Start Kunst & Kultur Selbstfindung zwischen iCloud, Neonlicht und Spielzeug

Selbstfindung zwischen iCloud, Neonlicht und Spielzeug

ninavale schickt Gott auf eine private Party

Das KULTUM setzt mit seiner aktuellen Ausstellung des Künstlerduos ninavale „Paradise is temporarily closed“ das Jahresthema Paradies auf sehr packende und hochaktuelle Weise fort.

Text: Lydia Bißmann

Noch bis 12. Dezember wäre in der Galerie des KULTUM die Schau Paradise is temporarily closed von ninavale zu sehen. Wäre nicht Lockdown Nr. 2 in Kraft getreten. Nun ist die Ausstellung zumindest online erlebbbar. „Schade natürlich. Denn die Kultur hat sich um einen vorbildlichen Umgang mit den Vorschriften ja besonders bemüht, insofern trifft es die Falschen. Dennoch geht es mir darum, auch einen kreativen Umgang mit der Situation zu pflegen: Unsere eben eröffnete Ausstellung PARADISE IS TEMPORARILY CLOSED DUE TO A PRIVATE PARTY (GOD) ist ein Beispiel, wie man sowohl das Nicht-Beachten der Vorschriften als auch die bis noch vor einem halben Jahr undenkbare Verfügungsgewalt des Staates kreativ kritisieren kann – und das mit unserem typischen Museumsblick aus ‚religiöser‘ Perspektive.

NINA Kovacheva, Adam & Eve, Five Biblical Stories, 2012

Wie schon im Frühjahr werde ich die Ausstellung in Form von digitalen Miniführungen – live und als Aufzeichnung – in die virtuelle Welt hinaustragen. Mit den Lesungen machen wir das genauso, die ersten beiden Ausgaben von ‚Der doppelte Gast‘ sind bereits online. Natürlich braucht man, trotz des Optimismus, derzeit einen wirklich langen Atem. Mein Appell gilt der (Kultur-)Politik, sich auch weiterhin so solidarisch zu zeigen wie bislang“, so Johannes Rauchenberger, Leiter des Kultum. ninavale, das sind NINA Kovacheva und Valentin Stefanoff aus Bulgarien, die hier Konsum-, Vergnügungs- und Optimierungszwang in Frage stellen und Themen der aktuellen Pandemie-Krise ­mit hineinmischen. Das Resultat ist eine wunderbar in sich stimmige Schau, die aus einem Guss zu sein scheint, obwohl zwischen den Arbeiten teilweise viele Jahre liegen.

NINA Kovacheva, Obscured by the Mind, 2012

Alois Neuhold wollte mit seiner Ausstellung Innengärten und Trotzdemblüten im Frühjahr das Paradies vor allem im Spirituellen, im Inneren finden. Bei ninavale geht es mehr um das Außen, um glänzende Oberflächen und Schein. Paradise is temporarily closed tritt knalliger und viel lauter auf. Sound- und Videoinstallationen, Bildprojektionen und Neonröhren werden verwendet. Aber es ist weniger das grelle Licht oder die Geräuschkulisse, die die Spannung im Betrachter erzeugen. Immer wieder wird man durch bekannte Zeichen, gewohnte Geräusche und vertraute Objekte in den eigenen Alltag zurückgeworfen. Ein Alltag, der sich aktuell ohnehin nur schwer zur Seite wischen lässt und in dem einiges durcheinandergeraten ist.

Eine private Party

Scheinbar lustig schimmernde Leuchtbuchstaben, platziert in geöffneten Versandpackungen, formen das Wort „Enjoyment” am Stiegenaufgang. Dabei denkt man nicht an Weihnachten oder Geburtstag, sondern an große Versandhändler, die ungeliebten, aber doch notwendigen Kriegsgewinnler der herrschenden Krise. Bei einer Adam-und-Eva-Darstellung im Südgang stellen zwei Kinder in NINA Kovachevas Adam & Eve, Five Biblical Stories das vertraute Sujet der beiden ersten biblischen Menschen dar. Die verbotene Frucht, die die kleine Eva in der Unterhose ihrem Partner reicht, ist aber kein Apfel, sondern ein Kunststoffeis. Die Verführung der Erkenntnis, des selbstständigen Denkens, hat den Stempel Made in China verpasst bekommen. Ist das Paradies nun etwas, in das wir reingerutscht sind und aus dem wir unbedingt wegwollen, oder etwas, nach dem wir uns sehnen sollen?

