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Die andere Maria

Der in Zürich lebende Künstler Till Velten mit der ¬Kunsteditionsmappe zur Ausstellung im Kultum Foto: Kultum

Mit lebensgroß gebeamten Videos, einer Klanginstallation und wundervollen Bildern begibt sich das Kultum
auf die Spuren von Wundern am eigenen Körper.

Text: Lydia Bißmann

Der Titel der diesjährigen Kultum-Fastenausstellung „Die andere Maria. Ein Zeichenspiel zu Stigmata in vier Akten“ kommt anfangs unverdächtig daher. Maria kennen wir, Stigmata passen auch gut zu Ostern. Tatsächlich liegt die Betonung aber auf dem Begriff „Spiel“. Vor zwei Jahren hat der Künstler Till Velten in Zürich, im ­geschichtsträchtigen Dada-Refugium Cabaret Voltaire, eine vierteilige Vortragsreihe inszeniert, das in dieser Form auch gut vor hundert Jahren stattfinden hätte können. Velten, der in Düsseldorf bei Gerhard Richter und Fritz Schwegler Malerei studiert hatte, stand der performativen Kunst lange Zeit skeptisch gegenüber. „Sehr bald aber habe ich bemerkt, dass das künstlerische Medium für mich das Gespräch ist. Mich interessiert die Sicht eines Einzelnen auf die Welt, um die darin verborgene  Sinnkonstruktion erfahrbar zu machen“, erzählt Velten. Inzwischen wird er der „Bildhauer der Gespräche“ genannt. Am Ende seiner Kunst steht meist schon etwas, das mit Malerei zu tun hat. Der Weg dorthin ist aber ungewöhnlich. Seine Farben und Leinwände sind lang. Gespräche, die er mit Menschen führt und dokumentiert. Sein Werkzeug ist die Öffentlichkeit, sind die Menschen und der öffentliche Raum, den er als Künstler herstellen und bespielen kann. Nicht immer ist das Thema dabei so wichtig – sehr wohl aber die Protagonisten. Er spricht mit Prostituierten, Menschen mit Behinderungen oder Demenz, mit Flüchtlingen oder ausgebrannten Seelsorgern oder mit den Erben der Kristalldynastie Swarovski in Wattens über Glanz und Verantwortung.

Foto: Kultum

Mix aus Varieté und Volkshochschule

Schon lange interessiert Velten, was es mit dem Phänomen Stigmata auf sich hat. Das sind christlich konnotierten Wundmale, die bei manchen Menschen als echte Verletzungen an bestimmten Körperstellen auftauchen – und das sehr häufig rund um religiöse Feiertage. Als Bildhauer ist die Frage für ihn auch deswegen spannend, da der Körper hier – durch was auch immer – zur eigenen Bildhauerei und zu einem Bild wird. Auf der Suche nach einer Gesprächspartnerin stieß er dabei auf Judith von Halle aus dem anthroposophischen Umfeld, die von sich selbst behauptet, stigmatisiert zu sein. Da sie aber jahrelang mit Verschiebungen und Ausreden Gesprächen und weiteren Aktionen aus dem Weg ging, sprach die Performancekünstlerin Claudia Fellmer Till Velten an: „Was die kann, kann ich längst“, beschloss Claudia Fellmer und schlüpfte in die Rolle der „anderen Maria“. An vier Terminen (religiösen Feiertagen wie Gründonnerstag, Ostern oder Maria Himmelfahrt) inszenierte Velten im Cabaret Voltaire 2019 seine Reihe, die für ihn eine Mischung aus leichtem Volkshochschul-Vortrag und Varieté-Abend werden sollte. „Alles sehr humorvoll, aber ernsthaft“. Die Zuseher wurden mit Maria-Callas-Klängen, Live-Musik, viel Nebel, ausgewähltem Blumendekor, Bloody Marys, Vorträgen und Aktionen zu Stigmata aus den Bereichen Wissenschaft, Religion und Esoterik bespielt. Im Hintergrund immer wortlos die „andere Maria“, die im Hoodie und Arbeitsmantel mit Farbe und Apfelhälften Drucke anfertigte. Im Vordergrund Till Velten als Gastgeber.

