Schwebende Meteoritenteile, Jesus als Zeitmesser, Skelette und Tischskulpturen warten auf die Besucher der Kultum-Schau „Dinge/Things“ von Manfred Erjautz, die ab Anfang April als Trilogie vollständig in Graz zu sehen sein wird.
Der Grazer Künstler Manfred Erjautz, der sonst gerne den öffentlichen Raum mit größeren Objekten bestückt, hat die Zusatzzeit der Pandemie genutzt, um sich auch der Kleinskulptur zu widmen. Solche Arbeiten werden anders präsentiert, können von den Betrachtern genauer inspiziert werden.
Traumreise in die Phantasie
Dinge/Things heißt seine neue Ausstellung im Kultum, wo viele Ergebnisse der letzten beiden Jahre zu sehen sein werden. Vieles hängt von der Decke herab, schwebt und dreht sich an Stahlseilen. „Als Bildhauer sehe ich die Erde als großes, plastisches Objekt und spüre das auch in der Gravitation.“ Es ist die Schwerkraft, die uns die Verbindung zum Boden gibt und durch die vieles möglich wird. Durch das Hängen bricht der Künstler damit, lässt die Gegenstände sich anders verhalten als sie es sonst tun würden. Kleine Skulpturen, die wie Meteoritenstücke, wie Fragmente eines Größeren aussehen, schweben hier aus Bronze oder mit Kunstharz ummantelt im Raum und erinnern an Science-Fiction-Szenarien oder auch an das Universum von Antoine de Saint-Exupérys kleinen Philosophen-Prinzen. Erjautz bestückt sie etwa mit einem leeren Champagnerglas, das für Einsamkeit stehen soll, herabgleitenden Ketten oder Bronzekugeln, die einerseits das Gewicht stabilisieren und andererseits auch einfach als Gesellschaft dienen sollen.
Fragmente im Kosmos und Fast Food
Begriffe wie Zeit und Fliegen, Schwerelosigkeit und Kontakt sind dem Künstler wichtig, der in den Räumen der Kultum-Galerie eine kleine Traumwelt aufgebaut hat. Er will es so wirken lassen wie ein Phantasieuniversum eines Kindes, wo vieles nebeneinander existieren kann, weil es schön und wichtig ist, ohne dass es direkt miteinander zu tun haben muss. In den kleinen ehemaligen Priesterzellen, rechts neben dem Aufgang, arrangiert er auf schwebenden weißen Platten seltsam anmutende Tischszenarien. Angelehnt an die römische „Piazza del popolo“– dem „Platz des Volkes“ – gestaltete er die Tischplatten hier zu einer „Pizza del Popolo“ um.
Passend zur Fastenzeit wird das Geschehen am Esstisch eine Hommage an eine Gesellschaft, die Fast Food und trügerischen Komfort der Freiheit und der Selbstbestimmung vorzieht. Hier wird auch The raft zu sehen sein, eine Skulptur aus der Solettigiacometti-Reihe, die bereits 2014 in Ostende gezeigt wurde. Die Arbeit beschäftigte sich damals mit den immer größer werdende Flüchtlingsströmen aus Syrien. Das rettende Floß, angelehnt an das Floß der Medusa von Théodore Géricault, besteht hier aber aus Solettis – jenen Salzstangen, die gerne vor dem Fernseher gegessen werden, während man die Nachrichten verfolgt.
Zeit steht nie still
Herzstück der Ausstellung sind aber zwei Objekte, die etwas mehr Raum einnehmen. Your own personal Jesus war bereits in Mürzzuschlag zu sehen und sorgte während der Fastenzeit 2019 in der Innsbrucker Spitals-kirche für Wirbel. Die Jesus-Uhr, bei der die Arme und der Rumpf als Zeiger fungieren, lässt den Gekreuzigten zweimal am Tag auch am Kopf stehen. Durch den Einsatz der „schleichenden Sekunde“ bleibt sie anscheinend für Sekunden stehen, bevor sie sich weiterbewegt. Zur Uhr gibt es ein Gegenstück in Form eines chinesischen Drachens (heavy sun), der auf einer kreisrunden Metall-Bahn seine Runden dreht. Die christlich-lineare Erzählung der Uhr trifft hier auf die Kreise der asiatischen Philosophie mit der Wiedergeburt. Als verbindendes Element fungiert die Skulptur Blindflug, ein menschliches Aluminium-Skelett in Lebensgröße, das sich die Augen mit knochiger Hand bedeckt. Der zweite Teil der Ausstellung, Das Echo der Dinge, wird am Abend in der QL-Galerie eröffnet. Während die Kultum-Schau eine horizontale Leserichtung hat, wird dort vertikal gearbeitet. Der zuerst leere Ausstellungsraum wird – wie aus dem Nichts heraus – performativ gefüllt. So tritt das Echo der Dinge in Erscheinung. Diese Plötzlichkeit, dieser Moment des Übergangs, wird durch den zweiten Teil der in die Gegenwart transferierten, litographierten Holzschnitte des Totentanzes aus dem 15. Jahrhundert im oberen Raum der QL-Galerie transportiert.
Krieg in St. Andrä
Der dritte Teil der Trilogie, die lose zusammenhängt, ist bereits seit Aschermittwoch in der Andräkirche zu sehen. Neben einem 50 Kilo schweren Kranhaken (The human hook), der mit hautfarbener Farbe versehen über dem Altarbereich hängt, hat der Künstler hier auch spontan mit einer Intervention auf die Besetzung der Ukraine reagiert. Für die Arbeit Auslöschung/ Obliteration hat er ein schweres barockes Fenstergitter über den Sitzbereich in der Kirche gelegt. Bis zu sechs Plätze sind durch das Gitter, das von vorne wie eine aggressive Panzerkette aussieht, nicht benutzbar, weg oder eben „besetzt“. Das Fenstergitter ist übrigens jenes, das vor 14 Jahren seinem Werk A short break of Time im Seitenflügel (konkave und konvexe Fenster aus Plexiglas) weichen musste. Die Zeit steht nicht still und so tun es auch nicht die Flüchtlingsbewegungen, die der Arbeit im Kultum nun beängstigende Aktualität verleihen. Manfred Erjautz’ Arbeiten sind aber auch humorvoll und trotz – oder eben wegen – ihrer Perfektion sehr warm. Sie sind so anmutig, dass es fast schmerzt. Man sieht sie gerne an, will aber nicht immer fühlen, was sie in einem auslösen. Genau dieser Konflikt ist es aber, der seine Kunst von oben bis unten durchströmt – mit Hoffnung, Trost und Liebe.
Dinge/Things, Manfred Erjautz
Kultum Galerie, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
(Kurator: Johannes Rauchenberger)
Eröffnung: Samstag, 2.4.2022, 11 Uhr
zu sehen bis 17.7.2022, Di–Sa: 11–17 Uhr, So: 15–18 Uhr
tickets@kultum.at, 0316 711 133
Das Echo der Dinge/The Echo of Things, Manfred Erjautz
QL-Galerie, Leechgasse 24
Eröffnung: 2.4.2022, 18 Uhr
zu sehen bis 1.5.22.
(Kurator: Alois Kölbl)
Die Installation in der St. Andrä Kirche ist bis Karfreitag zu sehen.