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Barockmusik mit Benefits

Das Abokonzert „Violin, my Dancing Queen“ zeigt, wie tanzbar barocke Musik sein kann

Was Barockmusik mit Pop gemeinsam hat, wie ein Orchester eine Band sein kann und welche Rolle Wissensdurst und die Instrumente in den Konzerten der Neuen Hofkapelle spielen, verrät deren künstlerische Leiterin und Barockgeigern Lucia Froihofer im Interview.

Text: Lydia Bißmann

Seit 2010 gibt es die Neue Hofkapelle Graz, die sich auf Barockmusik spezialisiert hat. Wie kam es zur Gründung?

Ich habe in den Jahren davor immer wieder Anfragen von Chorleitern bekommen, ein Orchester für barocke Programme zusammenzustellen. Ich habe das mit lokalen Musiker*innen besetzt und mit der Zeit hatten wir in Graz eine Besetzung, mit der ich gerne weiterarbeiten wollte – in einem eigenständigen Ensemble, das sich weiterentwickeln kann, das instrumentale Literatur spielen kann und wo auch Zeit ist, das Orchesterspiel weiterzuentwickeln. Bei den Streicher*innen, die den Grundstock des Orchesters bilden, ist die Besetzung seit Anbeginn ziemlich gleich geblieben. Immer wieder bekommen bei uns aber auch junge Studierende die Möglichkeit, professionell zu arbeiten – inzwischen kann man ja Barockgeige auch in Graz studieren. Der Orchesterstamm besteht ungefähr aus 25 Personen.

Worum geht es in der Alten Musik neben dem Spielen von Konzerten noch?

Forschung und historisch gut informiert zu sein, ist uns extrem wichtig. Wir befassen uns auch vom Instrumentarium her tiefgehender, als das sonst meist in Österreich gemacht wird. Wir spielen nicht nur eine Barockgeige. Denn vom Klang her sind die Instrumente 1610 anders als 1685, obwohl nur 75 Jahre dazwischenliegen und sie sind völlig anders als 1730, was auch noch mitten im Barock liegt. Bei unserem frühbarocken Konzert Fest für Ferdinand ist der Stimmton a zum Beispiel auf 466 Hz, also einen Ganzton höher als beim Konzert im Oktober. Das hängt damit zusammen, wann und wo die Stücke komponiert wurden und auf welcher Höhe der Stimmton a in der jeweiligen Stadt war, da gab es sehr große Unterschiede. Wenn die Geige einen Ganzton höher gestimmt ist und wir auch in der historischen Spieltechnik die Geige weiter unten auf der Brust halten, hat das eine große Auswirkung auf den Klang, das hört man wirklich. Wir haben ein Leitungsteam mit vier Personen und sind sehr divers aufgestellt, was unsere Spezialgebiete betrifft. Hier entscheiden wir, welches Konzertprogramm gespielt wird. Uns ist es ein Anliegen, dass es bei Entscheidungen einen Dialog mit unseren Musikerinnen und Musikern gibt. Wir fragen immer wieder, was sie denn gerne spielen möchten.

Lucia Froihofer ist künstlerische Leiterin der Neuen Hofkapelle Graz
Foto: Marcel Plavec

Heißt das, dass jedes Programm auf ein Instrument abgestimmt ist?

Wir konzipieren überwiegend Programme, die auf dem Instrument einer Epoche genau passend gut spielbar sind. Aber manchmal machen wir auch ein Cross-over, so wird es nie eintönig. Da gibt es viele Schattierungen. Beim Fest für Ferdinand mit Musik der alten Grazer Hofkapelle – die gab es nur bis 1619, dann übersiedelte sie nach Wien – gab es zum Beispiel großteils auch keine verfügbaren Noten, die zu unserer Besetzung mit Streicher*innen gepasst hätten. Bernhard Rainer hat uns da ein Programm zusammengestellt und wird dann die Noten auch herausgeben. Wir spielen da sozusagen nach 400 Jahren eine erstmalige Wiederaufführung! Das ist aber nicht immer so. Oft greifen wir auf Musik zurück, wo man die Originaldrucke, die Faksimiles, einfach von Online-Bibliotheken herunterladen kann.

Wie kommt man zu den passenden Instrumenten?

