Elisabeth Schweeger ist künstlerische Geschäftsführerin der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024. Mit „Achtzig“ sprach die Kulturmanagerin über die Möglichkeiten des kulturellen Großevents, Erwartungshaltungen und Kultur in ländlichen Regionen.
Interview: Stefan Zavernik
Mit „Macht und Tradition“, „Kultur im Fluss“, „Sharing Salzkammergut – Die Kunst des Reisens“ und „Globalokal – Building The New“ prägen vier große Linien das vielfältige Programm. Was erwartet das Publikum?
Ein Nachdenken über die Region, über die eigenen Möglichkeiten und über Perspektiven für die Zukunft. Das Publikum kann unzählige Veranstaltungen, die sich mit zentralen, gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen, erleben, vieles dabei bei freiem Eintritt.
Was funktioniert aus Ihrer Sicht in der Region als Austragungsort besonders gut?
Diese Region ist sehr kulturaffin. Es haben wahnsinnig viele Künstler*innen hier gelebt, viele von ihnen sind vertrieben worden, es sind aber auch viele wieder da, es ist also großes Potenzial vorhanden.
Welche Herausforderungen waren für die Organisation eines Kulturhauptstadtjahres im inneralpinen Raum besonders fordernd?
Im Gegensatz zu einer größeren Stadt fehlt es im Salzkammergut einfach an Infrastruktur. Eine Stadt ist voll mit Institutionen, es gibt funktionierende Theater, Schulen und Universitäten. Am Land habe ich das nicht, da muss ich alles von null auf hundert bauen, es ist alles eine Anstrengung. Wir haben uns aus diesem Grund enorm um die Nutzung der Leerstände oder Sanierungen bemüht, denn so musste nichts neu gebaut werden. Das wäre aus unserem Budget heraus auch gar nicht möglich gewesen.
Was kann eine Kulturhauptstadt aus Ihrer Sicht generell leisten?
Aus der 40-jährigen Kulturhauptstadt-Geschichte wissen wir, dass Kulturhauptstädte etwas bewirken. Sie können gesellschaftspolitische Fragen in den Raum stellen und diese bearbeiten. Es geht um Erinnerungskultur, den Ist-Zustand und um Zukunftsperspektiven. Neben diskursiven Formaten sind es vor allem die künstlerischen Positionen im Programm, durch die neue Visionen oder Ideen entwickelt werden, um einer Region – wie in unserem Fall dem Salzkammergut – wirklich weiterzuhelfen. Ich bin davon zu hundert Prozent überzeugt: Ohne Kunst können wir nicht leben! Mit der Kunst können wir differenzieren und reflektieren, um so Zusammenhänge zu erkennen, die wir noch nicht bedacht haben.
Und was kann man von einer Kulturhauptstadt nicht erwarten?
Wir können nicht alle Wunden der Vergangenheit heilen. Wir können auch keine Infrastrukturprojekte aus unserem Budget heraus realisieren, wie schon vorhin angesprochen. Wir können aber Dinge anregen und Impulse geben, damit man erkennt „Wir brauchen das!“. In der Region gibt es kaum Museen oder große Theater. Die zwei Theater, die es aber immerhin gibt, werden jetzt beide renoviert. Das ist ein direktes und nachhaltiges Ergebnis aus der Kulturhauptstadt 2024, um das wir gekämpft haben. Mit dem Sudhaus in Bad Ischl wird zum Beispiel auch ein Kulturzentrum mit Bibliothek über das Kulturhauptstadtjahr hinaus erhalten bleiben.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für ein solches kulturelles Großereignis?
Nachhaltig ist, wenn ich in ein Theaterstück gehe und es verlässt mich nicht mehr, es gräbt sich in meinen Erinnerungsfundus, in mein inneres Archiv ein – ich kann darauf zurückgreifen oder auch nicht. Wahrnehmung ermöglicht einen Erkenntnisprozess, der bleibt. Wir wissen, und das sollten Kulturhauptstädte unter Beweis stellen: Orte, die Kultur nicht vorantreiben, verrohen.
Wie bei so vielen Kulturhauptstädten gab es auch im Vorfeld zu Bad Ischl-Salzkammergut viel Aufregung und Kritik. Wie schätzen Sie die Stimmung in den einzelnen Gemeinden, die am Kulturhauptstadtjahr 2024 teilnehmen, wenige Wochen vor der offiziellen Eröffnung nun ein?
Ich schätze die Stimmung gut ein. Reibung ist ja keineswegs etwas Schlechtes – ohne sie entsteht nichts Neues und Diskussionen als Findungsprozess gehören einfach zu einer Gesellschaft, die sich demokratisch wähnt. Hier im Salzkammergut hast du 23 sehr eigenwillige Gemeinden, die selbstbewusst sind und es vielleicht nicht unbedingt gewohnt waren, auf andere achten zu müssen. An diesem Projekt gemeinsam zu arbeiten, hat uns zusammengeschmiedet und Erkenntnisse gebracht. Wenn man zusammensitzt und gemeinsam über Themen und Konflikte nachdenkt, erkennt man, dass man gemeinsam viel schneller auf Ideen und Lösungen kommt. So gesehen ist der Zusammenschluss dieser 23 Gemeinden auch ein anschauliches Modell dafür, wie Europa funktionieren und zusammenarbeiten sollte.
