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Wie ein durchlässiger Körper

Claire Levacher Foto: Masha Mosconi

Claire Levancher prägt als neue Professorin für Orchesterausbildung das Programm des Hauptabonnements. Im Interview mit „Achtzig“ erzählt die Französin, warum neue Verbindungen und Referenzen dabei eine tragende Rolle spielen, wie sie in Graz gelandet ist und warum sie als Dirigentin „unsichtbar“ sein muss.

Text: Natalie Resch

In Ihrer Funktion sind Sie nicht nur für das KUG-Orchester und die jungen Musiker zuständig, sondern auch ­maßgeblich für das Orchesterkonzertprogramm. Was darf sich das Publikum erwarten?

Wörter wie „zusammen“ oder „gemeinsam“ sind keine leeren Begriffe, wenn wir vom Orchester sprechen. Hier lebt das Paradigma des Kollektivs, des Zusammenspiels, hier geht es um Verbindungen. Ich verstehe das Erlebnis Orchester nicht nur als eine Hörerfahrung, sondern auch als eine zutiefst menschliche. Es ist meine Aufgabe und Herausforderung, zugleich als Dirigentin eine Verbindung herzustellen zwischen den Musikern, den Werken, den Ländern und Kulturen, aus denen beide kommen, und der Technik. Verbindungen bestimmen auch das reiche und eklektische Repertoire, das wir den Abonnenten bieten. Wir wollten Synergien zwischen großen Meisterwerken und (noch) Unbekanntem in stimmigen Zusammenstellungen schaffen. Eine Verbindung zwischen Standardwerken, bekannten Referenzen mit selten gespielten Werken bis zu heutigen Kreationen.

Am 31. März dirigieren Sie im Stefaniensaal einen Abend, welcher der Liebe gewidmet ist: Tschaikowsky trifft auf zwei Uraufführungen.

Ja, für Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia werden junge Musiker und Gesangstudierende auf der Bühne stehen. Das freut mich besonders, weil sie selbst die Romeos und Julias von heute verkörpern. Das Überraschungsmoment, dessen Ausgang wir jetzt noch nicht kennen, folgt nach der Pause. Es sind zwei Mal siebenminütige Uraufführungen von Kompositionsstudierenden. Es ist uns ein Anliegen, Neue Musik durch junge Studierende zum Ausdruck bringen zu lassen. Risiko mit Sicherheit zu nehmen, bedeutet für mich diese Verbindung zwischen großen Werken mit dem Neuen. Das verspricht auch der 11. Mai unter dem Titel Titanen. Ein Abend, an dem Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 D-Dur auf die Märchen von Kager trifft.

Was erwartet die Studierenden unter Ihren Fittichen?

Das Niveau der internationalen Studierenden ist sehr hoch. Die Basis der Ausbildung unserer Studierenden spiegelt sich in der Programmierung wider, anhand derer sie verschiedene Spielarten, eine große Bandbreite an Ausdrucksweisen, Anpassungsfähigkeit und Kreativität entwickeln können. In ihrer drei- bis fünfjährigen Ausbildung haben die Musiker Raum zum Experimentieren, Reflektieren und sich mit den anderen Musikern und den Dirigenten in ein hochprofessionelles Setting zu begeben. Eine besondere Rolle kommt dabei den Professoren zu. Um den Studenten ein breites Panorama an Spielarten und Ausdrucksweisen, klassische Referenzen wie auch das Barock zugänglich zu machen, habe ich einen Beirat organisiert. Gemeinsam mit den fünf Professoren für Harfe, Streicher, Blas- und Schlaginstrumente arbeiten wir an unserer Gesamtidee von einem Orchester. Auf ihrem Weg zur Professionalisierung sehe ich vier wesentliche Schritte, die auch ich gegangen bin. Das Pädagogische findet sich im Experiment wieder, das begleitet wird vom Zusammenspiel mit Profis. Das Konzert ist das Repräsentative, das zugleich das Verbindende eines Orchesters hervorhebt. Der vierte Schritt ist die internationale Tour, auf die sie sich im Anschluss begeben können.

Als Dirigentin feierten Sie Ihr erfolgreiches Debüt an der Opéra National de Lyon im Jahr 2009 mit Le Roi malgré lui von Chabrier. Seither haben Sie sich international als Dirigentin im Opern- und Sinfonie-Repertoire etabliert. Was waren wesentliche Karriereschritte?

Das lange und solide Studium in Frankreich am Konservatorium in Paris bildete meine Basis. Die Ausbildung war sehr intellektuell und theoretisch – auf hohem Niveau. Ich lernte viel über Komposition und Harmonie. Jungen Studierenden an der KUG empfehle ich, sich Zeit zu nehmen, denn man braucht Erfahrung. An der Universität in Michigan machte ich meinen Master in Orchesterleitung und lernte das amerikanische System kennen, das auf Effizienz und Schnelligkeit ausgelegt ist. Durch ein Stipendium landete ich in Wien an der Musikhochschule. Leopold Hager wurde mein Mentor: streng, was Regeln und Tradition betrifft, hat er mich in Wiens Orchestergeschichte eingeführt. Ich schätze ihn bis heute. Er hat mich auch ermutigt, an den ersten Wettbewerben teilzunehmen; und habe jenen in Treviso gewonnen und in Prag den zweiten Platz gemacht. Sich mit anderen Profis in eine Konkurrenzsituation zu begeben, ist eine wichtige Entwicklungsstufe. Parallel zu meiner Karriere als Dirigentin in Profiorchestern wie dem Orchestre de Chambre de Lausanne, Prager Radio-Sinfonieorchester und Beijing Symphony Orchestra, zog ich mich aus dem pädagogischen Bereich zurück.