Einige von uns haben originale, historische Instrumente. Die sind im Laufe der Zeit aber verändert worden, die musste man dann wieder auf die barocke Bauart zurückbauen. Die meisten Instrumente sind aber Nachbauten, also Kopien von Originalinstrumenten. Sie klingen eher so wie die Instrumente damals. Da wurde ja ebenfalls auf „neuen“ Instrumenten gespielt. Viele Umbauten können nicht mehr rückgängig gemacht werden. In der Romantik wurde bei einer Geige oft das Deckenholz dünner gemacht – das kann man später nicht mehr rückgängig machen. Bei den Blasinstrumenten sind es hauptsächlich Nachbauten. Auf Geigen wurde oft hunderte Jahre lang gespielt, die haben sich von der Bauart nicht so wahnsinnig verändert wie Blasinstrumente.

Ist das nicht mit wahnsinnig hohen ­finanziellen Kosten verbunden?

Ja! Aber man muss sagen, dass neu gebaute Barockgeigen oder -bögen oft billiger sind als die neu gebauten klassischen Modelle. Das hängt mit dem ganzen Feld zusammen. Bei den Geigenbauer*innen gibt es auch viele, die das Historische lieben, die mit uns Musiker*innen zusammenarbeiten und auch der Markt ist ein anderer, hier wird nicht das große Geld gemacht. Ich hatte etwa einen Geigenbauer in Genua, der hat gemeint: „Pass auf, ich habe hier eine Geige für dich, probier, wie es dir damit geht. Gib mir eine Anzahlung und den Rest zahlst du dann, wenn du das Geld hast.“ So funktionierte die Szene.

Bei den Abokonzerten der Neuen Hofkapelle Graz geht es neben dem Spiel auch um Historisches und die Erforschung der Musik

Gibt es in der Alten Musik weniger Konkurrenz als in der modernen Klassik?

In der Alten Musik gibt es einen anderen Zugang zur Musik. Oder gab es zumindest. Ganz lang war sie das „Alternative“. Dort sind Leute hingegangen, die mit dem enormen Druck, dem am Wesen der Musik vorbeigehenden Perfektionismus des normalen klassischen Sektors nicht konnten. Die sich mehr mit der Musik selbst beschäftigen wollten. Es geht in der Szene der Alten Musik mehr um den Schwung der Musik oder in welche Richtung die Melodie strebt. Es hat sich mittlerweile aber verändert, weil das Etikett „early music“ auch ein guter Geschäftszweig geworden ist und manchmal dann eben nur das Mascherl hat, nicht aber den Inhalt, so wie ich ihn verstehe.

Kann man Alte Musik ein wenig mit dem Jazz vergleichen?

Das kann sein. Ein Kammerorchester und eine Bigband sind vielleicht vergleichbar, weil die einzelnen Musiker*innen nicht im Tutti versinken. Aber da ich in keiner Jazz-Bigband spiele, kann ich das auch nicht so genau sagen. Mein Ziel war immer, dass wir in der Hofkapelle funktionieren wie eine Band. Das heißt im Vergleich zum Orchester, dass jede Person ihren ganz eigenen Platz hat und ihre Funktion ausfüllt. Wir nennen uns zwar Barockorchester, aber wir sind eine Band!

Warum ist die Musik der Neuen Hofkapelle unbedingt etwas für junge Menschen?

Die Melodien sind sehr eingängig, manchmal fast wie Popmusik. Die Strukturen und Sätze in der Barockmusik sind kürzer. Ich will jetzt nicht sagen, dass die Musik leichter zu hören ist – eine vier- oder fünfstimmige Fuge ist sehr komplex. Aber das oberste Ziel war es damals, die verschiedenen Affekte zu berühren und anzusprechen. Das, was heute viele Menschen in der populären Musik finden. Und Musik wurde immer für eine bestimmte Funktion geschrieben: zum Tanzen, zur Unterhaltung, zum religiösen oder repräsentativen Anlass, zu Festen, zur Erbauung des Menschen. Das spricht den Menschen als Ganzes an mit Körper, Seele und Geist – anders als z. B. eine romantische Sinfonie, die zum Zuhören im Sitzen gemacht wurde. In unserem Abokonzert im Mai wird – unter Anleitung – im Anschluss an die Aufführung getanzt werden.  

Neue Hofkapelle Graz
Saison 2022/23: Festtage

Abo-Konzerte:

„Zusammengebraut – München 1685“, Minoritensaal, 20.1.2023, 19.30 Uhr

„Violin, my Dancing Queen“, Minoritensaal, 5.5.2023, 19.30 Uhr

www.hofkapelle.at