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„Die Vertriebenen“ flüchten in Grazer Wohnung

Neben der Wiederaufnahme des erfolgreichen Artmann-Stückes, das im Frühling bereits für große Begeisterung sorgte, plant das TiK mit Wankos „Die Vertriebenen“ am 18. Oktober den neuen Saisonauftakt.

Text: Bettina Leitner

Was bereits im März dieses Jahres erfolgreich begonnen hat, soll nun im Herbst fortgesetzt werden: Ende September öffnet sich der Vorhang nach der langen Corona-Pause erstmals wieder für den Wiener Lyriker und Schriftsteller H. C. Artmann: Er war ein Wegbereiter der Mundartdichtung ebenso wie ein Verfasser von surrealistischen Werken. Fantasie und Erotik, Idyllen, die plötzlich in Horrorvisionen umschlagen, das Geschehen aus Groschenromanen; all das wurde in seinen Werken verarbeitet und gelangt durch die gelungene TiK-Collage Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte! auf die Bühne. Öffnet sich der Vorhang, findet sich das Publikum in einem urigen Altwiener Kaffeehaus wieder: Verschiedene Charaktere prallen aufeinander; ­Archetypen genauso wie historische Figuren und Menschen aus dem „normalen“ Leben. Dabei ist Macht genauso mit im Spiel wie Erotik und der Traum von der großen Karriere. Das Stück präsentiert sich durch die Verquickung mit weiteren Artmann-Texten und durch die unauffällige Integration bekannter Wienerlieder auf Texte aus Artmanns Med ana schwoazzn dintn als einzigartiges Gesamtkunstwerk.

Martin G. Wankos „Die Vertriebenen“

Bedingt durch die derzeitigen Umstände hat sich das Theater im Keller für ein eher ungewöhnliches Konzept entschieden und aus der Not eine Tugend gemacht: Wenn die Menschen nicht ins Theater kommen können, so bringt das TiK das Theater zu den Menschen: Die ursprünglich für den 19. April geplante Uraufführung von Martin G. Wankos Die Vertriebenen wird durch die Förderungen der Stadt Graz für das Kulturjahr 2020 am 18. Oktober erstmals über eine Wohnzimmerbühne in der Naglergasse 26 gehen. Vorerst sind in diesem Rahmen 15 Aufführungen geplant; wie es dann weitergehen soll, hängt sehr stark von der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie ab.

Was darf gedacht werden?

Herbert und Agnes waren mit ihrer Situation bislang immer zufrieden. Die zwei bodenständigen und bildungsbürgerlichen Menschen würden sich selbst auch als durchaus tolerant bezeichnen. Doch diese Situation ändert sich, als über ihrer Wohnung eine mehrköpfige Flüchtlingsfamilie einquartiert wird und nun einmal Lärm macht. Immer stärker wird die Geduld der beiden auf die Probe gestellt und immer stärker kommt in den beiden das Gefühl auf, durch die Situation selbst zu Vertriebenen zu werden. Zunehmend ändert sich die Perspektive und es drängen sich bei den beiden moralische Fragen auf: Wie sieht man politische Entscheidungen, wenn man plötzlich selbst davon betroffen ist? Was darf man denken? Was nicht? Welches Recht darf man sich als „abgesicherter Mitteleuropäer“ überhaupt herausnehmen? Hier prallen – prototypisch durch die beiden Familien – zwei konträre Welten aufeinander, die beide ihre Lebenswirklichkeit aufzeigen und auch ihre Existenzberechtigung haben. Ein Stück, das zum Nachdenken anregt und einen Anstoß geben kann, über seinen eigenen Tellerrand hinauszuschauen.  

Termine folgen in der nächsten Ausgabe von „Achtzig“.

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