Habitat Graz beleuchtet den Lebensraum Stadt von einer ungewohnten Perspektive. Hier geht es weniger um Parkplätze und Architektur als vielmehr um die unzähligen nicht-menschlichen (Mit-)bewohner*innen, die sich den urbanen Raum mit den Menschen teilen und ihn nachhaltig prägen.
Text: Lydia Bißmann
„Stadt Natur“ lautet das Jahresthema im Graz Museum. Dabei bietet das Haus im Sinne der demokratischen Neuausrichtung ein vielstimmiges Programm in Mitwirkung von zahlreichen Stadtakteur*innen an, so Direktorin Sibylle Dienesch. Zwei Ausstellungen sind Teil des Jahresprogramms. Bereits seit April ist die von Catalin Betz kuratierte Ausstellung In Grazer Gärten und Innenhöfen besuchbar. Neben der historischen Entwicklung von Vorgärten, Heimgärten, Gemeinschaftsgärten und Innenhöfen werden diese als Möglichkeitsräume, Lebensräume und grüne Korridore betrachtet. Es wird der Bogen von urbanen Nutzgärten, die in Notzeiten zur Versorgung beitrugen, bis hin zu Guerilla Gardening als Form von Aktivismus gespannt. Im Foyer des Museums ist die Kunstinstallation Waldboden von Helene Thümmel und Gabriela Hiti zu sehen.
In der am 15. Mai eröffneten Ausstellung Habitat Graz wird erforscht, welche Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen neben den Menschen in Graz leben und wie sie die Stadt mitgestalten. Gleich am Eingang rückt eine Grafik der Erdbewohner*innen den Menschen an seinen Platz. Nur 0,01 Prozent der Biomasse aller Lebewesen auf der Erde sind humanoid. Viel, viel weniger als Pflanzen (82,4 Prozent) und immer noch weniger als Bakterien (12,8 Prozent) oder Viren (0,04 Prozent). Als positives Gegenstück zur anthropozentrischen Weltsicht wird der Gänsesäger als eine Art Superheld gegenübergestellt. Der Gänsesäger beschloss, sich im Grazer Stadtpark anzusiedeln. Illustrator Andrés Sandoval, der auch die Ausstellung In Grazer Gärten und Innenhöfen in der Gotischen Halle mit seinen Zeichnungen gestaltet, hat der freundlichen Ente dazu ein Cape aus dem Grundriss des Grazer Stadtparks angezogen. Die Darstellung des Vogels in einer der wichtigsten kulturellen Einrichtungen der Stadt soll so das Um- und Neudenken erleichtern.
Fledermausbesetzung und Krähen-Interview
Habitat Graz arbeitet, wie bereits bei der vergangenen Ausstellung Protest!, mit einer ansprechenden Mischung aus Interaktion, Kunst und Information, die sich gleichberechtigt auf den Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegt. In acht Räumen untersucht die Ausstellung Lebensräume in der Stadt und nimmt dabei wundersame und ungewöhnliche Perspektiven ein. Inge und Ivica etwa sind ein Wanderfalkenpärchen, das bereits seit mehreren Jahren am Turm der Herz-Jesu-Kirche seinen Nachwuchs aufzieht und dabei über eine Webcam beobachtet werden kann. Stellvertretend für weniger erwünschte Tierarten wie Ratten, Mäuse oder andere Spezies, die oft als schädlich betrachtet werden, gibt etwa eine Krähe ein Interview. Im Raum für Stadtökologie, wo künstlich angelegte Landschaften wie der Botanische Garten, der Grazer Stadtpark oder der Evangelische Friedhof als Lebensräume für viele präsentiert werden, treten erstaunliche Geschichten zutage. So besetzte etwa eine Fledermauskolonie spontan eine Grazer Wohnung, da sie von einer Baustelle, die ihren Lebensraum zerstörte, nicht umgesiedelt wurde. Gezeigt wird auch der Nistplatz des Gänsesägers, der nun in einer geschützten Umgebung im Stadtpark ungestört brüten darf.
