Start Featureshome Spektakulär provinziell – oder ein wunderbarer Größenwahn in aller Abgeschiedenheit

Spektakulär provinziell – oder ein wunderbarer Größenwahn in aller Abgeschiedenheit

Novocento Foto: Nicolas Galani

Seit 2001 gibt es das Festivalnetzwerk theaterland steiermark – die theaterfeste der regionen. Das Festival kooperiert mit einem dichten Netzwerk an Partnern und intensiviert die Zusammenarbeit mit Theater-Institutionen und anderen Kultursparten, bewegt im ganzen Bundesland Jahr für Jahr tausende Menschen. Künstlerinnen und Künstler aus vielen Nationen treffen auf Menschen in den steirischen Regionen.

Text: Peter Faßhuber

Die Einbindung und Zusammenarbeit mit regionalen Initiativen ist ein Erfolgsgarant der theaterfeste der regionen. Mehr als 1.600 Theaterprojekte wurden in 14 steirischen Regionen gezeigt und von rund 165.000 Menschen besucht. Dass davon mehr als ein Viertel Ur- und österreichische Erstaufführungen waren, beweist den Anspruch von theaterland steiermark, Plattform für ein Theater von heute und gleichzeitig einer der größten Kulturvermittler des Landes zu sein.

Kunst und Kultur sind natürlich längst nicht nur mehr urbane Anliegen. Im Gegenteil, zunehmend entstehen bedeutende Initiativen und Einrichtungen weit abseits des städtischen Raumes. Der Dialog dieser Initiativen mit ihrer Umgebung, die Einbindung der Menschen vor Ort in Projekte einerseits und der Umgang mit Werten, die von diesen Menschen als Teil der Tradition empfunden werden, andererseits sind von enormer Bedeutung. Die Fähigkeit, im ständigen Diskurs zu stehen und im besonderen Sinne traditionsbewusst sein zu können, indem man Räume schafft, in denen Neues generiert werden kann, schafft notwendige Reibungsflächen, die für das Entstehen künstlerischer Prozesse und Produkte notwendig sind. Sie müssen sich an unserem heutigen Dasein entzünden und so eine aktuelle Formensprache finden.

Von Berlin nach Oberzeiring – eine hochgradige künstlerische Verdichtung

Dass die freie Szene – mit wenigen Ausnahmen – in den Metropolen und Großstädten gewachsen und heimisch ist, ist eine Tatsache. Wir haben es uns von Beginn an zum Auftrag gemacht, mit dieser Szene zu kooperieren und zeitgenössisches Theater im ländlichen Raum zu verorten. Und es hat in vielerlei Hinsicht funktioniert. Künstlerinnen und Künstler aus allen Kontinenten waren in den steirischen Regionen zu Gast. Ein wunderbares Beispiel für dieses Gesamtprojekt ist das mittlerweile weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte WERKSTATT-Festival in Oberzeiring, das biennal stattfindet und bei dem in einer knappen Woche bis zu 10 Uraufführungen gezeigt werden. Einmalig in der internationalen Festivallandschaft. Bewerbungen für dieses Festival treffen aus der ganzen Welt ein.

Was ist der Reiz für eine Gruppe, sagen wir in der Millionenmetropole Berlin, das Auto vollzupacken, zehn Stunden in die steirische Provinz zu gondeln und hier ein Theaterprojekt zu realisieren? Vordergründig würde man meinen, der Kooperationsbeitrag, den das Festival für Uraufführungen leistet. Aber das gibt’s bei anderen Festivals auch. Kommt man mit den Gruppen ins Gespräch, dann erfährt man, dass es die einmalige Möglichkeit ist, sich hier vor einem neugierigen, hungrigen Publikum auszuprobieren und Teil eines spektakuläreren Ausnahmezustandes zu sein, wie es ein Pressebericht treffend beschrieb.

Ein ganzer Ort ist Bühne – besser kann man dieses Festival nicht beschreiben. Auf Schritt und Tritt treffen Einheimische auf Künstlerinnen und Künstler und sind nicht selten auch deren Gastgeber. Neben den Spielräumen des Theater Oberzeiring stehen Werkhallen und Geschäftslokale, Keller, Straßen und Plätze und sogar ein Bergwerk als Spielorte zur Verfügung. Auch kaum ein Leerstand im Ort, der nicht bespielt worden ist.

WERKSTATT ist mehr als die Summe seiner Teile – eine hochgradige, künstlerische Verdichtung. Ein Ort im theatralen Ausnahmezustand. (Zitat Daniel Hadler in der Kleinen Zeitung) WERKSTATT hat der Pandemie getrotzt und auch 2020 stattgefunden. Ende September ist das Festival zu Ende gegangen.

Noch nicht zu Ende ist die Spielsaison von theaterland steiermark. Das Virus, dessen Namen niemand mehr hören mag, hat es notwendig gemacht, das Festival der kleinen Kostbarkeiten ARTigKLASSISCH vom Juni in den Spätherbst zu verlegen. Es findet vom 18. bis 21. November in Straden statt. Klassiker der Weltliteratur stehen bei diesem Festival im Zentrum. Jahr für Jahr suchen wir außergewöhnliche Inszenierungen, die abseits klassischer Theaterräume funktionieren. Wir bespielen Wiesen und Felder, Gassen und Plätze, Weinkeller und Buschenschänken. Und das Tollste daran: Das Publikum hat die Fantasie, eine Hütte im Wald zu sehen, wo gar keine ist. Vielleicht auch ein kleiner Verdienst der theaterfeste der regionen. Ein über die Grenzen des Sichtbaren schauen.

2020 gibt es drei Klassiker der Moderne zu sehen: NOVECENTO – eine poetische Liebeserklärung an das Meer, den Jazz und die goldenen Zwanziger. Martin Walsers EIN FLIEHENDES PFERD und eine Revue der Sonderklasse: BAUER TO THE PEOPLE! Helmut Bohatsch & The LSZ haben das Werk des Grazer Literatur-Matadors Wolfgang Bauer musikalisch erobert und sich sein Manifest HAPPY ART & ATTITUDE zu Herzen genommen. ­Feinsinnig-philosophische Geschichten über subjektive Weltaneignungen, die nur eine Grenze kennen – die der eigenen Fantasie. Details auf www.theaterland.at

Peter Faßhuber lebt in Oberzeiring, ist Regisseur, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter von theaterland steiermark und des Theater Oberzeiring.