Andrea Vilter, die neue Intendantin des Schauspielhaus Graz, über programmatische Schwerpunkte, Theater im digitalen Raum und den Blick auf die Quote.
Text: Wolfgang Pauker
Sie haben am Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Wo sehen Sie das Grazer Schauspielhaus im – auch internationalen – Vergleich?
Ich sehe es tatsächlich genau da – im internationalen Vergleich. Denn es kann sich mit allen Häusern messen. Die sogenannten großen Häuser haben natürlich andere Ressourcen. Was aber das Renommee betrifft, so kann man an jedem Ort gutes Theater machen. In weiterer Folge geht es aber darum, wie man Qualität sichern und auf einem bestimmten Niveau zuverlässig abliefern kann. Hier spielen bestimmte Gegebenheiten wie die Größe einer Stadt oder die Aufgeschlossenheit des Publikums eine Rolle. In Graz sind all diese Parameter sehr gut. Weil Graz insgesamt eine kulturell wahnsinnig agile Stadt ist, hier der Boden in vielerlei Hinsicht schon gelegt ist und das Schauspielhaus deshalb auf sehr hohem Niveau agieren kann. Meiner Ansicht nach müsste man nicht nach Wien fahren, um gutes Theater zu sehen. Das kann man auch in Graz.
Mit welchen Visionen treten Sie an?
Mir ist der Begriff des Stadttheaters sehr wichtig und das Schauspielhaus Graz ist ein solches. Also ein Haus, das sehr angebunden ist in der Stadtgesellschaft und sich bei all dem internationalen Renommee, das es besitzt, hier an das Publikum wendet. Als Vision würde ich beschreiben, dass wir versuchen, alles das, was Theater an Ästhetiken und Thematiken gerade ausmacht, in einem großen Spektrum zu bieten. Mit bestimmten Schwerpunkten, die wir setzen wollen, die im Spielplan bereits enthalten sind und sich in einer programmatischen Neuausrichtung der Spielstätten zeigen.
Herzstück Ihrer ersten Saison ist die Erweiterung des Theaterkanons: Braucht es neue Blickwinkel auf alte Stücke?
Ja, immer! Denn das ist ja auch das Tolle an dieser Kunstform, dass man Texte immer im Hier und Jetzt neu lesen und sich neu damit auseinandersetzen kann. Was wir mit der Kanonerweiterung meinen, ist, dass wir neue Strategien finden wollen, um ihn ganz buchstäblich zu erweitern durch Stücke, die in der Vergangenheit wenig gespielt wurden. Was leider oft daran lag, dass es sich um Autorinnen und eben um weibliche Perspektiven handelt. Es gibt zwar ein Bewusstsein dafür, dass Stücke von Frauen nicht im Kanon sind, aber diese Stücke wirklich in den Spielplan aufzunehmen, das passiert selten. Diesen Schritt in die Praxis, den wollen wir jetzt setzen. Das ist sicher auch ein Experiment, aber das Grazer Publikum reagiert bislang sehr aufgeschlossen.
Was darf man sich von der „Konsole“, vormals HAUS 3, als Bühne für digitales Theater erwarten?
Es ist so etwas wie ein Forschungsschwerpunkt mit der Idee, dass wir uns verstärkt mit digitalen Theaterformen beschäftigen müssen. Die Digitalisierung ist unwiderruflich in der Gesellschaft angekommen und bestimmt unsere Lebenswirklichkeiten mit – was sich mit der Pandemie natürlich dynamisch verselbstständigt hat. Ich habe als Professorin an der Kunstuniversität festgestellt, dass es hier ein großes Interesse in dieser Generation gibt und deshalb war meine Idee, das Thema in den Theaterbetrieb reinzuholen und das Forschen an der digitalen Theaterform zu implementieren. Wir laden Künstler*innen ein, hier als Artists in Residence zu arbeiten und stellen diese kleine Spielstätte namens „Konsole“ als analogen Ort zur Verfügung. In dieser Spielzeit wird das Duo F. Wiesel daran forschen, was wir mit digitalen Mitteln heute im Theater machen, was wir vorher nicht konnten und was den Raum ins Digitale im buchstäblichen Sinne erweitert.
Aktuell liegt die Auslastung des Schauspielhauses – post-pandemisch – bei rund 70%. Wie wichtig ist Ihnen Quote?
Die Frage ist tricky, weil ich am liebsten sagen würde, dass es mich nicht interessiert. Insbesondere wenn es darum geht, für die Quote Kompromisse einzugehen. Andererseits möchte ich auch kein Theater für ein leeres Haus machen. Insofern habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, dass unser Spielplan durchaus „sperrige“ Positionen beinhaltet, bei denen man auf den ersten Blick nicht sieht, was man bekommt. Ich fand es aber richtig, keine Kompromisse zu machen, und werde gerade durch viel positives Feedback des Grazer Publikums bestätigt. Das ist ein wirklich toller Vertrauensvorschuss.