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Affekte berühren und entfachen

Am 26. Mai (17 Uhr) spielt die Neue Hofkapelle Graz gemeinsam mit dem HIB.ART.CHOR das Konzert Welche Farbe hat Vivaldi? im Minoritensaal Foto: Madeleine Haider

Die Neue Hofkapelle Graz hat sich der Alten Musik verschrieben. Mit ihrem kommenden Konzert steht sie mit einem Kinder-Chor auf der Bühne. Ein Gespräch mit Lucia Froihofer und Christine Gnigler über die Faszination „Alte Musik“ und warum dieses Genre gerade für junge Menschen viel zu bieten hat.

Interview: Stefan Zavernik

Am 26. Mai spielt die Neue Hofkappelle Graz ihr letztes Konzert im Abo-Zyklus 23/24. Das Publikum wird in den Genuss eines speziellen ­Vivaldi-Abends kommen. Was darf man sich von „Welche Farbe hat Vivaldi?“ erwarten?

Lucia Froihofer: Unser Saisonthema lautete Temperamente. Am natürlichsten und noch wenig vom Umfeld geprägt, kommen die Temperamente bei Kindern heraus. Deshalb wollten wir mit einem Kinderchor arbeiten. Christine Gnigler, die auch aus der freien Improvisation kommt, hat dazu die Technik des Soundpainting vorgeschlagen. Da Vivaldi in seiner Musik viel mit Klangfarben spielt und darüber hinaus im Ospedale della Pietà, ein Waisenhaus in Venedig, für Kinder komponiert hat, lag das auf der Hand. Unser Gedanke war, Musik, die damals für Kinder geschrieben wurde, mit Musik zu verbinden, die Kinder heute kreieren.

Was steckt hinter dem Begriff „Soundpainting“?

Christine Gnigler: Soundpainting ist eine Zeichensprache, die intuitiv sehr verständlich ist und die man mit vielen verschiedenen Zeichen dirigieren kann. Es ist quasi eine Improvisationssprache, auf die man reagieren kann. Je mehr Zeichen man kennt, desto detaillierter kann man arbeiten. Die Idee ist, Stücke im Moment entstehen zu lassen, die sich immer weiterentwickeln. Das Schöne daran ist, dass Soundpainting für viele verschiedene Disziplinen und Genres verwendbar ist und es vom Kleinkind bis zum alten Menschen jeder verstehen kann. Es gibt schier unendliche Möglichkeiten, das auszuleben und es ist eine sehr inklusive Art, Musik zu machen.

Für das Konzert wird der Hofkapelle ein improvisierender Kinderchor zur Seite stehen?

Gnigler: Wir spielen gemeinsam mit dem HIB.ART.CHOR unter der Leitung von Maria Fürntratt. Und mit Milly Groz haben wir eine großartige Expertin des Soundpaintings, die hierfür die Leitung übernehmen wird.

Gibt es trotz der Improvisation im Konzert Stücke von Vivaldi, die als Ausgangspunkt dienen?

Froihofer: Wir werden Concerti spielen, die Vivaldi für die Mädchen des Ospedale komponiert hat, zum Beispiel ein Konzert über den Stieglitz: Il gardellino oder über ein Unwetter am Meer: la tempesta di mare. Wie sich die Improvisation in diese Stücke einfügen oder verweben wird, entsteht erst im Konzert. Sicher ist aber, dass mehr als die Hälfte des Konzerts mit Musik von Vivaldi bespielt wird.

Warum kann Alte Musik besonders für junge Menschen reizvoll sein?

Froihofer: Alte Musik hat oft kurze Formen und die harmonischen Abfolgen sind sehr ähnlich wie in Pop-Songs. Deshalb ist sie leicht zugänglich, vor allem die Musik, die damals zur Unterhaltung geschrieben wurde. Also Suiten, Tänze oder eben die im Konzert gespielten Concerti von Vivaldi. Sie sind eher kurz, wechseln sich im Charakter recht schnell ab im Vergleich zu Musik aus der Klassik oder der Romantik.

Die Neue Hofkapelle Graz gibt es seit 2010. Was macht die Faszination Alter Musik aus?

Gnigler: Es gibt in der Alten Musik noch ungemein viel zu entdecken, zu erforschen und es gibt sehr viele Möglichkeiten, sie frei zu interpretieren, weil es wenig Tradition gibt, die schon auf die Musik draufgestülpt wurde. Es ist so gesehen ein noch junges Genre, weil Alte Musik noch gar nicht lange wieder gespielt wird. Das eröffnet tolle Möglichkeiten, um in verschiedene Richtungen zu gehen und Dinge auszuprobieren. Das betrifft auch das Klangfarbenspektrum, das sehr groß ist.

Froihofer: Was die Musik auch von der „Klassischen Musik“ unterscheidet, ist, dass sie nicht für den Konzertsaal geschrieben wurde, sondern immer eine zusätzliche Funktion hatte. Wichtig war auch, die Affekte der Menschen zu berühren und zu entfachen. Und das macht die Musik so lebendig und für einen selbst im Spiel so tief erfahrbar.

Welche Rolle spielen die Instrumente, die aus der Zeit stammen, in der die Musik komponiert wurde?

Gnigler: Hier muss man ein wenig unterscheiden. Streicherinnen und Streicher spielen bei uns öfters mit wirklich alten, aber restaurierten Instrumenten aus der Barockzeit. Bei den Bläserinnen und Bläsern ist es etwas anderes, denn diese antiken Instrumente werden durch Feuchtigkeit weit mehr angegriffen, als es bei Streichinstrumenten der Fall ist. Deshalb gibt es hier wenig erhaltene Instrumente, die auch wirklich spielbar sind. Ich habe etwa ein Fagott aus dem Jahr 1800, das nach einer Restaurierung auch spielbar ist. Das ist zwar eine schöne Erfahrung, aber im Konzert greift man dann oft auf Nachbauten oder Kopien zurück, weil sie im Berufsalltag oft verlässlicher funktionieren.

Nach welchen Kriterien werden die Konzerte für den Abo-Zyklus zusammengestellt?

Froihofer: Wir spielen hauptsächlich das, worauf wir Lust haben. Für die kommende Saison haben wir uns wieder ein Thema vorgenommen, nämlich „Nachbarschaft“. Von den rund 400 Ideen dazu müssen wir dann vier herausfiltern.

Gnigler: Dazu kommt noch die Frage, welche Künstler und Künstlerinnen wir inspirierend finden, die wir zu Kooperationen einladen möchten, und welche Räume wir bespielen wollen. Da fließen ganz viele Faktoren ein, zusätzlich zum Hauptthema der Alten Musik.

Froihofer: Wichtig ist uns auch, in den vier Konzerten vier unterschiedliche Stile aus der damaligen Zeit zu präsentieren, sodass es für unsere Abonnent:innen ein abwechslungsreiches Programm gibt.

Wie wichtig ist der Aufführungsort?

Froihofer: Der Raum ist tatsächlich so etwas wie die andere Hälfte des Klanges unserer Instrumente. Denn diese sind ja nicht dafür gebaut, um mit einem Verstärker gespielt zu werden. Deshalb ist der Raum wirklich wesentlich und im Minoritensaal haben wir den perfekten Ort gefunden.

Gnigler: In der nächsten Saison wollen wir uns getreu dem Thema aber ganz bewusst auch in der Nachbarschaft einquartieren.  

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