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Ein Miniwald als moderne Stadt-Agora

Der Klima-Kultur-Pavillon lässt mit zwanzig lebenden Bäumen einen kleinen Wald mitten in der Stadt entstehen. Das wohl spektakulärste Kulturjahr-2020-Projekt soll Abkühlung bringen und zur Diskussion einladen.

Text: Lydia Bißmann

Bis Mitte August wird vor dem Grazer Schauspielhaus ein kleiner Stadtwald stehen. Zwanzig heimische Laub- und Nadelbäume, verschiedene Farne, Sträucher und Moose werden dann, umgeben von einer Holzkonstruktion, eine Waldatmosphäre erzeugen. Der Pavillon, als temporäre grüne Lunge mitten in der Innenstadt, soll für Abkühlung sorgen und ein Mini-Ausflugsziel für die Bewohner der Stadt sein. Er hat keine festen Wände – durchlässige Stoffplanen sorgen für Sichtschutz und Schatten und lassen den Kühlungseffekt auch rund um die Installation zu. Die 100 Quadratmeter Miniwald sollen aber auch noch eine andere Aufgabe erfüllen. Eine eigens darin angelegte Lichtung ist mit einer Sound- und Lichtanlage ausgestattet und bietet so Raum für Diskussionen, Vorträge und Projektpräsentationen zu den ­Themen Architektur, Ernährung, Mobilität und Klima-Kultur. Aber auch Lesungen, Tanz oder Konzerte sind möglich. Vereine, Unternehmen oder auch Einzelpersonen können sich hier einbuchen. Die Waldoase soll nicht nur am lebenden Beispiel vorzeigen, wie wichtig lebendiges Grün in der modernen Stadt ist. Sie soll auch selbst eine Art Gedanken- und Zukunftswerkstatt für alle sein, die dabei mitmachen möchten.

Aufbauarbeiten am Grazer Freiheitsplatz

Österreichischer Wald in Mailand

Entworfen und konzipiert wurde der Pavillon vom Breathe Earth Collective, einem interdisziplinären Zusammenschluss von fünf Landschaftsplanern, Architekten und einem Künstler, die seit 2015 mit ähnlichen Installationen und „Cool Spots” national und international auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Die erste große Zusammenarbeit von Karlheinz Boiger, Lisa Maria Enzenhofer, Markus Jeschaunig, Andreas Goritschnig und Bernhard König war der Österreich-Pavillon Breathe.Austria auf der Expo in Mailand 2015. Unter dem Motto „Feeding the Planet, Energy for Life“ wurde hier auf 560 Quadratmetern ein österreichischer Wald exakt nachgebaut, zu dem neben typischen Waldpflanzen auch bis zu zwölf Meter hohe Bäume gehörten. Der Expo-Wald mit seiner Gesamtblattoberfläche von 43.200 Quadratmetern erzeugte stündlich 62,5 kg frischen Sauerstoff. Das entspricht einem Frischluftbedarf für etwa 1.800 Menschen. Mit technischer Unterstützung von Sprühnebelanlagen, aber ohne Klimageräte wurde das gefühlte Klima eines dichten Waldes mit vergleichsweise natürlichen Maßnahmen nachgestellt. Die Mailand-­Installation gilt auch als Vorbild für das Grazer Projekt, das nun mit etwas Verspätung realisiert wurde. Es geht dabei – wie bei allen Arbeiten des ­Breath Earth Collectives – um die Frage, wie der Mensch die Natur für sich nutzen kann, ohne sie dabei zu zerstören. „Die Natur geht weiter, auch nach der Menschheit“, sagt Markus Jeschaunig, Künstler, Architekt und eines der fünf Mitglieder des Kollektivs mit Basis in Wien und Graz. „Die Biosphäre braucht uns nicht, aber wir brauchen sie.“

Der österreichische Wald bei der Expo in Mailand 2015
Foto: Daniele Madia

Der Gegenwart begegnen

„Wie wir leben wollen“ lautet das Motto des Kulturjahres Graz 2020, das wegen der weltweiten Pandemie um fast ein Jahr verlängert wurde. Eine Fragestellung, die von der Gegenwart ganz plötzlich eingeholt wurde und so noch mehr Tiefe und auch Brisanz bekommen hat. Der Lockdown mit seinen geschlossenen Kultur- und Amüsement-Einrichtungen zeigte auch auf, wie wichtig der öffentliche Raum für alle Bürger ist. Ist es drinnen virustechnisch zu gefährlich, müssen sich Menschen unter freiem Himmel treffen. Das macht den verfügbaren Platz in öffentlichen Gärten, Parks oder bei beliebten Ausflugszielen knapp. Niemand trifft sich eben gerne in mit Hitze aufgeladenen Betonwüsten. Die Sorgen und Probleme, die Corona mit sich brachte, ließen auch das brennende Thema Klimakrise für einige Zeit im Hintergrund verschwinden.

Breathe Earth Collective

Die Schlacht der Zukunft

Die Veränderung des Klimas ist vor allem auch im urbanen Raum zu spüren. Gerade im Sommer führen ­steigende Durchschnittstemperaturen immer häufiger zur Überhitzung von Stadträumen. Im Extremfall kann es nachts im urbanen Raum durch Versiegelung und aufgeheizte Fassaden um bis zu zehn Grad wärmer sein als am Land. Hier sind Stadtplaner, Klimaexperten und nachhaltige Strategien gefragt. Lösungen gibt es. Laut Forschern der niederländischen Universität Wageningen kann ein einziger Baum eine Kühlleistung von 20 bis 30 Kilowatt bringen. Das entspricht einer Leistung von zehn stromfressenden Klimaanlagen für einen Raum. „Die Schlacht der Zukunft wird im Luftraum geschlagen“, ist sich Markus Jeschaunig sicher. Es gehe in fast allen Fragen um den CO2-Ausstoß, um unseren Fußabdruck und darum, wie wir ein klimapositives Leben führen können. Der Klima-Kultur-Pavillon soll nun von 29. April bis Ende August als eine Art Stadtoase zum „Reingehen und Anfassen“ einen Anstoß für ein dringend notwendiges Umdenken liefern. Er soll auf einfühlsame, ansprechende, aber trotzdem sehr direkte Weise zeigen, wie Stadträume mit Hilfe von Pflanzen und Bäumen nicht nur aufgehübscht, sondern auch ressourcenschonend gekühlt und von Schadstoffen in der Luft befreit werden können.       

Foto: Michael Stabentheiner

Klima-Kultur-Pavillon, Breathe Earth Collective

28.4.–15.8.21, Eröffnung: 28.4., 16 Uhr

Freiheitsplatz, 8010 Graz

Ein Projekt des Kulturjahres 2020

Laufende Projekte unter: kulturjahr2020.at