Apfeldrucke aus der Zürcher Performance sind im ersten Raum auf 180 × 120 cm vergrößert

Eine Schau der Stellvertreter

Als Ausstellung hat Velten diese Geschichte in Graz völlig neu inszeniert: Die überdimensional reproduzierten Apfeldrucke der „anderen Maria“ werden als eigenständige Malerei dargestellt. Dazu gibt es eine sorgfältig gestaltete, erwerbbare Editions-Mappe in der Auflage von 50 Exemplaren vom Künstler signiert. Im Laufe der Cabaret-Voltaire-Abende emanzipierte sich ein Stammgast als eigenständiger Darsteller des Spektakels, der nun eine sehr prominente Rolle im Kultum einnimmt. Im Gang zum Franziskussaal wird Nenad Nevadovic die Gäste begrüßen und „wie ein Ausrufer in St. Pauli“ die Sensationen anpreisen, die er selbst nicht alle so ganz versteht, aber trotzdem gut findet. „Es ist eine Ausstellung der Stellvertreter“, reüssiert Velten. „Die Stigmata stehen stellvertretend für das Leiden Christi, Nenad steht als Stellvertreter des typischen Museumsbesuchers, Claudia Fellmer ist die Stellvertreterin für die angeblich echte Stigmata-Trägerin und der Schauspieler Oskar Moser als Stellvertreter für Gerd Overbeck und ich stehe stellvertretend als Gastgeber für alle.“ Im ersten Akt sind übergroße leuchtende Apfeldrucke zu sehen. Dazu gibt es ein lebensgroßes Video, das „die andere Maria“ bei ihrer geheimnisvollen Performance zeigt.  Im zweiten Akt liest der Schauspieler Oskar Moser, als Stellvertreter ebenso lebensgroß gebeamt, aus den Schriften des Psychiaters und Klinikleiters Professor Gerd Overbeck, der ein Standardwerk zum Phänomen Stigmata herausgegeben hat. Im dritten Akt wird man in einen verdunkelten Raum geführt, wo eine rote Flüssigkeit auf eine am Boden installierte rosafarbene Membran tropft. Dieses Tropfgeräusch erinnert fast schon an Horror- und Gruselfilme. Ebenso ist eine Replik historischer Stiche der Stigmatisierung des heiligen Franziskus (der über seine Wundmale übrigens zeitlebens geschwiegen hatte) dabei zu finden. Im vierten Akt begegnen wir Nenad Nevadovic wieder, der im Cubus als Projektion eine gründliche Nachbesprechung über die Ausstellung mit „der anderen Maria“ führt.

Studienblatt mit dem Heiligen Franziskus, 267 × 188 mm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Hoffnung

Till Velten liefert keine Antwort, ob es Stigmata nun gibt oder wie wir diese Phänomene einordnen sollen. Das sei auch nicht die Aufgabe eines Künstlers, dieses stellvertretend zu beantworten. Was die Schau für eine Fastenausstellung aber mehr als berechtigt, ist sein aufrichtiges und liebevoll performtes Interesse an Menschlichkeit. Er vermittelt humorvoll, aber sehr tiefgründig, dass man gar keine Antworten oder Lösungen braucht in einem Diskurs. Man kann sich eine Meinung aussuchen, muss das aber nicht tun. Und meistens passiert dann ohnehin etwas, womit keiner gerechnet hat. Hauptsache, man bleibt im Gespräch über die Erscheinungen der Welt.    

Till Velten: Die andere Maria. Ein Zeichenspiel zu Stigmata in vier Akten
Vernissage: Sa, 19.2.2022, 11 Uhr
19.2.    – 20.3.2022, Di–Sa, 11–17 Uhr, So, 15–18 Uhr
KULTUM Galerie, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz

tickets@kultum.at, Tel. 0316 711 133