Mit einem Open Call wurden im Vorfeld heimische Kulturschaffende eingeladen, sich mit ihren Projektideen für das Kulturhauptstadtjahr 2024 zu bewerben bzw. sich zu beteiligen. An die 1.000 Projekte wurden eingereicht, etwa 180 wurden in das Programm aufgenommen. Wie schwierig war die Auswahl?
Wir haben 190 Projekte aufgenommen. Das war, wie ich zugeben muss, schwierig, weil der Open Call nicht thematisch orientiert war. Wir haben uns jedes Projekt vorgenommen, es gab Doppelungen, man hat dann versucht, Synergien herzustellen, Hilfestellungen zu geben. Wir haben gesagt, „wir können nicht jedes eingereichte Projekt finanzieren, aber wir können euch informieren, wo andere Möglichkeiten der Subventionierung bestehen“. Wir hielten Workshops, wo wir die Communitys diesbezüglich informierten. Dadurch sind rund hundert Projekte entstanden, die sich autonom umgesetzt haben (assoziierte Projekte). Also haben wir insgesamt rund 300 Projekte.
Wo lagen die zentralen Herausforderungen bei der Programmierung?
Zentral war sicher die Fragestellung „Wie transformieren wir die bestehenden Traditionen in die Zukunft, ohne sie zu negieren?“. Den Programm-Schwerpunkt aufs Handwerk halten wir in diesem Zusammenhang für sehr wichtig. Projekte in Bad Goisern oder Gmunden haben mit diesem Thema zu tun, weil die Region eng mit bestimmten Materialien verbunden ist, sei es nun Holz, Stein, Salz, Lehm oder Gips. Das sind alles Stoffe, mit denen man heute nachhaltig bauen könnte. Wir versuchen die Menschen über partizipative Formate für Baukultur zu sensibilisieren. Wir brauchen die Natur und müssen alles daran setzen, die Versiegelung der Böden so weit wie möglich zu vermeiden. Das alles kann man über Kunst erzählen.
Mit Altausee, Bad Ausee, Bad Mitterndorf und Grundlsee liegen vier Gemeinden, die am Kulturhauptstadtjahr 2024 teilnehmen, in der Steiermark. Mit welchem Projekt startet das Programm in der Steiermark?
Eigentlich fangen wir gleich mit den Skiflug-Weltmeisterschaften am Kulm an! (lacht) Dort gestalten wir das ganze Eröffnungsprogramm – die Verbindung von Kunst und Sport ist uns wichtig.
Welche Projekte sind für Sie in der Steiermark sogenannte Highlights?
Es gibt ganz viele Projekte im Ausseerland, die ich als Highlights empfinde. Etwa das Projekt Das vermutlich beste Hotel der Welt, welches sich mit dem Thema Tourismus auseinandersetzt, ist spannend. Oder das Projekt From the Past into the Future mit AR-Skulpturen von Eva Schlegel, die sich mit der Geschichte beschäftigt und virtuelle Formen ausprobiert. Wir werden mit dem Projekt Verborgen im Fels in Altaussee im Stollen eine Ausstellung von Simon Schwartz, einem wirklich tollen Comiczeichner, haben, der sich viel mit der jüdischen Geschichte beschäftigt hat. Das Literaturmuseum Altaussee ist erwähnenswert, ebenso die Ausstellung Zeitreise, kuratiert von Yvonne Oswald, in der historische Fotografien von zeitgenössischen Künstler*innen bearbeitet wurden. Diese Ausstellung wird später nach Salzburg ins Mozarteum und dann nach Graz wandern, über 2024 hinaus also weiterleben. Wichtig ist auch die Konrad Mautner-Ausstellung, die im Jänner im Volkskundemuseum des Joanneums in Graz eröffnet wird und dann im Juli vom neu aufgestellten Stadtmuseum Bad Ischl übernommen wird. Für ein gemeinsames Projekt mit der Oper Graz haben wir darüber nachgedacht, wie sich die Operette, ein Format, das so ursächlich in dieser Region angesiedelt ist, ins Morgen hinein erzählt. Dazu konnten wir Ferdinand Schmalz gewinnen, dessen Roman Mein Lieblingstier heißt Winter wir für die Bühne adaptieren. Diese Operette im Serienformat wird erst im Lehár-Theater in Bad Ischl Premiere feiern und dann ab 2025 auch an der Oper Graz zu sehen sein.
Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff Kultur?
Kultur ist für mich eine Säule im gesellschaftlichen Denken, genauso wie Wirtschaft, Politik oder Soziales. Fehlt eine Säule, ein Tischbein, haben wir eine Schräglage. Ohne Kunst und Kultur funktioniert eine Gesellschaft nicht. Das will die Kulturhauptstadt Europas nicht zuletzt erfahrbar machen.