Maryam Mohammadi und Joachim Hainzl vom Verein XENOS haben gemeinsam mit dem Graz Museum eine Ausstellung konzipiert, die vom Alltag, dem Studium, der Freizeit, dem kulturellen Zusammenleben und politischen Aktivitäten iranischer Studierender in den 1950ern bis in die 70er-Jahre erzählt.
Text: Lydia Bißmann
Wie kam es zur Idee, eine Ausstellung über Studierende aus dem Iran im Graz Museum zu machen?
Joachim Hainzl: Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten in meiner Arbeit mit dem Thema Migration und Alltagsgeschichte unter dem Aspekt soziokultureller Vielfalt. Bei meinen Recherchen bin ich über die statistischen Daten der Stadt Graz gestolpert und habe bemerkt, dass Ende der 1950er-, Anfang 60er-Jahre die Zahl ausländischer Studierender in Graz sehr groß gewesen ist. An der Technischen Hochschule betrug der Anteil der ausländischen Studierenden Ende der 50er-Jahre ungefähr zwei Drittel. Stadtgeschichtlich wird das bisher wenig beschrieben. Wir mussten uns das Thema selbst erarbeiten, es gab kaum Sekundärliteratur. Ursprünglich wollten wir eine Ausstellung zur Bildungsmigration machen, die die griechischen, türkischen oder arabischen Studierenden einschließt. Wir haben uns dann für den Iran entschieden, da wir auch von Maryams Kompetenzen als Iranerin profitieren konnten.
Maryam Mohammadi: Durch andere Projekte kannten wir schon iranische Studierende, die uns von einem Stammtisch ehemaliger Studierender aus Graz in Teheran erzählt haben. Wir haben mit ihnen Kontakt aufgenommen und unsere allerersten Interviews im Iran gemacht. Das war sehr nett und interessant – lauter ältere Männer über 80, die uns Fotoalben gezeigt und sich mit uns unterhalten haben. Wir haben dann im Laufe der Zeit zwanzig Interviews mit der ersten Generation und fünf Interviews mit der zweiten Generation geführt, also den Kindern von „mixed couples“, die Eltern aus dem Iran und Österreich haben.
Warum sind nach dem Zweiten Weltkrieg so viele Studierende aus dem Ausland nach Graz gekommen?
Maryam Mohammadi: Im Iran gibt es immer noch die Idee, dass es einem eine bessere Zukunft eröffnet, wenn man im Ausland studiert. Graz wurde dafür aus zwei Gründen gewählt: Einerseits war das Leben und das Studium selbst hier in der Nachkriegszeit viel günstiger als anderswo und andererseits hatte die Technische Hochschule einen hervorragenden Ruf. Sie bot eine sehr diverse Auswahl an Fächern an. Die meisten, nicht alle, kamen aus eher reichen Familien. Zeitzeugen erzählten uns, sie konnten sich in Graz ein Auto leisten, wo Grazer noch nicht einmal ein Fahrrad hatten. Sie trugen Anzüge, parfümierten sich gerne und besuchten Tanzschulen, nicht nur um das Tanzen, sondern auch die soziale Etikette zu lernen.
Joachim Hainzl: Für viele aus der Millionenmetropole Teheran war das Ankommen in Graz ein Schock, wie eine Reise ins 19. Jahrhundert. Ein ehemaliger iranischer Student erzählte, dass er im Iran mit seiner Schwester ein ganzes Stockwerk mit Bad und Dusche zur Verfügung hatte. In Graz fand er sich in einem Zimmer am Stadtrand wieder, wo er sich in einer Lavur waschen und das Plumpsklo draußen benutzen musste. Unsere ZeitzeugInnen haben immer halb entschuldigend gesagt: „Das war eben nach dem Krieg, da war eben alles grau und zerstört!“ Es war aber schon Ende der 50er-Jahre.
Wie ging Österreich mit so vielen Auslandsstudierenden um?
