Ulrich Lenz ist ab der Saison 23/24 neuer Intendant der Oper Graz. Wir sprachen mit ihm über seine Vorstellung einer gelungenen Opernproduktion, das Publikum und zeitgenössische Oper.
Text: Stefan Zavernik
Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, sich für die Stelle des Intendanten an der Oper Graz zu bewerben?
Ich hatte mehrere Gründe. Zum einen ist mir eine Liebe zu Österreich aus meiner Zeit als Operndramaturg in Linz geblieben. Die Wertschätzung, die Kunst und Kultur in Österreich erhalten, ist in meinen Augen etwas Einzigartiges. In einem Land wie diesem im Kunstbetrieb zu arbeiten, ist großartig. Hinzu kommt, dass für mich Graz eines der schönsten Opernhäuser auf der ganzen Welt besitzt. Und: die Stadt zählt seit jeher zur Speerspitze der Avantgarde. In Graz spürt man eine interessante Spannung zwischen Tradition und Moderne.
Was macht für Sie generell eine gute Opernproduktion aus?
Das Zusammenspiel der beiden Elemente Musik und Theater. Beides sollte gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Ich finde es schade, wenn Leute sagen „Die Inszenierung hat mir nicht so gut gefallen, aber die Musik war großartig …“. Wenn das Zusammenspiel gelingt, hält man sich gar nicht mehr an dem einen oder anderen auf. Ebenso ist ein gut eingespieltes Ensemble für eine gelungene Produktion maßgebend.
Welche Rolle spielen für Sie Publikumszahlen? Wie massentauglich kann bzw. soll eine Institution wie die Oper Graz sein?
Publikumszahlen müssen für mich eine wichtige Rolle spielen. Sie sind Teil meines „kulturpolitischen Auftrags“. Und ganz grundsätzlich: Niemand will vor einem leeren Haus spielen. Theater kann nur stattfinden, wenn es ein Publikum und eine Kommunikation mit diesem gibt. Gleichzeitig sollte es nicht unser Auftrag sein, nur das zu produzieren, was garantiert Kasse bringt. Das wäre aus meiner Sicht schade, denn so würden viele wunderbare Stücke nie gespielt werden. Ich denke, es braucht eine gute Mischung aus bekannten Titeln und Werken, die es neu zu entdecken gilt. Das allgemein bekannte Repertoire der Opernwelt ist ja relativ überschaubar, eine stetige Auffrischung und Erweiterung des Repertoires ist hier schon wichtig.
In den letzten Jahren ist an der Oper Graz viel passiert, damit unterschiedliche Zielgruppen für das Genre Oper erreicht werden. Werden Sie hier zusätzliche Ideen einbringen?
Ich brenne einfach für Musiktheater und möchte so viele Leute wie möglich für dieses wunderbare Genre begeistern. Leider ist es nach wie vor so, dass die Oper mit vielen Vorurteilen behaftet ist: „Oper ist teuer und etwas Elitäres“; „Man muss dafür immer elegant angezogen sein“; „Womöglich verstehe ich die Aufführung nicht“. Ich möchte diese Berührungsängste abbauen. Beim Musiktheater geht es um nichts anderes, als dass Menschen ihre Emotionen in Musik ausdrücken. Dafür ist aus meiner Sicht jeder zugänglich, wenn er oder sie es zulässt. Natürlich will man immer auch die ins Haus bekommen, die eben noch nicht von allein kommen. Schlussendlich ist das sicher nur bedingt möglich. Dennoch lasse ich hier nicht locker. Mit Projekten wie dem Opernpucherl oder dem Musiktheater-Spaziergang Der Kirschenrummel möchten wir für all jene Menschen einen Berührungspunkt zur Oper erschaffen, die einen solchen für sich noch nicht gefunden haben.
Welchen Stellenwert nimmt für Sie der Bereich Kunstvermittlung ein?
Hier ist in den letzten Jahren an der Oper Graz schon sehr viel passiert. Wir werden vieles davon weiterführen und Neues anbieten. Wie zum Beispiel das erwähnte Opernpucherl, eine Art „Mobile Oper“. Wir fahren mit einer Mini-Erzähl-Oper hinaus aufs Land, um Menschen zu erreichen, die bisher noch nie im Opernhaus waren. Dabei sind wir nicht missionarisch unterwegs, niemand MUSS Oper mögen! Wir erzählen den ersten Teil der Mini-Oper Der Berggeist vom Schöckl vor Ort, auf dem Land, die Fortsetzung erlebt man dann im Opernhaus – wenn man das möchte.
Auch mit der Produktion Der Kirschenrummel geht die Oper Graz in den öffentlichen Raum. Das Stück widmet sich einem Grazer Protestzug gegen die Teuerung aus dem Jahr 1920, bei dem es Tote gab. Was erwartet die BesucherInnen bei diesem Musiktheater-Spaziergang?
Wir beginnen die Aufführung am Kaiser-Josef-Platz, ziehen durch die Stadt und enden im Kunsthaus. Im Grunde ist es derselbe Weg, wie ihn der Protestzug damals gegangen ist, der am Südtirolerplatz blutig niedergeschlagen wurde. Ich habe mich intensiv mit der Geschichte der Stadt auseinandergesetzt. Es hat mich verwundert, dass so gut wie niemand von dieser Tragödie heute noch weiß. Diese Geschichte weist unglaublich viele Parallelen zur heutigen Zeit auf.
In welchen Bereichen werden Sie als Intendant neue Akzente setzen?
Die Oper Graz wurde in den letzten Jahren hervorragend geführt. Die Spielpläne der vergangenen Spielzeiten waren gerade in ihrer Vielfältigkeit enorm spannend . Ich möchte diesen Weg fortsetzen. Zwei Randbereiche werden von mir vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Zum einen die Barockoper. Zumindest in den letzten Jahren ist dieses Genre auf der großen Bühne nur sehr selten aufgetaucht. Hier möchte ich mehr davon bringen. Genauso möchte ich mehr zeitgenössische Oper, Oper des 21. Jahrhunderts, aufführen. Ich finde, in einer Stadt wie Graz, in der es ein Festival wie den steirischen herbst gibt, aus der Komponisten wie Georg Friedrich Haas oder Olga Neuwirth stammen, in der ein Beat Furrer Komposition unterrichtet, da muss auch das Opernhaus seinen Teil zur zeitgenössischen Kunst beitragen.
Zeitgenössische Oper als Publikumsmagnet?
Wohl eher nicht. Es handelt sich dabei sicherlich um keinen „Selbstläufer“, auch hier gibt es zahlreiche Vorurteile. Aber ich will den Versuch wagen, die Menschen auch dafür zu gewinnen. Es gibt auch in diesem Bereich viele Werke, die ohne jegliche Vorkenntnisse zugänglich sind und unmittelbar berühren. Ich denke, dass wir mit dem neuen, überaus vielseitigen Chefdirigenten Vassilis Christopoulos einen großartigen Dirigenten für dieses und viele weitere Vorhaben gefunden haben.