Noch bis zum 5. August zeigt das KULTUM im zweiten Stock die als Triptychon konzipierte Installation „Fleeing Shadows” von Henry Jesionka, der sich darin mit Wissenschaft und ihren katastrophalen Folgen für die Menschheit beschäftigt.
Text: Lydia Bißmann
Kommt das Grauen in Gestalt von verkohlten Leibern, Blut und zerfetztem Fleisch daher, verschließt man sich instinktiv, um sich zu schützen. Erscheint der menschliche Abgrund aber in so schönem Auftritt, wie in den Skulpturen und Installationen des Medienkünstlers, Fotografen, Physikers und bildenden Künstlers Henry Jesionka, wird es schwer, den Blick abzuwenden. Innen und außen. Die Ausstellung Fleeing Shadows im KULTUM ist auf drei kleine Räume beschränkt und zeigt nur sechs verschiedene Artefakte, die dafür umso aufgeladener sind mit moderner, christlicher und asiatischer Ikonologie. Der Künstler ist eben auch Filmemacher und inszeniert die Details der Vernichtung anmutig und sinnlich und mit einem ausgeklügelten dramaturgischen Konzept. QR-Codes erlauben den raschen Zugang zu tieferem Wissen, das sachlich und unaufgeregt formuliert ist. Genau diese Sorgfalt und Anmut ist es vermutlich, die die Schau, die immerhin eine Todesmaschine und die horrenden gesellschaftlichen Konsequenzen von Todsünden wie Hochmut, Habgier, Eitelkeit und Trägheit aufzeigt, so faszinierend macht.
Dreifaltigkeit
„Trinity“ nannte J. Robert Oppenheimer die erste oberirdisch gezündete Atombombe in der mexikanischen Wüste, die die Probe zu den Abwürfen der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki war. Trinity heißt auch die Skulptur, in die Jesionka den „Vater der Atombombe“ im ersten Raum in einen mandelförmigen Schrein platziert hat, der die gleichen Maße wie die Vernichtungswaffe hat. Dieser Sarg, aus dem der Forscher dandyhaft aus einem Schwarzweißfoto hervorlächelt, ist umringt von Vignetten, die aufblühende Blumen und Fotos von Nuklearexplosionen in atomarer Größe darstellen. Wie hässliche Tumore glotzen die Rapatronic-Bilder aus der Leinwand hervor und formen eine Art Heiligenschein um die Bombe, die mit einer gespiegelten Kronenplastik bestückt ist. Unter dem Oppenheimer-Porträt liegen goldene Taschenuhren, die allesamt auf 8.16 Uhr eingestellt sind. Dem Zeitpunkt, an dem die Bombe über Hiroshima gezündet wurde. Grün oxidiertes Kleingeld wächst wie Finger aus dem Boden hervor. Die Hitze einer atomaren Sprengung übersteigt die Temperatur der Sonnenoberfläche. Das ließ Metallgegenstände wie Münzen in den Hosentaschen der Menschen zu Klumpen zusammenschmelzen.
Gegenüber hängt eine prachtvoll glänzende und schillernde Ikone namens Black Hole, die den Quantenphysiker Stephen Hawking, umrahmt von den „schwarzen Löchern“ der Wissenschaft zeigt. Die durch seine Krankheit verursachte Körperhaltung des Physikers erinnert an ein christliches Schmerzensbild, an einen leblosen Jesus auf einer Pieta. Das Rad seines elektrischen Rollstuhls ist einem mythologischen Sonnenrad nachempfunden, das hier sehr flauschig anmutet, da seine Konturen aus magnetisch haftenden Eisenspänen bestehen. Dolly, das berühmte Klonschaf, blickt aus einem Relief an der oberen rechten Ecke hervor. Unten links befindet sich ein eingeritztes Hopfield-Netz. Die Erkenntnisse des amerikanischen Physikers John Hopfield sind unverzichtbar für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz KI.
Sekunden in Bronze und Alu
Zwei Skulpturen von fast überirdischer Schönheit nehmen den zweiten Raum für sich ein. Die Figur T= 0 – +73.191 sieht zuerst wie ein menschliches Rückgrat samt Becken aus, ist aber eine in Alu gegossene Timeline der Challenger-Explosion 1986. Knappe 73 Sekunden nach dem (Warnungen von Wissenschaftlern zum Trotz) lancierten Start des Space Shuttles, explodierte es und kostete der siebenköpfigen Besatzung das Leben. Mit der zweiten Arbeit T= +76.437 hat der Künstler die Rauchwolke der Explosion in Sekunde 76 in Bronze nachempfunden. Durch den Grünspan und die Patina wirkt sie wie ein antikes Fundstück, strahlt Anmut und Wärme aus. Henry Jesionka, der sich zum Zeitpunkt des Absturzes gerade in einem kanadischen Filmstudio aufhielt und die Detonation wie so viele andere auch live am Bildschirm mitverfolgen musste, hat die Wolke mühevoll aus Originalfotos in Styroporschaum in 3D nachgestellt. Staub kann man nicht anfassen, hier hat ein Moment des Todes Körper angenommen. Das ist schwer zu begreifen mit dem Kopf, auch wenn die Hände unbedingt das glatte Metall streicheln möchten.
Abwesenheit von Licht
Im letzten Raum ist eine lebensgroße, schwarze Silhouette eines sitzenden Mannes mit Oppenheimers Profil und der unverzichtbaren Zigarette an der Wand angebracht. Photo Graph scheint vor einem abgefackelten Holzstuhl zu schweben, was die Installation noch unheimlicher und flüchtiger macht. Sie ist den Abdrücken von Menschen und Alltagsgegenständen wie Fahrrädern nachempfunden, die die unglaubliche Helligkeit des atomaren Blitzes auf dahinterliegenden Oberflächen hinterließen. Schatten sind bekanntlich die Abwesenheit von Licht und der Abwurf der beiden Nuklearbomben über Japan kann als eine der dunkelsten Stunden der Menschheit bezeichnet werden. Der fast heitere Physiker-Scherenschnitt an der Wand bildet dazu einen absurden Kontrast. Das letzte Exponat schließt den Kreis, holt die BesucherInnen aus den Exkursionen in die 30er, 40er und 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts zurück in die Gegenwart. Im Inneren der, einem Wrack nachempfundenen Skulptur namens Elégie aus Schiffsplanken und Schwemmholz, finden sich zwei metallene menschliche Hände. Sie tragen Zitate von Flüchtenden, die einen Schiffbruch überlebt haben und Passagen aus der Bergpredigt. Flüchtlingstragödien sind zeitlos.
Henry Jesionka: Fleeing Shadows
Bis 5.8.2023, Di–Sa: 11–17 Uhr,
So: 15–18 Uhr
KULTUM, 2. Stock, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, (In Kooperation mit La Strada, Kurator: Johannes Rauchenberger).
tickets@kultum.at, 0316 711 133