommerpause – bloß mit mehr Abstand. Der ganze Betrieb ist dabei, sich mit den momentan herrschenden Sicherheitsmaßnahmen zu arrangieren, aber die szenischen Proben können stattfinden. Das ist eine große Erleichterung.

Foto: Lupi Spuma

Wie planen Sie angesichts einer ungewissen Zukunft die neue Spielzeit und welche Schwerpunkte werden gesetzt?

Wir haben die vergangenen Wochen damit verbracht, Pläne für so gut wie jedes Szenario zu machen, das uns erwartet. Dabei haben wir uns zunächst auf HAUS EINS konzentriert, wo wir kommende Saison acht Premieren haben werden: wie gewohnt gute Abendunterhaltung, die anspruchsvoll ist und zum Diskutieren anregt. Auch HAUS ZWEI und DREI und die dort stattfindende Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Dramatik beschäftigen uns in der Planung. Zwei Stücke proben wir auch schon dafür: Schleifpunkt von Maria Ursprung, dessen Uraufführung wir am 3. Oktober am Deutschen Theater Berlin im Rahmen der Langen Nacht der Autor_innen machen dürfen; und Niemand wartet auf dich von Lot Vekemans, ein Stück, in dem es um politische Verantwortung jedes und jeder Einzelnen geht und das wir sowohl in HAUS DREI als auch in Rathäusern der Steiermark zeigen werden – also jenen Orten, an denen Politik gemacht wird. Alle weiteren Pläne werden wir konkret und geballt Anfang Oktober im zweiten Teil des Spielzeitheftes veröffentlichen, denn dafür brauchen wir von der Politik noch mehr Informationen über die Publikumssituation in den kleineren Spielstätten.

Die neue Saison startet am 11. September mit der Premiere von „dritte republik (eine vermessung)“: Was macht das Stück, das bereits Premiere hätte haben sollen, gerade jetzt relevant?

Der Oberösterreicher Thomas Köck, einer der gefragtesten Autoren derzeit, beschreibt in diesem „dritten teil der kronlandsaga“, wie eine Landvermesserin den Auftrag erhält, nach einem Krieg die Grenzen des Landes neu zu vermessen. Sie steigt also in Wien in einen „Postzug“ und nach vielen Stunden Fahrt irgendwo aus. Die Grenze, die sie sucht, entzieht sich ihr jedoch und bleibt letztlich unauffindbar. In der Krise wurde deutlich, dass der Staat alle wichtigen Instrumente beherrscht, um seine Bevölkerung zu schützen und zu versorgen; dass dabei aber weder die europäische noch die globale Solidarität auf der Strecke bleiben sollten, müssen wir uns angesichts dieser auch positiven Erfahrung von nationaler Souveränität wieder neu vor Augen halten. Denn mittlerweile sind wir eben weltweit miteinander verflochten und Abschottung ist eine gefährliche Illusion. Köcks Stück ist ein starkes Statement gegen Nationalismus und ein glühendes Plädoyer für die Idee eines geeinten Europas.

Foto: Lupi Spuma

www.schauspielhaus-graz.com