Seit über 20 Jahren ist Michael Schilhan künstlerischer Leiter des Grazer Jugendtheaters Next Liberty, seit 2004 dessen geschäftsführender Intendant. In dieser Zeit entwickelte sich das Next Liberty zu einem der bedeutendsten Kinder- und Jugendtheatern im deutschsprachigen Raum.
Text: Lydia Bißmann
Während die großen Häuser sich ständig um den Nachwuchs und die Jugend bemühen müssen, kann das Next Liberty jedes Jahr aufs Neue auf konstant hohe Zuschauerzahlen blicken. Wie bekommt man junge Menschen ins Theater?
Unser Erfolgsrezept ist sicher, dass wir schon in der Konzeption unseres Spielplanes wissen, für wen wir dieses oder jenes Stück produzieren und warum. Die Relevanz des Stückes, sei es inhaltlich oder sprachlich, steht im Mittelpunkt, und muss mit den Lebenswirklichkeiten von jungen Menschen zu tun haben. Das Publikum spürt, dass unser Team (Ensemble, Theaterpädagogik, Technik, Marketing, Geschäftsleitung) gerne für junge Menschen arbeitet. Die Inszenierungen funktionieren sowohl für Kinder und Erwachsene. Wir machen unsere Arbeit gerne, das strahlt aus. Wir freuen uns zu begeistern. Es ist für uns kein Bemühen.
Wie wichtig ist Theater für Kinder und Heranwachsende als Möglichkeit der Selbsterfahrung?
Die Reflexion ist unheimlich wichtig. „Was hat das Gesehene mit mir zu tun?“. Ein Theatererlebnis ist dann vollkommen, wenn es bei unseren jungen Besucherinnen und Besuchern einen Nachklang hat. Dieser Nachklang geht mit ins Elternhaus, stellt Fragen und ermöglicht ein Gespräch auf Augenhöhe über Kunst und Fiktion zwischen Kind und Erwachsenen. Dieser Dialog festigt Beziehungen und bildet Vertrauen.
Sie haben das Theater als Seismograf für Stimmungen bezeichnet, das für Veränderungen in der Gesellschaft offen sein muss. In der kommenden Saison steht unter anderem mit der Produktion „Der Zauberer von Oz“ ein Kult-Stück der LGBTIQ-Szene am Programm. Ist das eine bewusste Reaktion auf den sehr positiven Regenbogen-Trend und das Bemühen, Minderheiten und Andersdenkenden mehr Rechte und Raum zu geben?
Unsere Fassung ist nicht das Musical, das für die queere Szene ein Kult-Stück geworden ist. Wir spielen das Stück als Schauspiel mit Musik. Die Botschaft ist aber doch die gleiche. Welche Magie entfaltet sich, wenn man seinen inneren Kompass vertraut und so – am besten gemeinsam mit anderen – über sich hinauswachsen kann?
Sie wurden vor Kurzem in Ihren Funktionen als geschäftsführender Intendant des Next Liberty verlängert. Mit welchen Visionen und Vorhaben gehen Sie in die kommenden Jahre?
Der digitale Raum macht niemanden glücklich. Kinder und Jugendliche sehnen sich nach realen Räumen und Begegnungen. Die Konzentration auf das, was passiert, ist das unsichtbare Band zwischen Publikum und Bühne. Langfristig ist Theater für Kinder dann interessant, wenn sie daran aktiv teilhaben können. Ich sehe den zukünftigen Fokus und Stellenwert des Theaters vermehrt in partizipatorischen Projekten. So entstehen positive Erfahrungen und Assoziationen mit der Kunstform. Zudem steckt dahinter auch stets die Auseinandersetzung mit demokratischer Haltung und Toleranz gegenüber dem Nächsten. Dies bringt ein großes bildungspolitisches Potenzial mit sich, das unbedingt stärker ausgeschöpft werden muss.
Spielzeit 2022/23: u. a. „Der Zauberer von Oz“, „Das hässliche Entlein“, „Frau Holle“, „Das NEINhorn“, „Cinderella“.