Der Kunstverein Roter Keil hat mit seinem jüngsten Satellitenprojekt, der Keil Galerie, bewiesen, dass es in der Kunst vor allem um eines geht: ums Tun.
Text: Lydia Bißmann
Graz hat neuen, bestens ausgestatteten Galerie-Zuwachs bekommen. In Gries, wo sich die Gentrifizierung zwar an den ständig steigenden Mieten bemerkbar macht, aber kaum zu sehen ist. Hier wird Schnaps gebraut, Elektronik en gros verkauft, Stahl geschweißt, Kaffee geröstet und Obst international gehandelt. Keine überteuerten Hipster-Kaffeeläden, keine Fairtrade-Klamotten, kaum Firlefanz. Wer hier arbeitet, macht sich oft auch schmutzig dabei.
Kunst ist Arbeit
Der Kunstverein Roter Keil produziert Kunst. Und damit diese Kunst auch erzeugt und schlussendlich gezeigt werden kann, schafft der Kunstverein auch Räume, in denen das möglich ist. Wie in der neuen Keil Galerie, die in der Idlhofgasse, Ecke Josef-Huber-Gasse seit September dieses Jahres wie ein Phönix aus der Asche geschlüpft ist. Wo vorher über Jahre hinweg ein ungeliebtes Billig-Spirituosen Werbesujet ausgebleicht, dafür umso prominenter den Blick von der charmanten Architektur des 60er-Jahre-Baus abgelenkt hat, hängen jetzt jede Menge „echte Glühbirnen”. Hinter den großen Fensterscheiben wartet ein perfekter „White Cube“.
Der Boden ist grau gestrichen, die Wände weiß und von der Decke hängen wundervolle Traversen, die das Gezeigte in das allerbeste Licht rücken. Auf 240 Quadratmetern sollen alle zwei Monate Ausstellungen stattfinden. Verkauft wird hier aber nicht. Wer ein Werk erstehen möchte, muss das direkt beim Künstler oder der Künstlerin tun. Möglich machen das Förderungen der Stadt Graz, vom Land Steiermark und ein gutes Einvernehmen mit dem Besitzer der Immobilie, der sie dem Roten Keil überlässt, ohne Miete zu verlangen. Nur die Betriebskosten müssen bezahlt werden. „Er hat sofort gewusst, wer wir sind – die Künstler von nebenan –, und war gleich sehr aufgeschlossen“, erzählt Eero Teuschl, Vereinsobmann und zuständig für Kuration und Kommunikation.
Die Gasse mitgestalten
Im Juli wurde der Vertrag unterschrieben, am 11. September zur Eröffnung eingeladen. Dazwischen bekamen die Räume in Rekordzeit ein Facelift, das sich sehen lassen kann. 9.000 Kilo Sperrmüll wurden mühevoll in kleinen Fahrten zum Sturzplatz geschafft, unzählige Schichten an Bodenbelag mit einem „Stripper” entfernt, verputzt, ausgemalt und elektrische Leitungen verlegt. Die Beleuchtung am Eingang ist selbst schon fast Kunstinstallation und wird nur zu ganz besonderen Anlässen aktiviert, so empfindlich sind die fast schon antiken Leuchtmittel. Sie stammen aus der Verlassenschaft der Generalmusikdirektion, die im Vorjahr einem Supermarkt Platz gemacht hat. Gekostet hat der ganze Umbau 1.500 Euro (das meiste davon für Müllgebühren) und um die 1.200 ehrenamtliche Arbeitsstunden. Geholfen hat dabei auch die „Zu verschenken“-Rubrik auf willhaben.at und die freundschaftliche Kooperation mit Betrieben aus der Nachbarschaft, die Stapler und andere Gerätschaften zur Verfügung stellten. Das Echo bei der der Eröffnung im Spätsommer war mit 180 Gästen groß. Zuvor statteten auch noch „alle Einzelunternehmer der Gasse“ ihren Pflichtbesuch ab. Vom Antiquitätenhändler gegenüber, über den türkischen Lebensmittelverkäufer bis zum Änderungsschneider wollten alle wissen, was hier nun passiert.
