Der Künstler Josef Wurm zählt zu den aufgehenden Sternen am Kunsthimmel der heimischen Szene. Nach einer bewegten Zeit in Budapest ist er in seine alte Heimat zurückgekehrt und lebt und arbeitet nun in der Südoststeiermark.
Text: Lydia Bißmann
Das Atelier im ehemaligen Stallgebäude des Meierhof, in dem sich der Künstler vor zwei Jahren eingenistet hat, gleicht seinem Benutzer. Sonnig und freundlich strahlt es eine offene, sanfte und trotzdem enorm kraftvolle Energie aus. Wie in einer kleinen Wunderkammer finden sich hier anatomische Bücher, Federn, Bilder, Skulpturen, Stacheltierstachel. Trotzdem wirkt der Raum aufgeräumt und frei. Josef Wurm ist einer, der viel nach- und vordenkt. Er braucht Platz im Kopf und im Raum, Kompromisse sind eher weniger seine Angelegenheit – nicht in der Kunst und nicht im Leben. Die Wände benutzt er auch als Notizblock, schreibt darauf Worte oder Phrasen, die ihm wichtig sind – früher wischte er auch mal die Pinsel daran ab. Josef Wurm kommt eben von der Street-Art und hat eine besondere Beziehung zu Raum.
Freiheit beim Wort nehmen
In den letzten Jahren hat er sich zu einem der vielversprechendsten Nachwuchstalente in der steirischen Kunstszene entwickelt. Seine Werke sind im Lendhotel zu sehen, die Stadt Graz und das Land Steiermark kaufen regelmäßig seine Arbeiten an. Hauptsächlich sind es private Sammlerinnen und Sammler, die seine Werke gerne erstehen, selbst in unsicheren Zeiten wie jetzt. Genau diese Zeiten haben ihn auch dazu veranlasst, von Budapest, wo er seit 2012 mit seiner ungarischen Partnerin und seinem Kind gelebt und gearbeitet hat, wieder in die heimische Steiermark zurückzugehen. Im Herbst 2020, gleich nach einer Ausstellung im österreichischen Kulturforum in New York mit Günter Brus und anderen jungen, steirischen Kunstschaffenden (studio ASYNCHROME, zweintopf und Eva Maria Schaller) zum Thema „Freiheit“, ließ er seinen Koffer gleich gepackt und kehrte Ungarn den Rücken. Die zunehmende Orbanisierung und Aushebelung des Rechtsstaates durch die aktuelle Regierung ließ die vormals lebendige und bunte Kunstszene in der ungarischen Metropole zusammenschmelzen. „Es gibt dort inzwischen nur noch Superunderground oder Konformität – als Österreicher ist dort kein Platz mehr für mich gewesen.“ Aber auch das ganz normale Leben ist davon betroffen. „Ich möchte nicht, dass mein Sohn dort in die Schule gehen muss.“
Lieber nichts, als das Falsche
Josef Wurm wurde in Fürstenfeld geboren und ist hier aufgewachsen. In der HTBLVA Graz Ortweinschule für Grafikdesign gab es für den Geschmack des Heranwachsenden aber zu viel Mathematik und Nichtkunstfächer im Unterricht. Er ließ die Schule sein und absolvierte eine Lehre zum Grafikdesigner. Beim Zivildienst in der sozioökonomischen Druckerei RehaDruck lieferte er manchmal Flyer für die Partys des DJ-Kollektivs und Labels disko404 mit seinen eigenen Entwürfen aus. Nach einem kurzen Ausflug als Teilhaber der Kunstfirma Permanent Unit ist er seit 2010 als freischaffender Künstler tätig. Nicht einfach am Anfang, aber für Wurm steht fest: „Es ist besser, nichts zu haben, als im falschen System zu sein.“ Beides ist zum Glück nicht mehr der Fall. Unterstützt wurde und wird er dabei immer noch von der Galerie Heimo Bachlechner, die ihn verkauft, ausstellt und vertritt. „Die Galeristenbeziehung, die wir miteinander haben, ist sehr selten und kostbar. Es basiert alles auf Freundschaft und Vertrauen, die Arbeit ist immer professionell und seriös.“ Die Schau Ohne Worte in Bachlechners Grazer Galerie im letzten Frühjahr war eine Art „Erlösungsausstellung“ nach den vielen Lockdown-Absagen der letzten zwei Jahre. Seitdem tut sich viel: Aktuell sind Josef Wurms Arbeiten in Vorarlberg in der Freiluftausstellung On Off im „Hor(s)t der Kunst“ am Pfänder zu sehen. Im Volkshaus Fürstenfeld ist er gemeinsam mit Werken einer Wiener Kollegin bei Yas Berg meets Styria vertreten. Ein Beitrag von ihm befindet sich zurzeit auch in der Gruppenausstellung Identity im Pavelhaus in Bad Radkersburg.
Zwischen Düsternis und Hoffnung Die nächste große Ausstellung startet in Bukarest im Oktober. Josef Wurm mag keine Kompromisse, er konzeptioniert seine Soloausstellungen immer neu. „Ich weiß noch nicht, was das werden wird, das entwickelt sich erst beim Arbeiten. Ich finde es auch wichtig, dass man nicht immer die gleichen Bilder herzeigt. Außerdem will ich ja selbst für mich wissen, wie es weitergeht.“ Was er jetzt schon weiß, ist, dass es wieder mehr in Richtung Malerei als Collage gehen wird. Einen Einblick in diese Zeit gibt das Künstlerbuch Torsotetris, für das der Journalist und Fotograf Martin Behr das Begleitwort verfasst hat. Für den Künstler sind die Bücher wichtige Dokumentation, auch für ihn selbst – der „Deckel auf dem Sarkophag“ – ein Abschluss, bevor etwas anderes beginnen kann. Behr vergleicht in dem schlicht in Schwarz gehaltenen Band, aus dem Wurm in Ausstellungen auch Skulpturen baut, die Kunst von Wurm mit den Liedern von Nick Cave, die „es schaffen, Düsternis und Hoffnungsschimmer zusammenzuspannen.“ Wurm sammelt, nimmt auf, zerlegt und fügt wieder zusammen. Scheinbar Schauriges trifft auf Schönes aus dem Alltag und wird von Wurm zu einem poppigen und clashigen Kosmos mit sehr viel Tiefgang gemischt. Zeitungsausschnitte, Landkarten, Gesichter von Ikonen oder benutzte Tickets werden von dicken Pinselstrichen, feinen Zeichnungen, Phrasen, Wörtern oder regelmäßig angeordneten Strichen begleitet. Kleine Comic-Wesen tummeln sich hier, schinkenartige Objekte, die sich aus der Fläche inzwischen in den Raum verselbstständigt haben, Aktfragmente oder Symbole, wie die gerne verwendete Zielscheibe. Immer wieder gibt es einen Blick ins Innere des menschlichen Organismus auf ausgeschnittenen anatomischen Zeichnungen. „Ich will selbst erkunden, was da ist. Eigentlich habe ich ja Angst vor so medizinischen Dingen, kann gar keine offenen Brüche sehen. Aber es ist einfach faszinierend, wie der menschliche Körper – ein Haufen organischer Materie mit ein bisschen Elektrizität – zusammen mit der Psyche funktioniert.“