Der steirische Maler Gerald Brettschuh wurde Anfang April 80 Jahre alt. Ein Querschnitt seines Gesamtwerkes wird ab Mitte Mai in der Grazer Hofgalerie im Rahmen einer großen Ausstellung zu sehen sein. Wir sprachen mit dem Künstler im Vorfeld der Ausstellung über seine Kunst, zentrale Motive und die Kraft des Impulses.
Text: Stefan Zavernik
Dein Kindheitstraum war es, Bauer zu werden. Geworden bist du Künstler. Hat die Kunst dich gefunden oder umgekehrt?
Ich gehe mit dem Begriff Kunst sehr vorsichtig um. Eigentlich scheue ich mich davor zu sagen „Ich bin Künstler, ich mache Kunst“. Alles, was ich tue, mache ich aus reiner Freude, es gibt mir Kraft. Ich bin Zeichner geworden, Maler, Aufschreiber, Bildhauer und letzten Endes auch Bauer. So wie die Bauern hier in der Südsteiermark die Landschaft nutzen, um ihre Produkte zu ernten, nutze ich die Landschaft als Maler, um Bilder daraus zu machen.
Den Entschluss, Künstler zu werden, hast du erst mit 35 Jahren gefasst. Was hat dich so lange davon abgehalten?
Ich hatte nie das Ziel, Künstler zu werden. Im Gegenteil. Erst im Laufe der Jahre hat sich die Kunst an mich herangemacht. Als ich in Wien an der Akademie für Angewandte Kunst in einer Grafikklasse Assistent und Lehrbeauftragter war, hat mich die Attitüde des Künstler-Auftretens mancher Kollegen genervt. Im Kunsthistorischen Museum begegnete ich den Bildern von Pieter Bruegel, die eine große Faszination auf mich ausübten. Die bäuerliche Welt meiner Kindheit lag in ihnen, in anderen Museen öffneten sich mit den Meisterwerken von Picasso, Matisse u. a. neue Welten.
Damals habe ich bereits viel gezeichnet, vorwiegend in der Nacht, oft bis sieben Uhr früh; bin dann unter die kalte Dusche und danach an die Akademie. Die bildende Kunst wurde wichtiger und wichtiger für mich. Ein Kollege meiner ersten Frau am Wiener Rainergymnasium, Peter Pichl, Kunsterzieher, Kybernetiker und Maler, Kollege von Otto Mühl, den er mit dem österreichischen Tiefenpsychologen Josef Dvorak bekannt machte, Freund des Kunsttheoretikers Heimo Kuchling, des Architekten Johann Georg Gsteu, des Bildhauers Josef Pillhofer u. a., brachte mich in den frühen 70-ern auf den Weg. Bei einem Besuch sah er herumliegende Zeichnungen und sagte: „Lass dieses Talent nicht unbeackert. Du musst etwas daraus machen!“
Wie hat alles begonnen?
Nachdem meine erste Frau 1975 mit unserem zweiten Kind schwanger wurde, sind wir für eine zweijährige Karenzzeit von Wien nach Arnfels in mein Elternhaus gesiedelt. In dieser Zeit erkrankte auch meine Mutter ernstlich und so konnten wir bis zu ihrem Tod im Dezember 1976 bei ihr sein. Es war, als wäre ein Damm gebrochen: Ich musste zeichnen und malen. Etwas anderes zu tun, war mir gar nicht mehr möglich. Begonnen habe ich damit, in der Landschaft zu zeichnen. In dieser Landschaft in und um Arnfels, in die ich hineingeboren wurde, vertraut mit ihr, seit ich mich erinnern kann. In Wien hatte ich sie beinahe vergessen. Ich habe nicht nur ihre Schönheit auf neue Weise gesehen, es kamen auch Erinnerungen hoch. Ich sah in den Landschaften das alte Bauernleben, die Knechte und Dirnen, das alte bäuerliche Leben im Grenzgebiet des Remschnigg/Kosjak, der Koralm, der Windischen Bühel. Das musste ich festhalten: unterwegs bei Wanderungen die damals noch vorhandenen alten Höfe, im Atelier ganze Serien wie den Zyklus vom Knecht Finsterl, aus meiner Erinnerung.
Wie entstehen deine Bilder?
Heute vor allem im Atelier, aus dem Kopf heraus. Ich habe in meinem Leben so viel und vieles gezeichnet, dass alles in mir drinnen ist. Ob Menschen, Tiere, Bäume, Objekte oder Landschaften. Ich kenne sie auswendig, auch ihre Bewegungen. Wenn ich heute ab und zu noch mit Modellen male, geschieht das aus reinem Vergnügen und bringt auch den Modellen Freude. Die Zeichnungen bewahren ihre Schönheit. Time passes quickly like flowing water.
Die Figuren in deinen Bildern haben oft abstrakte Formen – was steckt dahinter?
Wenn du 60 Jahre zeichnest, kommt Abstraktion von selbst.
Arbeitest du mit Skizzen und Vorzeichnungen?
Kaum. Meistens male ich vom Kopf auf die Leinwand.
Welche Rolle spielt Perfektion für deine Arbeit?
Es ist die Frage, wie man die definiert. Ganz sicher bin ich kein Tüftler, kein handwerklicher Maler, der mit Grundierungen und Rezepturen experimentiert. Als ehemaliger Boxer arbeite ich mit Körpereinsatz und Bewegung. Dabei spielt Präzision, Treffsicherheit allerdings eine Rolle.
