Kurator und Co-Geschäftsführer Johannes Rauchenberger im Gespräch über das neu sanierte Minoritenzentrum, seine Essenz, vorhandene Widersprüche und den wichtigen Auftrag der zeitgenössischen Kunst.
Text: Lydia Bißmann
Was ist neu im Minoriten-Areal?
Seit 1. Jänner 2022 liegen die Minoritensäle in der Verantwortung der Diözese Graz-Seckau. Eine neue Geschäftsführung mit Walter Prügger, dem Ressortleiter für Bildung, Kunst und Kultur in der Diözese, und mir ist dafür zuständig. Die offizielle Eröffnung wurde wegen Corona auf den 4. Mai verschoben. Seit der künstlerischen Einweihung mit der Ausstellung ATEM im November des Vorjahres konnten aber schon einige Tausend den neuen Saal bestaunen und genießen. Neu ist eine Atmosphäre, die wirklich zum Atmen einlädt. Der Kreuzgang ist frisch, es gibt eine neue Fassade, Durchbrüche in den Arkadengängen und die Autos sind aus dem zweiten Hof verschwunden. Wir freuen uns über einen bequemeren Backstage-Bereich, ein moderneres Buffet und eine herrliche Akustik im Saal. Der alte Baum freilich mit seinen rosa Blüten blühte schon damals und er tut es auch jetzt.
Das klingt fast paradiesisch. Ist es auch so?
Nicht ganz – trotz der großzügigen Subventionen der Stadt Graz und des Landes Steiermark, von Großsponsoren und privaten Spendern ist leider längst noch nicht alles bezahlt. Derzeit sind „Bildpaten“ ausgeschrieben: Ich würde gerne mit der KULTUM-Community das größte Bild an der Stirnseite sponsern. Dafür braucht es 15.000 Euro. Das müsste schaffbar sein – es ist ja nicht irgendein Werk, es ist eines der größten Barocktafelbilder Österreichs.
Das Bild zeigt die Speisung der 5.000. Darüber steht SILENTIUM. Ist damit auch ein Programm verbunden?
Es ist vielleicht der größte Gegensatz – Stille und Performance (oder wie auch immer man die Aktivitäten im Saal umschreiben mag) –, der hier für alle sichtbar ist. Es ist auch der Widerspruch von arm und reich, von franziskanischer Spiritualität der Einfachheit und barocker Überfülle. Unseres Wohlstands und konkreter Not. Gerade jetzt, wo wir eine Apokalypse ahnen und für Millionen von Menschen diese schon tägliche Gegenwart ist. Kunst, meine ich, glaubt an die Utopie, wie auch die Religion, zumindest in ihren trostvollen Erzählungen. Deswegen geht die Hälfte aller Bild-Spenden an Kriegsopfer in der Ukraine. Die andere Hälfte lässt uns zu den gegenwärtigen Fünftausend werden, die in Kunst und Kultur auch eine notwendige, geistige Nahrung sehen. Ich denke, dass sich so das Bleibende hier und das aktuell Bedrängende symbolisch miteinander verbinden lassen.
Wie würden Sie den Spirit des Minoriten-Areals beschreiben?
Hervorheben möchte ich das Franziskanische, das Gründungsnarrativ, das im toskanisch geprägten Kreuzgang mit seiner Stille und Anmut zu erleben ist. Und eben jener Widerspruch, der mit diesem Ort verbunden ist. Obwohl der Gründer der Apostel der Armut ist, wurde hier doch etwas ziemlich Prächtiges gebaut. Die Financiers, die Eggenberger, waren im 16. und 17. Jahrhundert die wohl reichste Familie in Graz. Sie bezahlten aber nicht aus purer Güte. Die Minoriten-Brüder sollten für ihr ewiges Seelenheil täglich die Messe feiern. Aber auch die führenden Akteure der Gegenreformation haben mit diesem Ort zu tun: Hans Ulrich von Eggenberg genoss in jungen Jahren in Tübingen protestantische Theologie und war dann der mächtige Geldgeber von Erzherzog Ferdinand II. und Maria Anna von Bayern, die die Gegenreformation beinhart durchgezogen haben. Nur: Erzählt hat man dies alles hier so noch nie.
Wie reagieren Sie jetzt darauf, wie möchten Sie diesen Widerspruch sichtbar machen?
Mit der feinen Klinge der Kunst. Der Minoriten-Stiegenaufgang wird mit Werken aus unserer Sammlung zum ersten permanenten Ausstellungsort des KULTUMuseums. Hier begegnet man Worten, aus der vielleicht noch unaufgearbeiteten Geschichte dieser Epoche. Das Werk Wes des Land stammt von Ruth Schnell und wurde gerade auf diesen Ort hin adaptiert. Ein 2004 illegalerweise im Stiegenaufgang entstandener Abguss eines Putto in Kautschuk von Sery C. steht unweit des Originals. Dorothee Golzs Herr Martin hängt schräg unter dem Stifter, lässt zu seiner Linken das enjoyment erblicken und fünf Monitore verkünden mit THE SOCIETY. THE LIBERTY. THE LONELINESS. THE END in einer Videoserie, was man alles genießen soll. Der riesige barocke Schinken von Papst Clemens XIV. bekommt einige Begleiter aus unserer eigenen „Papstgalerie“, wo Nietzsches „Tod Gottes“, der fehlende Feminismus und die Medienpräsenz dieses Amtes verhandelt werden.
Klingt das nicht alles nach einer ziemlichen Belebung alter Geister?
Alte und neue. Die Themen, die hier gespielt werden, sind der Himmel, die Engel, das Essen, die Armut und die Stille. Der neue Stiegenaufgang im Backstage-Bereich mit Werken von Alois Neuhold, Lena Knilli, Muntean/Rosenblum und Norbert Trummer ist voll davon. Im ausgehenden Buffetbereich hängen als Türhüter ein Engelsflügel und ein Teufelsgesicht in Neon (Nina Kovacheva) einander gegenüber. Dem plötzlichen Krieg ist die subtile Installation (target: impossible) von Heike Schäfer geschuldet. Und Michael Endlichers WHO IS AFRAID OF NEW NORMAL? über dem Barbereich wirft die sehr aktuelle Frage auf, was ist das jetzt, die neue Normalität.
Offizielle Eröffnung der Minoritensäle
Festakt: 4.5.2022 mit Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Bischof Wilhelm Krautwaschl und Bürgermeisterin Elke Kahr.
Minoritenzentrum, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz. Tel. 0316 713170
www.kultum.at bzw. www.minoritenzentrum-graz.at