Ende Februar erschien mit dem Kriminalroman „Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe“ Gerhard Roths letzter Teil seiner Venedig-Trilogie. Wir sprachen mit dem Schriftsteller über sein neues Buch, den Lockdown-bedingten Stillstand des Kulturbetriebes, Venedig und die Liebe.
Text: Stefan Zavernik
Seit Jänner dieses Jahres sind Sie Mitglied des österreichischen Kunstsenats. Der Senat ist nicht nur für die Beratung im Rahmen des Großen Österreichischen Staatspreises zuständig, sondern auch dafür, generelle Anliegen der Kunst in der Öffentlichkeit zu vertreten. Was bedeutet die Mitgliedschaft für Sie? Und wo gilt es für die Kunst heute einzutreten?
Kunst ist das labilste und zugleich aufbauendste Element des menschlichen Geistes. Sie mutet unzerstörbar an, kann jedoch augenblicklich verschwinden. Wenn man sie vernachlässigt, lässt sie sich woanders nieder. Vergisst man sie, ist es, wie wenn es keine Blumen, keine Bienen oder Vögel mehr gibt. Freischaffende Künstler arbeiten oft ein Leben lang ohne wirkliche Anerkennung und mit zu wenig Geld. Um meine Mitgliedschaft im Kunstsenat wurde ich schon vor vier Jahren angefragt, ich habe jedoch an der Venedig-Trilogie geschrieben. Für die Kunst habe ich keine speziellen Pläne, außer für ihr Überleben da zu sein.
Der Kulturbetrieb liegt seit weit mehr als 100 Tagen weitgehend geschlossen im Lockdown. Wie stehen Sie zur Kulturpolitik der aktuellen Bundesregierung? Hätte man Dinge besser machen können, besser machen müssen, um den Kunst- und Kulturbetrieb, Künstlerinnen und Künstler durch die Krise zu bringen?
Im Greith-Haus sehe ich das derzeitige Desaster live. Die Direktorin Isabella Holzmann und ihr Team kämpfen fast seit einem Jahr mit den durch den Virus hervorgerufenen Problemen. Sie machen im Augenblick das Beste daraus. Was die Bundesregierung betrifft: Besser machen kann man fast alles, aber die Situation entspricht dem Tappen im Dunkeln. Im Dunkeln kann man keine Landkarten zeichnen, man muss es blind versuchen, aber es soll auf den Millimeter genau stimmen …was würden Sie vorschlagen?
Den Kulturbetrieb nicht schlechter zu stellen als andere Bereiche, die weit weniger gesellschaftlichen Mehrwert bieten.
Das Gedränge um die Beendigung des Lockdowns ist groß. Und die Bundesregierung will guten Willen zeigen.
Wie wird sich der monatelange Stillstand des Kulturbetriebes auf unsere Gesellschaft auswirken? Haben Sie das Gefühl, dass die Kunst den Menschen fehlt?
Für die Bevölkerung gilt die alte Übung: Zersplittert eine Fensterscheibe und es gibt kein Glas, muss man das entstandene Loch mit einem Pappendeckel verschließen. Man hat zwar keine Aussicht mehr, aber es bleibt wenigstens wärmer und regnet nicht herein. Das Fernsehen wird wieder aufgewertet, die Streamingkanäle boomen, es gibt DVDs, CDs und vor allem Bücher. Was würden wir ohne Bücher tun, wenn auch noch der Strom ausfällt?
Genauso unmöglich wie der Besuch eines Theaters oder eines Konzertes ist momentan auch das Reisen. Mit Ihrem neuesten Buch gelingt Leserinnen und Lesern eine Reise auf literarischer Ebene – nach Venedig, jener Stadt, der Sie eine ganze Trilogie gewidmet haben. Wie sehr treffen Sie die aktuellen Reiseeinschränkungen persönlich? Und wann werden Sie Venedig selbst wiedersehen?
Dass es für mich ein Wiedersehen mit Venedig gibt, muss ich leider wegen meiner Erkrankung ausschließen. Ich wollte auch nach St. Petersburg und Marokko fahren, aber das ist mir jetzt nicht mehr möglich. Für die Reisenden, die das Fremde selbst erleben und entschlüsseln wollen, tut es mir leid, für die Touristen weniger.
Venedig ist für Sie ein magischer Ort – worin liegt für Sie ihr Zauber?
Wenn man sich verliebt, kann man sich das Warum oft selbst nicht erklären und schon gar nicht jemand anderem. Es gibt für einen Außenstehenden immer auch Gründe, etwas zu kritisieren. Venedig finde ich anregend. Die Stadt verwandelt mich, ich fühle mich freier und mache in einem fort Notizen.
Sie meinten in einem Interview einmal, „ob man will oder nicht, viele Figuren sind vom Autor unbeabsichtigte Doppelgänger seiner selbst oder haben zumindest etwas von ihm.“ In Ihrem neu erschienenen Roman schreiben Sie erstmals aus der Perspektive einer Frau: Wie viel Gerhard Roth steckt in der Kunsthistorikerin Lilli Kuck?
Ich bin verheiratet, habe Töchter und Enkelinnen und interessiere mich für Frauen wie auch für Männer. Zuerst musste ich mich wohl selbst in anderen Figuren loswerden, bis ich den Eindruck gewann, ich könnte mich an das Innenleben einer trauernden Witwe wagen.
„Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe“ – ist der Titel Ihres neuen Buches als persönliche Erkenntnis zu verstehen? Und was erfährt man über die Liebe im Roman?
Über die Liebe ist so viel geschrieben worden, dass man mit den Papierseiten ganze Gebirgsformationen aufschlichten könnte. Der böseste Engel ist wohl der ungewollte Abschied von zwei sich Liebenden, vor allem der Tod, in diesem Fall eines wohl originellen Ehemannes.
Als eine Art Ergänzung zu Ihren drei Venedig-Romanen ist im Brandstätter Verlag ein umfangreicher Bildband erschienen. „Venedig – Ein Spiegelbild der Menschheit“. Mehr als 15.000 Fotos entstanden im Laufe der Jahre – wie schwierig war es für Sie, eine Auswahl für den Fotoband zu treffen? Und nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt?
Die Schwierigkeiten bei der Auswahl waren groß. Ich wollte auf keinen Fall einen der üblichen Venedig-Bände zusammenstellen. Daher war die Mitarbeit von Daniela Bartens, Martin Behr und nicht zuletzt Sandra Riewe eine große Hilfe. Ich wollte im Leser und Betrachter das Gefühl erzeugen, dass er mich auf meinen Wegen begleitet, während ich ihm erzähle, was mir dabei durch den Kopf geht.
Welche Viertel von Venedig würden Sie unseren Leserinnen und Lesern empfehlen, um die Stadt womöglich neu zu entdecken?
Venedig kann niemand vollständig erfassen. Jedes Mal, wenn ich durch die Stadt gegangen bin, bin ich auf Neues gestoßen. Ich glaube, das hört nie auf, vor allem, wenn man auch die zahlreichen Inseln in der Bucht aufsucht.
Auf welche neuen Projekte dürfen sich Ihre Leserinnen und Leser freuen? Sind neue Bücher geplant?
Das nächste Projekt ist der Weltuntergang. Das Buch wird Die Imker heißen und im Manuskript haben die Gugginger Künstler bereits überlebt.