Neben den Landschaften ist immer schon die Frau das zentrale Motiv in deiner Malerei gewesen und bis heute geblieben. Was macht die Frauen für deine Kunst so essenziell?
Das Gleiche, was sie für alle meine großen Vorgänger seit jeher essenziell gemacht hat. Die weibliche Schönheit war immer ein Thema der Kunst und wird es auch immer bleiben.
Wie schwierig war es für dich, am Beginn deiner Zeit als freischaffender Künstler finanziell durchzukommen?
Ich hatte mit dem Verkauf meiner Bilder nie Schwierigkeiten. Auch nicht zu Beginn meiner sogenannten Karriere. Meine erste Ausstellung hatte ich in der von mir mit Heli Klinger gegründeten Galerie Klinger 1976 in Arnfels. Fast alle Bilder, es waren vor allem Landschaften, wurden gekauft. Von einem sehr gemischten Publikum, Kunstkennern wie Laien aus der Umgebung, die nie vorher ein Bild gekauft hatten. Sie wussten nicht warum, aber etwas zwang sie dazu.
Dennoch hat dich der Kunstmarkt nie interessiert. Du hast dich auch nie an einen Galeristen längerfristig gebunden. Warum eigentlich nicht?
Ich wollte mich nicht in Abhängigkeiten begeben. Daher habe ich sehr selten in Galerien ausgestellt. Meist dann, wenn mir der anfragende Galerist sympathisch war und uns seine Galerie gefiel. Das Problem ist auch, dass wirklich gute Galerien, die sich für ihre Künstler und deren Weiterkommen einsetzen, heute rar sind. In meinen Augen hat der Kunsthandel schon lange sein Gesicht verloren. Unser Haus ist selber eine schöne Galerie.
Wie wichtig sind für dich Ausstellungen?
Sehr. So wie ich auch meine Kataloge und Bücher hauptsächlich für mich mache, male ich auch meine Bilder für mich. Aber die Möglichkeit, viele meiner Bilder in schönen, besonderen Räumen gleichzeitig zu sehen, bereitet mir große Genugtuung.
Du sagtest, wer sich für deine Kunst interessiert, muss sich auch mit deiner Situation und deinem Leben in der Südsteiermark auseinandersetzen. Was bedeutet das für deine Bilder im Rahmen von Ausstellungen außerhalb der Steiermark? „Funktionieren“ sie außerhalb Österreichs nicht?
Wenn ich mir Museen von Segantini im Engadin, von Munch in Oslo, dem blauen Reiter in Oberbayern ansehe, steigert das auch mein Verständnis für sie. Die Zeit hat gezeigt, dass sich ihre Arbeiten auch außerhalb ihrer Lebensräume durchsetzen können. Werner Berg, um ein Beispiel zu nennen, war zu Lebzeiten und lange danach ein durchaus lokaler Künstler, nur von wenigen Eingeweihten außerhalb Kärntens geschätzt. Er selbst hat sich nicht um Ausstellungen bemüht, hat sein Leben zurückgezogen auf seinem Hof gelebt. Heute wird er international gezeigt. Die Zeit wird zeigen, ob das auch für meine Bilder gilt.
Wie fühlt es sich an, seine Ausstellung zum 80. Geburtstag vorzubereiten?
Es fühlt sich nicht anders an als alle anderen Ausstellungen bisher. Zu den Jahren und meinem Alter fehlt mir das Verhältnis. Wenn du mich jetzt fragen würdest „Wie alt willst du noch werden?“ würde ich sagen: „Im Grunde ist es mir egal, wie alt ich noch werde. Hauptsache, ich werde es in Gesundheit.“
Spielt die eigene Endlichkeit mit 80 Jahren für deine Kunst eine neue Rolle?
Ich glaube, es hat sich über die Jahrzehnte ganz wenig geändert. Es macht mir heute noch dieselbe Freude, Bilder zu malen, wie als Junger. Etwas Abstraktion drängt sich vor, vielleicht.
Machst du dir Gedanken darüber, was mit deiner Kunst passiert, wenn du selbst nicht mehr bist?
Mein Ziel: Im HausAmFels in Arnfels mein Lebenswerk (Malerei, Grafik und Skulptur) unterzubringen. Dafür bräuchte es Unterstützung von Gemeinde, Land und Bund. Die Voraussetzungen unsererseits sind vorhanden.
Wie ordnest du dein Gesamtwerk in der steirischen Kunstgeschichte ein?
Antworten auf diese Frage haben Otto Breicha, Richard Rubinig, Kristian Sotriffer, Walter Koschatzky u. a. teilweise bereits gegeben. Wie es sich in der Zukunft positioniert, wird sich zeigen. Ich bin nicht mein eigener Prophet.
Ist es dir gelungen, in der Kunst etwas Neues umzusetzen?
Da antworte ich mit S. Beckett: „Die Sonne schien, weil sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.“ So ist es auch mit der Kunst. Ein Grund mehr, mich selber Höhlenmaler zu nennen. Zurückgekehrt zu meinem Ursprung, begann ich zu zeichnen, zu malen, zu schreiben. Tag für Tag, Jahr um Jahr, zeichnend und malend habe ich getan, was Freude, Götterfunken, bringt.