„Wie wir leben wollen“, stand als Frage am Anfang des Kulturjahres, der sich bis Herbst 2021 noch viele Projekte widmen. „Was bleibt“ von 21 Monaten – mit Covid-Unterbrechungen – für die Zukunft der Stadt, ist nun die entscheidende Frage.
Text: Natalie Resch
Im September verabschiedet sich das Kulturjahr nun ganz offiziell von Graz und seinen Bürgerinnen und Bürgern – nicht ohne im Rahmen eines Abschluss-Akts alle Projekte noch einmal zu feiern und hochleben zu lassen. Nicht ohne noch einmal eine Vielzahl an Veranstaltungen in der ganzen Stadt zu präsentieren. Nicht ohne ein letztes Mal nach Erkenntnissen zu suchen und die zentralen Fragen für die Zukunft zu stellen. Für die künstlerische Gestaltung des Abends ist das Theater im Bahnhof verantwortlich. Anstelle von inhaltsleerem Theater darf also eine Tiefenbohrung mit Humor und Zungenfertigkeit erwartet werden. Inklusive kritischer wie wertschätzender Worte über die 94 Projekte und ihre Initiatoren; mit allen hat das Theaterensemble vorab Gespräche geführt. Auf der Bühne finden dann Wort- und Objektspenden gebührend Platz. „Es wird einen Vortrag geben, Diskussion und Fragen geben. Es wird um unsere Zukunft gehen. Es wird um Graz gehen. Wie wir leben wollen“ – verrät das TiB. Pia Hierzegger, Martina Zinner, und Lorenz Kabas führen als Moderatoren durch den Abend der Erkenntnisse der letzten 20 Kulturjahrmonate. Im Zentrum des Abends stehen die Projekte und ihre Initiatoren. Wer die Gala gemütlich von zu Hause aus erleben will, kann das per Live-Stream tun. Und sich selbst die Frage des Abends stellen: Welche Aufgaben müssen wir tatsächlich für die Zukunft formulieren? Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Künstlern, Wissenschaftern, Verwaltung und Politik aussehen? Was kann jeder Einzelne von uns dazu beitragen, um das zukünftige urbane Zusammenleben in Graz zu gestalten? Apropos Fragen stellen: Das kann die renommierte Experimentalphysikerin Ille C. Gebeshuber, Expertin im Bereich der Bionik und Nanotechnologie, besonders gut und sie kann vor allem kluge Antworten finden. Auf der Suche nach positiven Technologien, also jenen, die für Mensch und Biosphäre neutral bzw. positiv sind, lässt sie sich gern von Dschungel-Strategien inspirieren. Sieben Jahre hat sie in Malaysia gelebt und gearbeitet, wurde im Bereich Forschung zur Österreicherin des Jahres gewählt und ist Autorin des Bestsellers Eine kurze Geschichte der Zukunft. Sie selbst ist überzeugt, dass Glaube und Wissen, reale und nicht-reale Welt in Zukunft miteinander verschmelzen. Alles wird fließender und dynamischer. Es ist zu hoffen, dass sie damit nicht nur die Eischmelze meint.
Zukunftsperspektiven auf Partizipation und Interaktion
Zahlreiche Kulturjahrprojekte sind bis Ende September zum ersten Mal oder erneut zu erleben; einzelne kulturelle Ausläufer sogar bis in den Dezember. „Wie wollen wir in Zukunft (zusammen-)leben?“ fragt auch nach den Möglichkeiten der Interaktion. Diese lotet unter anderem das GameCamp von Ludovico aus. Schon längst hat die Spielindustrie die Filmindustrie in ihrer Bedeutung überholt. Dass sie aber nicht nur als reiner Unterhaltungsfaktor genutzt werden kann, sondern auch gesellschaftskritische Themen zur Schau stellt und spielerisch hinterfragt, zeigen nicht nur Kulturjahrprojekte wie Murpod. Das GameCamp widmet sich Spieltheorien und -konzepten als Kommunikations- und Konfliktbewältigungstools ebenso wie Möglichkeiten der Partizipation.
Sich real treffen, reden, einem Konzert lauschen, künstlerischen Interventionen folgen – all das ist beim Triester Hafenfest möglich. Am 18. September verwandeln sich die Triestersiedlung und das Areal der Tändelwiese zum autofreien Hafen mit mediterranem Flair, bei dem Anrainer ihre Sehnsüchte und Wünsche artikulieren sollen.
Das Zeichenprojekt des Kinderbüros Mobilität im urbanen Raum in 25 Jahren gibt Kindern zwischen 8 und 14 Jahren die Möglichkeit, ihre Visionen der Verkehrsmittel der Zukunft im Augarten als 30 m langes Wandgemälde festzuhalten. Das entsteht wiederum gemeinsam mit dem Künstler Gernot Passath. Ebenso zeichnend widmen sich Kinder – auf Initiative von Nicole Pruckermayr an Friedenstischen und in vorbereitenden Workshops mit Künstlern, Architekten und Sozialarbeitern – der zukünftigen Gestaltung des Bertha-von-Suttner-Platzes vor dem Liebenauer Stadion.
