Die Opernintendantin Nora Schmid begeht 2022/23 ihre letzte Saison in Graz. Anlässlich der Programmpräsentation für die kommende Spielzeit sprach „Achtzig“ mit ihr über Opernklischees, die verbindende Wirkung von Musik und das Lebensgefühl Oper.
Text: Stefan Zavernik
Mit welchen Gefühlen gehen Sie nun in Ihre achte und letzte Spielzeit an der Oper Graz?
Zunächst gehe ich in die Spielzeit wie immer: gespannt, erwartungsfroh und mit viel Freude. Ich hoffe, wir haben dann auch die nötige Portion Glück, dass wir alles so spielen können, wie wir es uns vorgenommen haben. Dass es meine letzte Saison hier ist, ist für mich im Moment noch kein Thema.
Wie arbeitsintensiv ist der Entstehungsprozess eines neuen Spielplans?
Es ist sehr aufwendig. Ein bisschen so, als würde man Tetris spielen. Es sind ganz viele Mosaiksteinchen, die wir am Ende zusammenführen. Wir haben Spielplanlinien über die Saisonen hinweg und wir haben die Mischung der Stile und Sprachen. Wir diskutieren und wollen am Ende ein ausgewogenes Angebot haben. Ich persönlich finde es wichtig, dass man die ganze Bandbreite abdeckt und allen Besucherinnen und Besuchern etwas bieten kann.
Die kommende Spielzeit soll das Publikum inspirieren, unterhalten und zum Nachdenken anregen. Kaum vorzustellen, dass es dann noch Menschen geben soll, die meinen, „Oper sei fad“ oder „etwas für alte Menschen“. Wieso macht die Oper Graz nun gängige Opernklischees und Vorurteile – mit viel Witz – zum Thema. Ein Weg, um gezielt neues Publikum ins Haus zu holen?
Wir merken einfach, dass wir nach wie vor mit diesen Klischees konfrontiert werden. Es langen bei uns noch immer Anfragen ein, wo Menschen sich sorgen, dass sie nicht gut genug für den Opernbesuch vorbereitet sind. Wir wollen zeigen, dass unser Zugang niederschwellig ist und wollen bewusst Barrieren abbauen. Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass unser Publikum vielfältiger geworden ist. Ich denke, dass das ein Ergebnis unserer Bemühungen ist. Außerdem tut es manchmal einfach gut, über sich selbst lachen zu können.
Ist die Lust auf Oper angeboren?
Ich glaube, die Lust auf Musik ist angeboren, wie auch die Lust am Spiel angeboren ist. Kinder reflektieren ihre Umwelt über Rollenspiele. Ich glaube, dass das eigentlich nie aufhört. Wenn ich ins Theater gehe, identifiziere ich mich ja auch mit der einen oder anderen Figur und begebe mich in Gedanken in ein Rollenspiel. Dadurch kann man Dinge anders erleben und reflektieren, als es vielleicht im Alltag möglich ist.
Ab wann macht es Sinn, Kinder mit in die Oper zu nehmen?
Die Kleinsten, die wir in unserem Programm ansprechen, sind Einjährige. Wir geben zu allen Produktionen Altersempfehlungen, aber es sind ja alle Kinder verschieden. Meine Erfahrung ist, dass man Kinder nie unterschätzen sollte. Wenn man sie einfach unbefangen in die Oper begleitet, dann zeigen sie manchmal eine unglaubliche Faszination und Konzentration.
Lässt sich an der Oper eine bestimmte Art von Lebensgefühl festmachen, die das Publikum verbindet?
Alle Besucherinnen und Besucher verbindet die Neugier. Auch der Wunsch nach einem gemeinschaftlichen Erlebnis, was in Pandemiezeiten sehr gefehlt hat, wird geteilt. Musiktheater wirkt sehr direkt, sinnlich und emotional. Das Bedürfnis, angesprochen und berührt zu werden, verbindet wohl die einzelnen Besucherinnen und Besucher, so unterschiedlich sie auch sein mögen.