ninavale: iHeaven, 2020

Gott hat auch keine Antwort, denn der ist auf einer der verpönten privaten Partys, wie ein Poster vor dem Nebenraum verkündet. Die namensgebende Raum- und Akustik-Installation ist die jüngste Arbeit von ninavale. Ein scheinbar handgeschriebenes Plakat mit der Aufschrift „Paradise ist temporarily closed due to a private party“ ist mit „God“ unterschrieben. Ein Seil trennt die Betrachter vom Raum mit dem weißen Boden, auf den flatternde Vögel projiziert werden. Schaut man genauer hin, entdeckt man, dass die Tiere von oben zu sehen sind. Begleitet werden sie von einem 20-minütigen Trabgeräusch eines Pferdes, das für Geduldige die Geschichte eines Himmelsrittes erzählt. Ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Paradies“ ist mit einem Icon versehen, das einen Fußgänger beim Kreuztragen zeigt. Man ist sich nicht so sicher, ob die Richtung stimmt. Im Nebenraum wartet ein einsamer, aber vergoldeter iMac mit hohlem Innerem und einer Neoncloud. Das hochwertige und schöne Gerät, das sonst die Herzen höherschlagen lässt, erinnert an die Zeiten des Homeoffice, in das keiner mehr zurück möchte, um „unser täglich Brot“ zu verdienen. Brot verstreut auch ein scheinbar obdachloser Mann an Tauben in der Videoarbeit „We, the Poor of this World” von Valentin Stefanoff. Zu hören sind dazu Textpassagen aus Alice hinter den Spiegeln, Platons Staat, der Bergpredigt, Robinson ­Crusoe oder einer Wettervorhersage.

NINA Kovacheva und Valentin Stefanoff vor ihrem 3-D-Druck
Foto: Johannes Rauchenberger

Das Lebenskarussell

Das Spiel mit den Gegensätzen zieht sich durch die Ausstellung und findet sich auch in der Konzeption selbst wieder. Manchmal muss man sich länger Zeit nehmen, manchmal reicht ein schneller Blick, um die Gedankenangebote zu erfassen. In einem Raum etwa sind Teufel und ein Engel mit Neon­röhren in Blitz- und Flügelform angedeutet. Die Antagonisten stehen sich gegenüber, erinnern aber ebenso gemeinsam an quietschvergnügtes Leben – an nächtliche urbane Lichtlandschaften, die Zerstreuung und die so kostbar gewordene menschliche Gesellschaft verheißen und die jetzt zu einer bestimmten Stunde erbarmungslos ausgeknipst werden müssen. Im letzten Raum im Westtrakt dreht sich in einer Videoinstallation ein Kinderkarussell aus dem Wiener Prater. Darunter sind Bilder einer Herzfrequenzkurve gemischt, die sich zum Schluss hin immer mehr abflacht und in einem Strich samt monotonem Piepen endet. ninavale arbeiten mit modernen oder archaischen Symbolen und Erzählungen und wirbeln die Gefühle der Betrachter durcheinander. Es dauert eine Zeit, bis sich der Bodensatz der Emotion wieder legt.

Foto: KULTUM/Andrea Hopper

Safe Space

Die KULTUM-Galerie stellt trotzdem für die Dauer des Besuches eine Art Safe Space dar. Die Einladung, bei der Suche nach dem Paradies oder dem guten Leben teilzuhaben, wird hier freundlich und sensibel formuliert. Man fühlt sich gut aufgehoben und auch ein wenig erhaben. Selten zuvor war Kunst so contemporary, so aktuell, so „zeitgenössisch” wie hier. Man darf, muss und möchte hier unbedingt gleichberechtigt und mit allen Sinnen mitarbeiten. Dabei ist man in guter Gesellschaft – ninavale haben sich als 3-D-Druck selbst in die Ausstellung platziert und wachen hier als Miniaturpärchen über das Geschehen.

Sie haben sich als Künstlerpaar in Paris eine neue, gemeinsame Identität erschaffen. Beide sind aber auch als Einzelkünstler erfolgreich. Die Künstlerin und der Künstler wurden in großen Museen weltweit in Einzelausstellungen gezeigt. Ihr Werk ist in bedeutenden Sammlungen vertreten, zuletzt im Victoria & Albert Museum in London. Paradise is temporarily closed besteht aus Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten, die aus den vergangenen Jahren stammen und in Teilen bereits in Taiwan, Skopje und Sofia gezeigt wurden. Für die Grazer Ausgabe wurde die Schau weiterentwickelt und an das Jahres-Leitmotiv des KULTUM angepasst. Auf der neu gestalteten Homepage des KULTUM finden sich Bilder, Begleittexte und Videos von der Eröffnung. Trotzdem sollte man die Online-Kuratorenführung mit Johannes Rauchenberger am 14. November oder am letzten Ausstellungstag nicht versäumen.

NINA Kovacheva, Obscured by the Mind, 2012

ninavale: „Paradise is temporarily closed.“
KULTUM Galerie, Kulturzentrum bei den Minoriten, 8020 Graz

Ausstellungsdauer bis 12.12.2020

Online-Führungen mit Kurator Johannes Rauchenberger, live unter fb.com/kultumgraz am 14.11. & 12.12.2020, 11.15 Uhr. Weitere Mini-Führungen durch die Ausstellungen unter www.kultum.at