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Gefangen in der digitalen Wirklichkeit

Autorin Lilly Jäckl Foto: Fa.bian

Die neue Produktion im Theater im Keller bearbeitet Vereinsamung und Rückzugsthematiken, die nicht zuletzt durch Covid zu überborden begonnen haben.

Text: Wolfgang Pauker

Sandwesten oder The Great New Normal aus der Feder von Autorin Lilly Jäckl ist eine Auftragsarbeit des TiK über die Entfremdung und Vereinzelung, hervorgerufen durch die Digitalisierung und erheblich beschleunigt durch die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung. Das Stück thematisiert permanente Unruhe, Unsicherheit, Angst und Zerstreuung, die einhergeht mit Abschottung, einem Festsitzen in sich selbst, der eigenen Wohnung, der eigenen kleinen Welt. „Auswuchernde bürokratische Anforderungen und mit der Vereinzelung einhergehende Kommunikationsprobleme wirken zusätzlich einschüchternd. Ein Teufelskreis“, so Alfred Haidacher, TiK-Mastermind und auf Wunsch der Autorin auch Hauptdarsteller. Er spielt einen mit Wahrnehmungsstörungen behafteten Charakter, der am Cave-Syndrom leidet, wie zahllose Menschen weltweit. „Hervorgerufen oder verstärkt durch die Ausgangssperren während der Corona-­Pandemie, kann diese Form des sozialen Rückzugs bereits als Teil des ‚New Normal‘ gesehen werden, da sich der ‚digitale Lebensmittelpunkt‘ für Millionen Menschen langfristig durchsetzen wird“, so Jäckl, die in ihrem Stück Parallelen zieht zu einer Vielzahl psychischer Erkrankungen und der expandierenden Produktpalette zur Linderung derselben.

Alfred Haidacher, Leiter des Theaters im Keller, schlüpft im Stück „Sandwesten oder The Great New Normal“ in die Hauptrolle

ER, der auch SIE ist

„Er“, der im Home-Office durch das Stück führt, verkörpert auch sein eigenes, extrem strebsames Alter Ego: „Sie“. Dahinter steht der Chor, sinnbildlich für eine teils paralysierte, nervös-ängstliche Gesellschaft, die, anstatt Alternativen zur eigenen Unsicherheit zu entwickeln, eine Hinwendung zu antiemanzipatorischen Strömungen vollzieht. Als „Er“, bereits sichtlich zerrüttet, auf Entspannungsmaßnahmen wie das ‚Snoezelen‘ nicht mehr anspricht, passiert ein Glücksfall: Der erstmalige persönliche Kontakt mit dem Lieferanten seines Essens. Durch die Macht dieser Begegnung erkennt „Er“ schlagartig seine Handlungsfähigkeit und verlässt zum ersten Mal seit langer Zeit die Wohnung, um Jana, eine befreundete Arbeitskollegin, aus den Fängen häuslicher Gewalt zu befreien. Das Stück zeigt den Kontrast zwischen einer ausschließlich durch Medien erlebten Wirklichkeit und der wirklichen Wirklichkeit, die tatsächlich körperlich erlebt wird. Haidacher: „Durch die private Not der Kollegin dazu bewogen, aus dem Kokon seines Lebens auszusteigen, erlöst er sich selbst aus einer Falle, die ihn in einen psychischen Krankheitszustand gebracht hat, in welchem er seine übersteigerten Gefühle nur mehr durch Ruhigstellungsmittel wie die ‚Sandweste‘ oder ‚Gewichtsdecken‘ in den Griff zu bekommen hofft“.        

Lilly Jäckl

„Sandwesten oder The Great New Normal“
Uraufführung: 15.6., 20 Uhr
Weitere Vorstellungen: 17., 18., 23.6., jeweils 20 Uhr
Weitere Vorstellungen folgen nach der Sommerproduktion im September 2022

Theater im Keller
Münzgrabenstraße 35, 8010 Graz

www.tik-graz.at