Joachim Hainzl: Österreich hat die Kosten für ausländische Studierende an den Hochschulen als eine Art Entwicklungshilfe verstanden. Als der Andrang jedoch größer wurde, hat man für bestimmte ausländische Studierende Hürden, wie den Vorstudienlehrgang, eingebaut. Im Iran waren damals die Studienplätze limitiert, es gab strenge Aufnahmeprüfungen. Für viele, die diese nicht geschafft haben, gab es nur noch die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen. Das war auch ein Angriffspunkt für rechte Studierendenvertreter, die dann gemeint haben, da käme ja nur die schlechte Auslese daher, das wären alles „die Durchgefallenen“.
Wie viele Studentinnen aus dem Iran gab es in den 60er- und 70er-Jahren?
Maryam Mohammadi: Wir haben von Anfang an nach Interviewpartnerinnen gesucht, aber es war schwierig. Es gab wenige Frauen damals unter den Studierenden in Graz, es waren hauptsächlich Männer. Ein Grund war, dass Männer auch vor Ablegen des Wehrdiensts noch schnell das Land verließen. Diesen Druck hatten Iranerinnen nicht. Aktuell gibt es mehr weibliche Studierende an den Unis im Iran, aber damals war das nicht so.
Die Ausstellung wird illustriert mit Zeitungsausschnitten, Dokumenten und privaten Fotos. Wie kommt man zu diesem oft sehr privaten Material?
Maryam Mohammadi: Wir haben bei unserer umfangreichen Recherche Unterlagen im Steiermärkischen Landesarchiv, im Universitätsarchiv der Uni Graz und anderen Einrichtungen gefunden. Die meisten Fotos, die wir in der Ausstellung verwenden, stammen jedoch aus privaten Fotoalben. Sie zeigen das eigene Zimmer teilweise mit genauen Beschreibungen, Aufnahmen mit der Vermieterin, von Ausflügen, Festen, Freundinnen und Freunden, aber auch Hochzeitsfotos. In der Ausstellung gibt es auch einen Abschnitt, der dem Thema Beziehung gewidmet ist.
Joachim Hainzl: Es gibt darunter sehr viele Bezüge zur steirischen und zur Grazer Geschichte und wie ausländische Studierende, eben Iranerinnen und Iraner Teil dieser Zeitgeschichte sind. Ein Foto zeigt etwa iranische Studierende neben der Radetzkybrücke, mit einer Straßenbahn und einem O-Bus im Hintergrund. Eine solche Darstellung ist selten, weil sich GrazerInnen vielleicht gar nicht so oft an dieser Stelle fotografieren ließen.
Politischer Aktivismus spielt eine große Rolle in der Ausstellung. Viele kamen aus gutbetuchten Elternhäusern – woher kommt diese Linksorientierung?
Joachim: Wir haben gleich bei unseren ersten Interviews entdeckt, dass die Studierenden aus dem Iran politisch sehr engagiert waren. Die Ausstellung behandelt neben der Bildungsmigration auch den Aspekt der studentischen Protestbewegung und vermittelt das Zeitgefühl der 60er-Jahre mit ihrer Antiimperialismus- und Antikriegsbewegung. Und in Graz studierende Iraner*innen bildeten ein führendes Zentrum in Mitteleuropa für den Protest gegen den Schah, aber auch gegen den Vietnamkrieg oder die griechische Militärdiktatur. Es waren aber nicht alle iranischen Studierenden hier links oder politisch. Was sie einte, war ihre kritische Haltung gegenüber Schah Mohammad Reza Pahlavi. Viele sind erst hier durch die Community politisiert worden. Der Verein Persepolis, den wir in der Ausstellung behandeln, spielt dabei eine große Rolle.
Aus dem Iran. Studieren im Graz der 50er- bis 70er-Jahre
Eine Ausstellung in Kooperation mit XENOS – Verein zur Förderung der soziokulturellen Vielfalt
25.5.–10.12.23, täglich 10–18 Uhr
Graz Museum Sackstraße