In der Steiermark wird soeben an einer neuen Kulturstrategie gearbeitet, die im Herbst 2022 im Landtag beschlossen werden soll. Erster Teil dieses mehrstufigen Prozesses ist das Erheben der Lage vor Ort.
Text: Lydia Bißmann
Der steirische Kulturlandesrat Christopher Drexler hat es sich zum Ziel gesetzt, kulturpolitische Leitlinien für die Steiermark zu erarbeiten. Ein wichtiger Schritt dafür sind mehrere Regionalkonferenzen im März 2022. Im Herbst folgenden Jahres soll der Landtag dann über diese neu formulierten Ausrichtungen beraten und sie als Leitlinien und einheitliche Strategie beschließen. Bis zum Jahr 2030 soll sie die Grundlage für kulturpolitische Entscheidungen bilden und kann auch evaluiert und angepasst werden. Bis es so weit ist, sind vor allem das Kulturressort des Landes Steiermark, also die Kulturabteilung und das politische Büro, und zwei externe Berater – die langjährige Präsidentin des Forum Stadtpark Heidrun Primas und La-Strada-Intendant Werner Schrempf – gefragt, die gemeinsam in den letzten Monaten in mehreren Treffen einen Plan für den Prozess entwickelt haben. Mit diesem Konzept und sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl im Gepäck wurden aktuell die steirischen Regionen von Primas und Schrempf bereist und Material für die Arbeitstische bei den Konferenzen im März gesammelt. Acht Regionen, sieben ländliche Regionen plus Graz, wurden besucht und Themen, Begriffe und Ansatzpunkte gesammelt.
Mut zur Lücke
Gemeinsam mit den Expertisen des Kulturressorts und sehr viel eigener Erfahrung wurden Listen erstellt, wer zu ersten Gesprächsrunden eingeladen werden und wer Gäste vorschlagen sollte. Die sieben Regionen Liezen, Obersteiermark West, Obersteiermark Ost, Oststeiermark, steirischer Zentralraum, Südweststeiermark und Südoststeiermark wurden aus den fünfzehn LEADER-Regionen zusammengeführt. LEADER fördert seit dreißig Jahren mit EU-Mitteln innovative Projekte im ländlichen Raum. Ziel ist es dabei, die Regionen zu stärken. Zu acht bis zehn Akteurinnen und Akteuren aus unterschiedlichen Kulturbereichen wurden sowohl die LEADER-Manager als auch Mitarbeiter aus dem Kulturressort eingeladen. Für die gesamte Kulturstrategie ist als kulturpolitische Ausgangslage neu und wichtig, dass sogenannte Hochkultur, Volkskultur und freie Szene auf einer Ebene zusammenkommen und zu einem gemeinsamen Kulturfeld samt neuer Begriffsbestimmungen verbunden werden sollen.
Es werden sowohl die großen Häuser wie Oper oder Schauspielhaus, an denen auch die Stadt Graz beteiligt ist, das Universalmuseum Joanneum, sämtliche Volkskulturverbände und all die großen Festivals sowie kleine Institutionen, Vereine, Initiativen und Einzelkünstler angesprochen werden. Ein schöner Zufall will es, dass genau die Zahl Acht in der Numerologie für Selbstbewusstsein, Gerechtigkeit, Fairness, inneren Halt und nicht zuletzt Selbstreflexion steht. Und um genau diese Dinge geht es bei den ersten Gesprächen und eigentlich im ganzen Prozess. Hier wird nach gemeinsamen Begriffen, der großen steirischen Erzählung gesucht und auch auf das geachtet, auf das man vielleicht zuerst vergessen hatte. „Es ist ein gemeinsames, heiteres Scheitern, man muss das Verlieren riskieren, um zu gewinnen“, lacht Heidrun Primas. Genau in den Lücken liegt viel Potenzial. Relativ schnell wurde klar, dass ein Treffen nicht ausreicht und für einen lebendigen Prozess weitere Schleifen mit möglichst vielen Akteuren eingebaut werden müssen.
Die Stärke der Vielfalt
In den ersten zehn Treffen wurde mit mehr als 150 Akteurinnen und Akteuren gesprochen. „Es gibt sehr viel Engagement und konkrete Vorschläge, aber auch Erschöpfung und Frustration und daraus resultierende Veränderungsnotwendigkeiten“, berichten die beiden von ihren Touren durch die Steiermark. Und das Erkennen von regionalen Besonderheiten in den einzelnen Gebieten. Im Murtal ist etwa Community-Arbeit sehr wichtig – in der Südoststeiermark gibt es einen starken Fokus auf die bildende Kunst, in der Südweststeiermark gibt es konkrete Vorschläge, wie etwa eine zentrale Servicestelle bei Projektideen professionell unterstützen könnte, und, und, und … Primas und Schrempf möchten genau hier ansetzen und berichten deswegen in jeder Region auch über die Ergebnisse zu Zugangsweisen der vorher besuchten. So wird die Begriffswolke immer dichter, die Herzen immer offener. „Wir wollen die Türen aufmachen und nicht zuknallen lassen. Es geht darum hinzuschauen, wie gelungene Projekte funktionieren können, was man strukturell dafür brauchen könnte und wo es zahnt“, betont Schrempf.
Über den Tellerrand blicken Konkrete Ergebnisse wollen die beiden noch keine verraten, es ist auch nicht ihre Aufgabe, diese allein zu erarbeiten. Sie sind mehr Moderatoren, die zuhören, sammeln, dokumentieren und aussortieren. Oder in einem Treffen von anderen Regionen berichten, was dort auf der Seele brennt. Wichtig ist auch, wie Werner Schrempf betont, „dass wir nicht alleine sind“. Der Beschluss, eine neue Strategie in der Kulturpolitik zu finden, kommt vom Kulturressort des Landes, aber es gibt noch andere Bereiche, die relevante Anknüpfungspunkte und gemeinsame Aktionsfelder bilden sollten. Die Ressorts für Bildung und Verkehr sind hier ebenso gefragt wie Einrichtungen des Bundes z. B. die Universitäten oder die Stadt Graz mit ihrem eigenen Kulturressort. Hochaktuelle Themen wie Digitalisierung, Mobilität, die Förderung der Jugend, das Verlangen nach mehr fair bezahlten Beschäftigten im Kulturbereich und weniger Ehrenamt können die Kulturschaffenden, so viele es in der Steiermark auch gibt und so erfolgreich ihre individuellen Konzepte auch sind, alleine nicht stemmen. Eine gute Strategie soll lange wirken und vorhandene Ressourcen so geschickt wie möglich befeuern. Die allerwichtigste Ressource in dem bunten und schillernden „Kulturteppich“ der Steiermark sind aber die Fäden aus denen er besteht. Für Schrempf, Primas und Kulturlandesrat Christopher Drexler sind es definitiv die einzelnen Menschen, die für die Kultur brennen und wunderbare Arbeit machen.