Es war Ihnen immer ein großes Anliegen, das „Erlebnis Oper“ auch Menschen zugänglich zu machen, die durch körperliche Beeinträchtigungen dazu kaum in der Lage sind. Was wird es in der kommenden Spielzeit im Bereich Inklusion geben?
Wir bieten als einzige Oper in Österreich Musiktheater mit Live-Audiodeskription für Menschen mit Seheinschränkungen. Ich würde eigentlich jeden dazu einladen, sich eine solche Vorstellung einmal anzuhören. Da wird alles beschrieben: vom Bühnenbild, über die Szene, bis hin zu den Requisiten. Man erlebt dabei wirklich einen vollwertigen Opernabend. Wir machen das seit meiner ersten Saison und haben diesbezüglich schon so viele schöne Rückmeldungen bekommen.
Die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit widmet sich mit „War Requiem“ dem Komponisten Benjamin Britten und wird ein Appell an den Frieden werden. Welcher Stellenwert kommt der Kunst in Zeiten des Krieges, wie wir sie aktuell in Europa wieder erleben, zu?
Ich glaube, Kunst – und insbesondere die Musik – ist etwas sehr Verbindendes. Musik kann manchmal Aspekte ausdrücken, die wir vielleicht mit Worten allein nicht äußern können. Musik kann tröstend und versöhnlich sein. Ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass die Musik, die Kunst allgemein nicht verstummt, aber auch, dass sie nicht instrumentalisiert wird. Wir haben schon vor mehr als drei Jahren im Team darüber diskutiert, das Thema Krieg aufzugreifen und damit direkt mitten in die Gesellschaft, mitten in unser Opernhaus zu holen, nicht wissend, an welchem Punkt wir jetzt stehen werden, wenn wir es aufführen.
Die österreichische Erstaufführung von „Ein Hauch von Venus“ reiht sich in jene Serie von Produktionen ein, mit der die Oper Graz Künstler in die Aufmerksamkeit rückt, die während des Nazi-Regimes in den 1940er Jahren verstummt sind. Wie viel Zeitgeschehen wird in diesem an sich unterhaltsamen Musical zu spüren sein?
Das Zeitgeschehen von damals wird in unserer Produktion mitreflektiert. Es wird ein großes Musical mit Tanztableaus und trotzdem werden wir erahnen, in welchem Kontext es entstanden ist. Im Schaffen von Kurt Weill gibt es eine klare Zäsur. Es gibt zuerst seine Arbeiten mit Brecht und dann hat er, der emigrieren musste, sich in Amerika neu erfunden. Ein Hauch von Venus war sein größter Broadway-Erfolg. Ich war selbst überrascht, dass das noch nie in Österreich gespielt wurde.
Die Saison 2022/23 lockt mit einem dichten Spielplan, mehr als 15 Premieren, drei Wiederaufnahmen sowie zahlreichen Konzerten. Auf welche Aufführungen freuen Sie sich besonders?
Mit Puccinis Madama Butterfly und Smetanas Die verkaufte Braut können wir jetzt endlich zwei Stücke spielen, die schon premierenreif waren, aber pandemiebedingt noch nicht gezeigt werden konnten. Ich freue mich auch sehr auf die Ballettproduktion Carmen, in der die bekannte Geschichte rein tänzerisch erzählt wird. Eine Besonderheit wird auch Der Florentiner Hut von Nino Rota sein. Fast alle kennen und lieben seine Filmmusik, aber nur wenige wissen, dass er eine Oper geschrieben hat. Wir wollen mit solchen Produktionen eine Tür aufstoßen, in der Hoffnung, dass wir selbst nicht dazu beitragen, dass das Opernrepertoire immer kleiner wird. Wir haben als Opernhaus die Verantwortung, auch abseits der Pfade zu schauen und das eine oder andere Risiko einzugehen. Was ich in den Jahren hier bemerkt habe, ist, dass das Risiko eigentlich immer belohnt wird.