Die manuskripte gelten als eine der wichtigsten Literaturzeitschriften im deutschsprachigen Raum und haben viele große steirische Autor*innen von Peter Handke bis Nava Ebrahimi gefördert. Achtzig sprach mit dem manuskripte-Herausgeber Andreas Unterweger über Schreibzwang mit Champagner, Auftrags-Randale und menschliche Überschätzung.
Text: Sigrun Karre
Die manuskripte hatten über Jahrzehnte den Ruf, eine treffsichere Wahrnehmung für Talente zu besitzen. Ist eine Veröffentlichung bei den manuskripten heute noch ein verlässlicher Türöffner bei Verlagen und in der öffentlichen Wahrnehmung?
Es kann auf jeden Fall helfen, auch wenn es heute mehr Möglichkeiten gibt, um als Autor*in wahrgenommen zu werden. Unser Vorteil ist, dass wir in den Lektoraten gelesen werden, wir bekommen immer wieder Rückmeldungen wie: „Ich bin bei diesem oder jenem Verlag gelandet, weil der Lektor einen Text in den manuskripten gelesen hat.“ Früher hat man das gleich mitbekommen, weil die Kontaktanfragen der Verlage an die Schreibenden über die Zeitschriften-Redaktion laufen mussten, heute erfahren wir es oft erst Jahre später.
Die manuskripte schlagen regelmäßig auch Brücken zu anderen Kunstformen und -formaten. Zuletzt mit dem aktuellen Projekt zwangLOS im Rahmenprogramm des diesjährigen steirischen herbst.
Für zwangLOS wurden zwei Autor*innen in unser Archiv gesperrt, die in Anlehnung an das Pizza-Bausatz-Prinzip eine vom Publikum ausgefüllte Textbausatz-Karte bekamen, mit deren Vorgaben in 5 oder 10 Minuten etwas Literarisches produziert werden musste.
Unter erschwerten Bedingungen wie Helene-Fischer-Beschallung.
Genau, unter vom Publikum festgelegten Vorgaben wie der Beschallung mit Schlager, Klassik oder Heavy Metal oder der Getränkeauswahl. Ein Autor musste zum Beispiel 6 Glas Champagner hintereinander trinken! (lacht)
Teure Angelegenheit. Wie waren die Texte, die dabei rausgekommen sind?
Das Publikum musste die Texte dann beurteilen, der Großteil wurde positiv aufgenommen und zur Veröffentlichung empfohlen. Manche haben sich auch dazu entschieden, den Text zu zensieren oder sogar mit Hilfe verschiedener Werkzeuge, etwa eines Packerls manuskripte-Zündhölzer, zu vernichten.
Ein Schriftsteller*innen-Albtraum …
Es war für die Autor*innen bestimmt eine stressige Situation, wir haben mit dieser Kunstaktion quasi die wirklichen Zwänge, denen sie in ihrem Leben ausgesetzt sind, ironisch auf die Spitze getrieben. Im Rahmen des steirischen herbst haben wir auch die neue manuskripte-Ausgabe mit Beiträgen von 14 ukrainischen Autor*innen präsentiert. Einer von ihnen, Friedrich Chernyshov, hat bei der Präsentation auch gelesen.
Was tun die manuskripte, um neue Leser*innen zu erreichen?
Kooperationen sind sicher zielführend, bei einer Präsentation letztes Jahr im Kunsthaus Graz hatten wir zum Beispiel Arbeiten des Duos studio ASYNCHROME im Heft, sie haben wiederum mit Student*innen der TU kooperiert, und diese kamen dann alle mit Anhang: Die Hütte war knallvoll, alle waren glücklich (lacht). Da haben wir neue Leute erreicht, die wir sonst nicht erreicht hätten.
Sind Abos zur Verbreitung von Literaturzeitschriften noch ein zeitgemäßer Vertriebsweg?
Das lebenslange Abo stirbt langsam aus, dafür boomen Geschenk-Abos für ein oder zwei Jahre. Wir versuchen, mit dem Angebot von E-Papers den Lesegewohnheiten entgegenzukommen, in Zukunft sollen auch ältere, vergriffene Ausgaben der manuskripte digitalisiert werden.
Wie geht ihr darüber hinaus mit dem Thema Digitalisierung um?
Wir arbeiten aktuell am Relaunch unserer Homepage, auch Kooperationen mit Online-Formaten bzw. -Medien wie KUMA.at finden wir spannend. Und nächstes Jahr wird es auch einen eigenen manuskripte-Podcast geben!
Von Print irgendwann einmal komplett wegzugehen ist keine Überlegung?
Auf keinen Fall, das ist unser Kernprodukt.
Die erste Ausgabe der manuskripte erschien zur Eröffnung des Forum Stadtpark 1960 und war, der Gründungslegende nach, eine Sammlung von ein paar provisorisch zusammengehefteten Zetteln. Die Beiträge der ersten Jahre lösten immer wieder Skandale aus. Früher als Sprachrohr der literarischen Avantgarde wahrgenommen, gelten die manuskripte mittlerweile als traditionsreiche Literaturzeitschrift. Kann Literatur heute noch so progressiv und provokant sein wie in den 1960er/70er Jahren?