Sie haben eine lange und enge Verbindung zu Österreich.

Ja, mit Österreich verbindet mich nicht nur das Studium bei Kager. Ich trat auch als Dirigentin beim Radiosymphonie Orchester in Wien, dem Wiener Kammerorchester und Symphonieorchester Vorarlberg auf. In Graz kann ich nun als Lehrende für Orchesterausbildung noch eine Stufe weiter gehen in meiner Karriereleiter, auf Stufe 5 (lacht) und mich der Ausbildung der Studierenden widmen. Der pädagogische Aspekt meines Tuns war mir schon immer wichtig. Ich genieße es, in Graz zu sein, das im Herzen Europas liegt und international sehr gut vernetzt ist mit Musikern, Künstlern und Professoren.

Ist die Tätigkeit als Professorin ein Ausgleich zu jener der Dirigentin?

Nein, denn beiden liegt der Wille zugrunde, zu kommunizieren und zusammenarbeiten. Als Dirigentin habe ich dieselbe Aufgabe wie als Professorin: Ich vermittle, leite und schaffe eine gewisse Harmonie zwischen allen Beteiligten. Das bedeutet nicht, dass der individuelle Musiker untergeht. Als Dirigentin bringe ich meine Vision ein, die wir dann als Orchester technisch gemeinsam umsetzen – als eine Art Suche nach den vielen Interpretationen eines Werkes. Recht hat jeder für sich, der Dirigent hat nicht mehr Recht, er führt nur alles zusammen. Das geschieht in den Proben. Beim Konzert ist das anders. Da steht der Austausch mit dem Publikum im Fokus. Der Dirigent ist der Einzige, der keinen Klang macht. Es ist also wichtig, das Orchester spielen zu lassen. Ich verstehe mich als Transmitter zwischen Orchester und Publikum. Eine sehr physische Aufgabe, denn ich sehe das Publikum nicht und betrachte nur das „menschliche Instrument“, das Orchester, das aus sich heraus spielt und durch mich hindurch. Es streicht, bläst, klingt, und kommuniziert mit dem Publikum, das zuhört. Ich bin die Verbindung und die Brücke zwischen dem Orchester und dem Publikum. Vielleicht sogar mit dem Ziel, am Ende unsichtbar zu sein, auch wenn das paradox klingt. Der Klang, die Partitur, das Werk, das Publikum, das Lebendige – das ist wesentlich.

Hauptabonnement (Auszug aus den 11 Konzertabenden)

Die vier Elemente
Christoph Altstaedt dirigiert Musik rund um Feuer, Wüste, Wind und Meer

Joseph Haydn: Symphonie Nr. 59 A-Dur „Feuersymphonie“ / Edgar Varèse: Déserts (1954) / Jean-Philippe Rameau: Suite aus „Les Boréades“ / Benjamin Britten: Four Sea Interludes aus „Peter Grimes“ op. 33a

Mit dem Orchester der Kunstuniversität Graz; Dirigent: Christoph Altstaedt

Mi, 10.11.2021, 19.30 Uhr, Grazer Congress, Stefaniensaal

Christoph Altstaedt
Foto: Peter Gwiazda

Drei Jahrhunderte Liebe
Verbotene, verzweifelte und verspielte Lieben – und was die Musik aus ihnen macht

Peter Illjitsch Tschaikowsky: Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ / Ruggero Leoncavallo: Silvio! a quest’ora! aus „Pagliacci“ / 2 Uraufführungen von Komposititonsstudierenden der KUG / Maurice Ravel:
„Daphnis et Chloé“, Suite Nr. 2

Mit Gesangsstudierenden nach Auswahlsingen; Orchester der Kunstuniversität Graz, Dirigentin: Claire Levacher

Do, 31.3.2022, 19.30 Uhr, Grazer Congress, Stefaniensaal

Titanen
Der Kontrabass-Paganini und Mahlers gewaltige „Tondichtung in Symphonieform“

Mauricio Kagel: Auswahl aus „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“ (2002) / Giovanni Bottesini: Konzert für Kontrabass und Orchester Nr. 2 h-Moll / Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur „Titan“

Kontrabass: Studierende*r nach Auswahlspiel Orchester der Kunstuniversität Graz, Dirigent: Dirk Kaftan

Mi, 11.5.2022, 19.30 Uhr, Grazer Congress, Stefaniensaal

Dirk Kaftan
Foto: Iräne Zandel