Auf der Suche nach dem „Wir“ bietet der < rotor > noch bis 17. Oktober Inseln des Verweilens an öffentlichen Plätzen im Annenviertel, gestaltet von Künstlerinnen wie Aleksandra Czerniawska (Orpheum) oder Eliana Otta (Lendplatz). Das Schöne: Dort darf man viel, muss aber nichts. Also wahre, selten gewordene Inseln. Zum (vielleicht) Träumen kommen Besucher bei den „Hausbesuchen“ von Ensemblemitgliedern des Schauspielhauses, des Next Libertys und der Oper Graz. Sie lassen sich an Plätzen im Bezirk Lend nieder und haben Video-Walks mit im Gepäck.
Die Machverhältnisse zwischen Geschlechtern und Kapital im digitalen Zeitalter nimmt Dejan Marković mit Digital Reconfigura unter die Lupe. Von der Geschichte der Arbeiterbewegung ausgehend fragt er: Welches Wissen muss heute in und bei der Arbeit noch produziert werden und wie lassen sich Hightech-Produktion, idyllische Naturlandschaft und globaler Kontext gemeinsam denken? Wie viel Mensch steckt hinter Algorithmen, künstlicher Intelligenz und maschinell gesteuerten Prozessen?
Und was tun wir, wenn das Gleichgewicht zwischen Systemen und Organismen aus der Balance geraten ist? Mit dem natürlichen Regelmotor namens Homeostasis und seiner metaphorischen Umlegung auf gesellschaftliche Schieflagen beschäftigt sich das Daily Rhythms Collective in der Ausstellung Entanglements 2021.
Musik kennt keine Nationalität
Eine wesentliche Frage des Zusammenlebens lautet: Wer hat Zugang wozu: Bildung, Kultur, finanziellen wie mentalen Ressourcen? Die verbindende Kraft der Musik macht sich der Grazer Universitätschor gemeinsam mit dem mexikanischen Violinisten und Dirigenten José Luis Chan Sabido und seinem Maya-Jugendorchester Fritz Kreisler zu nütze. Sie veranstalten Konzerte an Schulen und im öffentlichen Raum, zugleich können Kinder und Jugendliche – mit einem Fokus auf ihren Migrationshintergrund – erste Erfahrungen mit Musikinstrumenten und -unterricht sammeln. Das sozialmusikalische Projekt stammt aus Yucatan und vermittelt vor Ort klassische Musik, Werte und Gemeinschaftsgefühl. Sich in andere Religionen einfühlen und den Respekt gegenüber Religionen fördern, das möchte das Diözesanmuseum mit einer Sonderausstellung und begleitenden Exkursionen zu in Graz beheimaten Religionsgemeinschaften.
Queere Geschichte(n) des Historikers Hans-Peter Weingand
Stadtspaziergang „Schwule Spuren im und um den Stadtpark“: 4. September 2021, 19 Uhr, Treffpunkt: Platz der Menschenrechte (Stadtparkbrunnen)
weingand.online
Grazer Universitätschor, Violinist José Luis Chan Sabido und der Maya-Jugendorchester Fritz Kreisler
Workshops und Auftritte im öffentlichen Raum: 3. – 12.
September 2021
Konzert: 10. 9. 2021, Uhrzeit tba, Dom im Berg
universitaetsorchester.uni-graz.at
Homeostasis – Between Borders and Flows von Daily Rhythms Collective (Daniela Brasil & Nayarí Castillo)
Ausstellung: bis 9. September 2021, täglich 9 bis 16 Uhr,
Afro-Asiatisches Institut, Leechgasse 24, 8010 Graz
dailyrhythmscollective.com
Digital Reconfiguration: Kartographie der Unsichtbaren von Dejan Marković
Ausstellung: 11. bis 30. September 2021, Mo–Sa, 10 bis 18 Uhr, CITYPARK Graz (Eingang Parkhaus A1),
Eröffnung: 10. September, 17 Uhr
markovicdejan.com/digital-reconfiguration
NORMAL – Direkter Urbanismus x 4 von transparadiso
Ausstellung: bis 15. September, Forum Stadtpark
Installation Castaway on the Mur (von orizzontale):
bis 31. Dezember, Seichtwasserzone Grünanger
transparadiso.com/de/projects/normal-direkter-urbanismus-x-4
Die Schule des Wir von < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst
Ausstellung: bis 18. September 2021, Mo bis Fr: 10 bis 18 Uhr, Sa: 12 bis 16 Uhr, < rotor >; Volksgartenstraße 6a, 8020 Graz
rotor.mur.at/frameset_impressum-ger.html
Triester Hafenfest
18. September 2021, Auf der Tändelwiese
schaumbad.mur.at
Übersicht über alle laufenden Programme: www.kulturjahr2020.at/termine