Mit dem Spätwerk von Arnulf Rainer präsentiert die Galerie Reinisch Kunst, die gleich an mehreren Tabus kratzt.
Gleich drei Werkgruppen stehen im Zentrum der Ausstellung Arnulf Rainer Akte in der Galerie Reinisch. Manchen werden die expliziten, sexuellen Darstellungen zu direkt sein, andere werden sich an der Tatsache stoßen, dass ein alter Mann Werke mit jungen Frauen schuf. „Was Arnulf Rainer jedenfalls gelungen ist, ist, ein Spätwerk zu schaffen, das anders ist“, so Kuratorin Manuela Schlossinger.
Subtile Erotik
Dem Körper der Frau wandte sich Rainer bereits in seinen Arbeiten in den 1970er-Jahren zu und schuf Übermalungen alter trivialer Fotografien des frühen 20. Jahrhunderts aus Sport, Erotik und Tanz. In seinem Spätwerk entwickelte Rainer dieses Vorgehen für seine Werkgruppen Klimt und Schiele sowie Alte Meister um eine wesentliche Stufe weiter. Kein Faksimile diente mehr als Vorlage, sondern Motive von zum Beispiel Gustav Klimt, Egon Schiele, Paul Gauguin, Eduard Manet und anderen wurden mithilfe von Modellen nachgestellt, fotografiert und in die Reproduktion der Vorlage eingebaut. Das European Cultural Center rund um Rene Rietmeyer stand Rainer, wie schon Künstlern wie Cy Twombly, Hermann Nitsch und Yoko Ono, für das langjährige Projekt zur Seite. Die Organisation eröffnete Rainer bei der Vorbereitung der Vorlagen durch den Einsatz von Photoshop völlig neue Möglichkeiten und baute nicht nur nach Anweisung des Künstlers die Vorlagen zusammen, sondern stellte auch die Modelle sowie Fotografen und organisierte die Reisen nach Teneriffa, wo die Fotoshootings im Atelier des Künstlers stattfanden. Der wesentliche Unterschied zu vorangegangenen Überarbeitungen alter Meister oder Frauenakten war der aktive Eingriff in das Motiv durch die Leitung und Anleitung der Fotoseancen durch Rainer selbst. Ganz anders aber ergab sich durch die Vorgaben der alten Kunstwerke eine Richtung, die Rainer durch seine Anleitung der Fotomodelle verändern oder verstärken konnte. Er führte Regie, wählte Ausschnitte und dirigierte das aktive Zusammenspiel von Motiven, Modellen, Fotografen und Grafikern in Hinblick auf das ausgewählte Werk des jeweiligen Künstlers, den er schätzte, um eine ideale Vorlage für seinen späteren Dialog mit dem Bild zu schaffen.
Schonungslos explizit
Während Arnulf Rainer und die Werkgruppen wie Klimt und Schiele oder die Alten Meister von einer noblen Erotik zeugen, ist bei dem Zyklus Bondage nichts subtil. Rainers Interesse an der japanischen Kulturleistung des Bondage oder Shibari in Verbindung mit dirigierten sexuellen Handlungen zweier weiblicher Modelle manifestiert sich in einer schonungslos expliziten Werkgruppe. „Sadistische und masochistische motivische Elemente vermischen sich mit den provokant direkten Blicken aus dem Bild heraus und den leidenschaftlich gesetzten malerischen Eingriffen auf der Vorlage. Diese Eingriffe sind rasend und wild, der Dialog intensiv und expressiv. Die Farbe umschlingt die Protagonistinnen oftmals in leidenschaftlicher Umarmung und umkreist Gesicht und Körper, bis ein heftiger Wirbel entsteht, der wichtige Stellen unterstreicht und andere fast auslöscht oder zudeckt“, so Manuela Schlossinger.
Die Bondage-Reihe beeindruckt mit ihrer schieren Intensität. Die Modelle reagieren auf Rainers Regieanweisungen und geben sich enthemmt der Kamera hin. War das Übermalen bei den Arbeiten der Werkgruppe der Alten Meister bis zu einem gewissen Grad ein Dialog mit einem anderen Künstler, so leitet Rainer schon bei der Erschaffung der Bondage-Fotos ein Selbstgespräch ein. Kein anderer Meister muss beachtet werden, nur das Produkt seiner eigenen Schöpfung stellt sich dem Gespräch mit dem Künstler. Was als größter Kontrast zu Rainers berühmten Arbeiten der frühen Zeit hervorsticht, ist der positive Ansatz, der Schöpfungsdrang, der Wille, sich auf kommunikative Weise mit den selbst geschaffenen Vorlagen auseinanderzusetzen ohne den destruktiven, aggressiven Angriff auf den Malgrund.