Heute gibt es jeden Tag einen Skandal, zumindest, wenn man sich auf Twitter umschaut.
Aber abseits von Wokeness-Diskussionen o. Ä.: den echten literarischen Skandal gibt es so nicht mehr, oder?
Es gibt schon noch Provokateure wie Michel Houellebecq, auch Leute wie Richard David Precht sorgen immer wieder für Aufregung. Es gibt die Skandale noch, die Frage ist aber, ob es die Skandale sind, die man sich wünscht. Bewegt man sich in Richtung politisch rechts, konservativ, reaktionär und politisch inkorrekt kann man die Öffentlichkeit heute leicht provozieren. In die andere Richtung ist es hingegen schwieriger geworden. Da hat sich etwas umgedreht …
Bei den manuskripten haben wir einen spielerischen, augenzwinkernden Umgang mit der eigenen Geschichte: Wenn wir Schreibende im Archiv einsperren, wie bei zwangLOS oder auch bei der Heft-Präsentation dieses Frühjahr im Forum Stadtpark, als wir den Künstler Jimi Lend eigens dafür engagiert haben, damit er randaliert. Zum Schrecken des Publikums hat er mich von der Bühne geschubst, danach ein Gedicht des Grazer Klassikers Wolfi Bauer vorgetragen. So kreieren wir jede Menge Bewegung in der Zeitschrift und um sie herum. Mir ist lieber, dies geschieht auf diese Weise als mit einer Anklage wegen Verbreitung von Pornografie wie bei Alfred Kolleritsch in den 1960ern! (lacht)
Welche Autor*innen hältst du derzeit für besonders relevant?
Da gibt es sehr viele … Zuletzt hat mich etwa die diesjährige manuskripte-Förderpreis-Trägerin der Stadt Graz, Katrin Köhler, beeindruckt. Sie vertritt eine junge, interessante Position, ist sehr breit aufgestellt, macht auch Musik, bildende Kunst, alles Mögliche. Ihre Texte bewegen sich zwischen Lyrik, Prosa, Philosophie und dramatischen Ansätzen und zeugen vor allem von einem unglaublichen Sprachgefühl. Aber auch der Gedichtband Kein Tag ohne von Ilma Rakusa, Thomas Antonitschs United States of Absurdia oder der Roman Meisterwerk der slowenischen Autorin Ana Schnabl haben mir zuletzt sehr gut gefallen.
Wie erfolgt die Auswahl, um in den manuskripten veröffentlicht zu werden? Gibt es objektive Kriterien?
Alfred Kolleritsch hat einmal zu mir gesagt: „Du hast Kriterien, auch wenn du sie nicht formulierst“, das trifft es ganz gut. Uns geht es jedenfalls nicht um den spannendsten Plot, sondern die Qualität der Sprache ist zentral. Dabei ist es relativ egal, ob das nun ein experimenteller Text ist oder ob „einfach nur“ wirklich gut erzählt wird. Wir müssen uns in der Redaktion einigen, das fällt uns aber meist sehr leicht. Ich bin sehr glücklich, Silvana Cimenti als Redakteurin gewonnen zu haben. Auch Julian Kolleritsch und Helga Höhn arbeiten redaktionell mit.
Hast du dir eigentlich einmal gedacht: „Bei dieser Autorin, bei diesem Autor habe ich mich geirrt, das Talent nicht erkannt oder überschätzt?“
Manchmal kommt es zu einer menschlichen Überschätzung, also dass man jemanden fördert, der für die Literatur zu brennen scheint, in Wirklichkeit aber einfach nur penetrant ist. Ein klassisches Beispiel für Überschätzung, wenn auch vor meiner Zeit, wäre wohl mein Nachnamens-Vetter Jack Unterweger, der viele getäuscht hat, menschlich und qualitativ. Fegefeuer hatte Qualität, der Rest war Schrott, weshalb es bis heute Theorien gibt, dass er Fegefeuer nicht selbst geschrieben hat oder Hilfe hatte.
Bei der Unterschätzung ist es so: Der Literaturbetrieb ist, wie jeder andere Betrieb auch, oberflächlich. Was zählt, ist bei Weitem nicht nur die literarische Qualität, und irgendwann, wenn man nur hartnäckig genug ist, findet jeder jemanden, der einen veröffentlicht oder in den Himmel lobt. Am schönsten sind freilich die Erlebnisse, wenn wir richtige neue literarische Stimmen entdecken dürfen. Bei Sarah Kuratle war das etwa der Fall, vor einigen Jahren. Zurzeit freue ich mich über einen super Text eines meiner Sprachkunst-Studenten. Ich hatte gleich das Gefühl, dass viel in ihm steckt, und siehe da: PAM!