Musik für den Bauch und Gemeinschaftsgefühl
Kuratorin Daniela Brasil wollte bewusst auf den erhobenen Zeigefinger in Bezug auf den Klimawandel verzichten und stattdessen auf vielen Ebenen die Vielfalt, Schönheit und Spannung des Lebensraums Stadt den Besucher*innen näherbringen. Das soll Neugierde wecken, ein kollektives Gefühl erzeugen und gemeinsame Erinnerungen ansprechen, damit sich jedes Individuum als Teil des Ganzen verstehen kann. „Es ist einfacher, auf etwas zu achten und sich dafür einzusetzen, wenn man sich als Teil davon fühlt“, so Daniela Brasil. Fühlen kann man zum Beispiel den Sound des Bodens mit einer Komposition des Klangkünstlers Mandy Mozart im Raum Die Zeit der Erde, die das Bauchgefühl als eine alternative Wahrnehmungszone anspricht. Hier wird die Vernetzung der Region, die durch tektonische Verschiebungen auch Teil anderer Klimazonen und Ökosysteme war, künstlerisch dargestellt und erforscht. Fans von Struktur und Übersicht kommen hier auf ihre Kosten, genauso wie in der kartografischen Werkstatt, wo ein Luftbild von Graz als Teppich am Boden dargestellt ist und auch angefasst werden kann. Im Raum der Träume wird die Fantasie angeregt. Hier dürfen neue Formen aus Licht, Schatten und organischen Strukturen geschaffen werden. Gar nicht neu sind manche Tische oder Präsentationsflächen, die im Sinne der Ressourcenschonung teilweise aus alten Stellwänden vergangener Ausstellungen gebaut wurden. Christina Zettl und Thomas Untersweg von BUERO41A zeichnen sich für diese nachhaltig gedachte sowie darüber hinaus äußerst ansprechend umgesetzte Gestaltung verantwortlich.
Wunderkammern und Unkraut neu gedacht
Die Galerie der Stadtbewohner:innen bricht mit der Tradition der „Wunderkammern“, die ab dem 16. Jahrhundert exotische Artefakte meist sehr einseitig untersuchten. Hier kommen alternative Wissensformen, Weltanschauungen und Erfahrungen zum Zug. Beispiele von Kunst im öffentlichen Raum, die teilweise immer noch in der Stadt zu finden sind, verkörpern diesen Ansatz. Sie bedienen das kollektive Gedächtnis, schaffen Nähe und vermitteln über die Kunst einen weiteren Anknüpfungspunkt zur Natur. Oasis No. 8 (Markus Jeschaunig) war etwa ein temporäres Gewächshaus auf dem Jakominiplatz, in dem tropische Obstsorten wie Ananas oder Bananen angebaut und geerntet wurden. Konservierte Mini-Ananas und schon recht schwarze Mini-Bananen erinnern an dieses Projekt. Auf die Wand gemalte Mindmaps, erstellt von dem New Yorker Kunstkollektiv EPA (Environmental Performance Agency), stellen die Beziehung zu spontaner Vegetation und den Menschen neu dar. Hier werden aus sogenanntem Unkraut wie Beifuß oder Breitwegerich Kosmopoliten, Nahrung und mächtige Heilpflanzen. Auch bei der Auswahl der Kunstwerke wird auf Diversität geachtet, die, wie schon bei Protest!, behutsam und leicht rezipierbar in die Ausstellung integriert werden und die Wissensvermittlung unaufdringlich, aber prägend ergänzen. Repliken der Grazer Tiermalerin Norbertine Bresslern-Roth sind hier ebenso zu finden wie Arbeiten der Medienkünstlerin Reni Hofmüller, die etwa die Klänge des Mühlgangs aufgenommen hat, oder die Bilder des Stadtporträtisten Conrad Kreuzer aus dem 19. Jahrhundert. In der topothek Graz können wundersame Fundstücke von Grazer*innen erfasst, digitalisiert und bestimmt werden. Auch diesen Fundstücken ist in Habitat Graz ein eigener Raum gewidmet.
Ausstellungen im Rahmen des Jahresprogramms „Stadt Natur“:
Habitat Graz
Bis 2.2.2025, Mo–So 10–18 Uhr Graz Museum, Sackstraße 18
Kuratorin: Daniela Brasil. Projektleitung: Ogül Büber-Ottitsch, Franziska Schurig. Kuratorische Assistenz: Vanessa Bednarek, Anna Monsberger. Gestaltung: BUERO41A
In Grazer Gärten und Innenhöfen
Bis 8.9.2024, Mo–So 10–18 Uhr
Graz Museum, Sackstraße 18, Gotische Halle und Innenhof
Kuratorin: Catalin Betz. Projektleitung: Ogül Büber-Ottitsch. Kuratorische Assistenz: Vanessa Bednarek. Gestaltung: BUERO41A