Einer der ganz Großen
Arnulf Rainer zählt zu den großen Meistern der Kunst in Österreich. Sein mittlerweile über sechs Jahrzehnte spannendes Schaffen zählt zu den Fixpunkten der europäischen Kunstgeschichte. Er gilt als Begründer des Informel in Österreich und erlangte bereits früh mit seinen Übermalungen internationale Beachtung. Die aggressive Überarbeitung von Fotografien seines eigenen Körpers führte ihn auf der Suche nach neuen bzw. archaischen Möglichkeiten der Körpersprache auf den Weg, den Katalog der menschlichen Emotionen zu erweitern. Ein dringendes Verlangen, das auch vielen folgenden Werkgruppen zugrunde lag. Während bei den frühen Übermalungen das Vorhandene ausgelöscht wurde, gelang es Rainer, mit den Face Farces und Body Poses den Ausdruck seines eigenen Körpers zu erweitern. Radikal führte er die Suche bei den Werkgruppen der Totenmasken und Fingermalereien fort und schuf so bis zum Ende der 1980er-Jahre einen Werkkomplex, der sich kompromisslos und konsequent darstellt. Ab den 1990er-Jahren begann Arnulf Rainer sich für alte Kunst zu begeistern, für die italienische Frührenaissance und die holländischen Meister, deren Arbeiten er als Faksimile reproduziert auf ganz neue Weise bearbeitete.
Im Interview: Galerist Helmut Reinisch
„Ich war begeistert, aber noch mehr überrascht.“
Galerist Helmut Reinisch hatte vor Jahren das Glück, einige Arbeiten aus diesem Rainer-Spätwerk zu Gesicht zu bekommen. Nun präsentiert er diese außergewöhnlichen Werke in seiner Grazer Galerie.
Was unterscheidet die nun in Graz präsentierte Werkgruppe von Arnulf Rainers früheren Werken?
So radikal und spannend Rainers frühe Werkgruppen sind, so radikal anders und spannend ist diese. Hatte Rainer beispielsweise Fotos von sich, von Totenmasken, Stichen etc. übermalt und Schwarz bevorzugt – was er mit Purheit und Armut der Farbe in Zusammenhang brachte –, schuf er nun ein explosives, sinnliches Feuerwerk. Bisher hatte Rainer Fotos übermalt, diesmal war er gleichzeitig Drehbuchautor und natürlich Künstler selbst.
In welchem Zusammenhang stehen die Fotos und Farben?
Diese farbliche Explosion ist nicht primär auf die Akte bezogen, sondern auf ein sommerliches Fest der Farben. Die Arbeiten erinnerten mich sofort an den Ausstellungszyklus Lumieres du Sud, bei dem Kunsthistoriker in Museen zwischen Nizza und Marseille 2015 aufzeigten, dass nach dem Bau der Eisenbahnverbindung von Paris nach Marseille viele Künstler die Sommermonate im nun leicht erreichbaren Süden Frankreichs verbrachten, was vorher höchst beschwerlich war. Die Ausstellung zeigte die absolute Veränderung der Werke einer ganzen Künstlergeneration: Zwischen einem tristen Nebel-Novembertag in Paris oder Wien und dem „Licht des Südens“ kommt natürlich eine völlig andere Stimmung, Emotion und somit Farbstimmung auf. Das Klima prägt den Menschen, der Mensch seine Werke.
Arnulf Rainer ließ sich vom Licht des Südens inspirieren?
Die Arbeiten entstanden im Rahmen von Sommerworkshops. Als ich die Kunsthistorikerin Sarah Gold kennenlernte, die wichtige Projekte des European Cultural Center betreute und bei Rainer auch als Modell fungierte, wurde dieser Eindruck durch die Erzählungen, wie und in welcher Atmosphäre die Bilder entstanden waren, bestätigt. Sie berichtete von einer anstrengenden, arbeitsreichen, aber sympathischen und geradezu ausgelassenen Atmosphäre. Jedenfalls waren die Workshops so erfolgreich und die Ergebnisse ausreichend befriedigend, sodass dasselbe Team an Fotografen, Grafikern, Models und Rainer selbst immer wieder – Jahre hindurch – diese Sommerworkshops fortsetzten.
Welche Aspekte faszinieren Sie an den Akten besonders?
Für mich ist als Betrachter besonders spannend, zu suchen und dabei nicht immer leicht zu erkennen, wo nun Schiele aufhört und das Model-Foto beginnt oder umgekehrt. Wie so oft ist die Verhüllung bei Rainer ein ganz elementares Prinzip. Der „Übermaler“ Rainer verstärkt durch seine verbleibenden Bildausschnitte die Neugierde. Die Rätselhaftigkeit ist das Wichtigste. Man blickt wie durch ein Schlüsselloch oder wie durch eine Öffnung in einem Vorhang auf das, was dem Künstler wesentlich ist. Zufällig oder nicht sind es häufig vertikal langgezogene Rauten, das archetypische Fruchtbarkeitssymbol, durch die man die zum Teil liebevoll verdeckten Aktausschnitte sieht.
Arnulf Rainer Akte
Eröffnung: Fr, 16.12., 19Uhr
Mit einem Gespräch zwischen Philipp Hochmaier und Sarah Gold
Eröffnung nur für geladene Gäste, Anmeldung unter: hr@reinisch-graz.com
Die Ausstellung ist bis 16.1.2023 zu sehen, Besichtigungen nach Vereinbarungen.
Galerie Reinisch Contemporary
Hauptplatz 6, 8010 Graz