Mehrwert aus Kooperation
Entstanden ist der Kunstverein rund um eine Handvoll Absolventen der HTL Ortweinschule, Fachrichtung Bildhauerei, die 2012 einen Platz zum Arbeiten in einer ehemaligen Autowerkstatt anmieteten. Neben einer Bildhauerwerkstatt gibt es eine Halle, in der Malerei, Druckgrafik, Textilverarbeitung sowie auch Fotografie stattfinden kann. Vor der Pandemie gab es auch jeden Freitag Aktmalen in der Gemeinschaftsküche. Für ein recht geringes Entgelt können aktive Mitglieder alles benutzen. Pragmatisch und zweckorientiert, zielgerichtet und enorm gut vernetzt – so wirkt der Kunstverein nach außen. Eine schlicht und übersichtlich gestaltete Homepage ist gut im Netz zu finden. Der Rote Keil hat viele Hände und Füße und weiß genau, was er will und wie er das anderen erzählt. Wenn sich viele zusammentun, kann vieles entstehen. Ein Keil schafft Platz, wo keiner ist, und Rot ist einfach eine schöne Farbe.
Festivals, Feste und Finanzen
Eero Teuschl studiert neben seiner Arbeit als Bildhauer und Organisator noch Kulturmanagement und Gender Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, Paul Lässer, der Vereinskassier arbeitet neben dem Stellen von Förderansuchen noch als Upcycling-Trainer in einem Verein für arbeitssuchende Jugendliche – Bildhauer haben viele Skills. „Ehrenamt muss man sich eben leisten können“, sind sich beide einig. Vor der eigenen Galerie wurde an unterschiedlichen Orten ausgestellt. 2014 konnten die Räumlichkeiten der Design Halle sehr günstig nach dem Designmonat weiter bespielt werden, 2017 einigte man sich mit den Besitzern der BAN, die die ehemaligen Verkaufsräumlichkeiten des Beschäftigungsprojektes vor dem Abbruch zur Verfügung stellten. Neben der regelmäßigen Teilnahme an Festivals wie dem steirischen herbst, dem Rostfest in Eisenerz, Styrian Art oder auch an internationalen Art-Events wie dem „Devet“ in Belgrad organisierte der Verein auch „Solipartys“ oder den alljährlichen Weihnachtsmarkt. Hier werden an der Bar oder mit kleinen Erzeugnissen die Finanzen für den Verein aufgebessert. Strom- und Internetrechnungen müssen bezahlt werden, der Ofen braucht Holz, die Mitglieder Kaffee – nicht alles an Material kann vom Sperrmüll kommen. Manchmal ging es hier beim Weihnachtsmarkt lauter zu, obwohl die Polizei auch mal nur so in das Atelier geschaut hat. Man habe so lange nichts mehr gehört und wolle nachschauen, ob eh noch alles in Ordnung wäre, so die Beamten.
Angekommen
Die Zwischennutzungen für Ausstellungen der letzten Jahre waren zwar charmant, aber immer auch sehr anstrengend und zeitaufwendig. Die nagelneue Keil Galerie soll der Ausstellungsraum für die Arbeiten der Vereinsmitglieder und ihrer Freunde sein und auch Präsentationsmöglichkeiten für „Artists in Residence“ bieten, denen jede zweite Schau gewidmet sein wird. Bis zum Lockdown war die Schau „Nine Ninety Nine“ von Farad Ibrahimovic zu sehen. Ausnahmsweise durften die Bilder des von Brut-Art und Street-Art beeinflussten Künstlers aus Sarajevo auch gekauft werden, da dies Teil der Performance war. Mit der Ausstellung „YARN“ wird nach dem Lockdown wieder Kunst eines Vereinsmitglied gezeigt. Die Textilkünstlerin Belinda Winkler beschäftigt sich hier mit textilen Lebensläufen, Prozesstransparenz und selbstbestimmter Materialentwicklung im Modekontext. Mit einer selbst konstruierten und eigens gebauten Maschine ist es möglich, direkt aus dem Garn dreidimensionale, textile Formen zu erzeugen. In einem selbstbestimmten Prozess werden so neue Materialien, Produktionswege und Kleiderformen generiert.
Keil Galerie, Idlhofgasse 62, 8020 Graz
Öffnungszeiten (nach dem Lockdown): Mi–Sa, 12–18 Uhr