Die Ausstellungen „Ingrid Wiener, Martin Roth. Von weit weg sieht man mehr“ und „Isa Rosenberger. Schatten, Lücken, Leerstellen“ im Kunsthaus Graz bieten zeitgenössische Kunst ein wenig anders und zeigen bis Mai, dass alles mit allem zu tun hat.
Text: Lydia Bißmann
Die ersten beiden Ausstellungen in diesem Jahr im Kunsthaus Graz, das heuer sein 20. Bestehen feiert, sind zwar getrennt voneinander entstanden, lassen sich aber problemlos zu einer Schau verbinden. Beide fügen sich scheinbar nahtlos in die unkonventionelle Architektur des Gebäudes ein und bekommen von ihr viel Luft zum Atmen und Wirken.
Ingrid Wiener, Martin Roth: Blick auf die Natur
Von weit weg sieht man mehr widmet sich dem Werk von Ingrid Wiener und Martin Roth. Obwohl sie beide aus unterschiedlichen Generationen kommen, gibt es viele Schnittpunkte in ihren Werken. Ingrid Wiener wurde 1942 in Wien geboren und arbeitete in den 50er- und 60er-Jahren bei Aufführungen und Filmen der Wiener Gruppe mit und webte als Textilkünstlerin in den 70er-Jahren einen Hundertwassergobelin. Sie nutzt die Teppiche wie eine Leinwand und webt sie zu einer Art Wimmelbild einer Stadtszenerie, Blicke aus dem Flugzeug oder einem Stillleben eines Kabelsalats unter einem Schreibtisch. Teppich und Natur gibt es auch im Werk von Martin Roth, der 1977 geboren wurde. In seinen Aktionen öffnete er etwa den white cube für Tiere und ließ ausschließlich Kaninchen durch seinen New Yorker Ausstellungsraum hoppeln. Neben Dokumentationen dieser Arbeit sind im Kunsthaus auch ein nach seinem Konzept mit Echtgras bewachsener Teppich zu sehen, oder ein Bonsai, der mit Tiergeräuschen beschallt wird. Die Vögel, Fische und Insekten, die dafür den Sound lieferten, waren zu Beginn für einige Tage im Untergeschoß des Kunsthauses zu betrachten, bevor sie im Tierpark Herberstein eine neue Heimat fanden. „Ich wollte, dass meine Kunst lebendig ist. Sie soll ein Eigenleben führen und sich ständig verändern und weiterentwickeln können“, so der leider 2019 viel zu früh verstorbene Fotograf, Maler und Konzeptkünstler.
Isa Rosenberger: Blick auf die Geschichte
Im Space 02 werden Arbeiten von Isa Rosenberger gezeigt, die sich in
Schatten, Lücken, Leerstellen mit den Geschichten und Arbeiten von u. a. jüdischen Frauen beschäftigt. Durch den Terror des Nazi-Regimes waren Künstlerinnen wie die Tänzerin Gertrud Kraus, die Schauspielerin Stella Kadmon oder die Autorin Gina Kaus zur Emigration gezwungen. Mit im Gepäck ihre künstlerischen Ressourcen, womit sie die künstlerische Szene in Hollywood oder Tel Aviv prägten und in der Heimat Lücken hinterließen. Die bisher umfassendste Schau von Isa Rosenberger in Graz zeigt neben sechs älteren Arbeiten die Neuproduktion MANDA, die aus einer Zusammenarbeit mit der Stiftung Bauhaus entstanden ist. Hier begibt sich eine Tänzerin im Bauhausarchiv performativ auf die Suche nach vergessenen Geschichtsfragmenten des Bauhauses. Rosenberger nimmt sich neben den Geschichten selbst auch die Geschichtsschreibung als solche vor. So wurde der abstrakte Stäbetanz, der immer noch in Ballettausbildungen unterrichtet wird, Oskar Schlemmer zugeschrieben, tatsächlich aber gemeinsam mit der Tänzerin Manda von Kreibig entwickelt. Die Ausstellung bietet einen neuen Blick auf Geschichte anhand von einzelnen Schicksalen und hat stark dramaturgischen Charakter. Die einzelnen Stationen wirken wie kleine Minibühnen, die jede ihre eigene Geschichte erzählt.
Zu den Ausstellungen gibt es ein reiches Diskurs- und Performanceprogramm. Zu finden unter museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/kalender
Ingrid Wiener, Martin Roth. Von weit weg sieht man mehr
Kuratiert von Katrin Bucher Trantow, Michaela Leutzendorff Pakesch
bis 21.5.2023, Di–So, 10–18 Uhr
Kunsthaus Graz, Space01
Lendkai 1, 8020 Graz
Isa Rosenberger. Schatten, Lücken, Leerstellen
Kuratiert von Barbara Steiner,Alexandra Trost
bis 1.5.2023, Di–So, 10–18 Uhr
Kunsthaus Graz, Space02
Lendkai 1, 8020 Graz