Ein runder Geburtstag war der Anlass für eine Personale des Konzept- und Multimediakünstlers Werner Schimpl in der Galerie Sommer. Im Interview erzählt der Künstler über wichtige Ereignisse in seinem Leben, die Zukunft und das Spannungsfeld zwischen Kunst und Freiheit.
Interview: Lydia Bißmann, Stefan Zavernik
1981 haben Sie den Entschluss gefasst, hauptberuflich Künstler zu sein. Davor waren Sie Angestellter. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?
In den 60er-Jahren war man der Meinung, dass man Kunst nur nebenbei machen sollte, da man davon nicht leben könne. Dabei war das eigentlich schon der Beginn einer guten Zeit dafür. In der Nachkriegszeit gab es ein großes Vakuum in der Gesellschaft, und innerhalb dieses Zeitraums hat sich eine enorme schöpferische Kraft entwickelt. Wir wurden alle streng erzogen; in der Schule und im Schülerhort gab es nur Strafen und Sanktionen, da ging es wüst zu. 1969 bin ich dann nach London gefahren, und dort wurde die Explosion in der Kunst, Mode und Musik sichtbar und spürbar. Nach einem halben Jahr Aufenthalt habe ich beschlossen, dass es in meinem Leben mit Kunst – mit bildender Kunst – weitergehen muss. 1981 konnte ich mich dann endgültig dafür freimachen; vorher war ich durch Familiengründung und Wohnungserrichtung beruflich gebunden.
Fotos, Malerei, Installationen und Objekte – Ihr Kunstschaffen durchstreift die unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Gibt es dennoch eine Sparte, in der Sie sich am wohlsten fühlen?
Ich habe mit der Malerei begonnen, weil das damals das Einzige war, das die Leute interessierte und von dem man auch leben konnte. Von der Malerei bin ich dann immer mehr ins Experimentelle gegangen. Ich habe begonnen, Objekte zu bauen. Außen und innen waren für mich immer ein Thema, weniger die Oberflächen. Zuerst war mir nicht bewusst, wo das herkam; jedenfalls nicht von einer Kunstakademie. Das kam von meinem ursprünglichen Brotberuf. In jungen Jahren war ich im Zollbereich tätig. Gelernt habe ich Spediteur, was mir gefiel, weil es grenzüberschreitend und somit international war. Bei meinem Job ging es damals viel darum, Inhalte zu erklären. Da stand etwa eine Kiste vor mir – eine äußere Form – und ich musste schriftlich eine Zollerklärung verfassen, was in ihr enthalten war.
Wie hat sich Ihr Kunstschaffen im Laufe der Jahrzehnte verändert? Haben Sie heute immer noch den gleichen Anspruch an ihre Werke?
Die Erforschung des Spannungsfeldes zwischen außen und innen hat mich von Anfang an fasziniert, und das ist auch so geblieben. Sie hat sich durch jede neue Arbeit weiterentwickelt. Vielleicht hat sie sich auch ins Extremere gewandelt, weil ich mich noch intensiver damit beschäftigt habe. Auch die Auseinandersetzung mit Kontrollsystemen ist immer noch vorhanden. Die Arbeit mit den Begriffen Transparenz und Kontrolle habe ich ja von meinem erlernten Beruf übernommen, ohne es vorerst zu wissen. Zu den Kontrollsystemen gehört die Röntgentechnik; in der Folge entstanden Lichtkunstinstallationen. Damals waren die Begriffe Transparenz und Kontrollsystem noch nicht so abgegriffen, wie sie es heute sind.
In Ihren Arbeiten überschreiten sie materielle Grenzen, aber auch ideologische Grenzen. Warum ist das Grenzen-Überschreiten für Sie so wichtig?
In meinem ganzen Leben haben mich Grenzen als einschränkendes Menetekel begleitet. Mein demokratisches Denken und der Wunsch nach einem gemeinsamen, grenzenlosen Europa waren ein Ziel unserer Generation. Dieser Wunsch hat sich aufgrund unseres Zutuns auch erfüllt, aber nur für kurze Zeit. Da wir alle immer beide Seiten einer Grenze bedenken mussten, waren Grenzen in unserer humanen, toleranten, gebildeten Gesellschaft etwas Verzichtbares. Meine Antwort auf diese nun gegenteilige Entwicklung äußert sich in meiner Kunst, um dieser rückläufigen Tendenz entgegenzuwirken.
Wo ziehen Sie die Grenze der künstlerischen Freiheit?
Ich sehe es als meine Aufgabe, die Freiheit der Kunst zu erweitern. Kunst ist die Gegenbewegung zu dem zunehmenden Trend, alles immer stärker einzuschränken. „Frei sein heißt, mit den Regeln in Konflikt zu kommen“, aber ich bin kein Provokateur. Wenn man in Grenzbereichen arbeitet, kommt es manchmal zu Grenzüberschreitungen, die jedoch im Interesse der gesellschaftlichen Weiterentwicklung sogar willkommen sein sollten. Mir ist es wichtig, unter die Oberfläche zu schauen – so sind auch meine Röntgenbilder entstanden.
Eine Ihrer elementarsten Werkserien sind die Röntgenbilder. Das Projekt „Look inside me“ sorgte damals für Wirbel und Aufruhr. Wie wichtig war das Projekt für Ihre künstlerische Entwicklung?
Ich habe meist künstlerische Inhalte mit Materialien verschiedenster Art durch die Röntgentechnik sichtbar gemacht. Mit einem Röntgenbild meines eigenen Körpers (das Röntgen von Menschen ist laut Strahlenschutzgesetz nur für medizinische Zwecke erlaubt) wurde mir an einem Kontrollpunkt, den ich nicht nennen möchte, für das entstandene Bild ein europaweites Ausstellungverbot verhängt. Dadurch lässt sich dieses Vorhaben nicht weiterentwickeln. Das entstandene Bild ist sozusagen „einmalig“.
Wie frei fühlen Sie sich als Künstler?
Abgesehen von zwei bis drei Vorfällen innerhalb von 45 Jahren künstlerischer Tätigkeit bin ich überglücklich, meine Ideen in experimenteller Arbeitsweise aus freier Entscheidung ins Bild und in die Form gebracht zu haben – und die dadurch manchmal entstandenen Schwierigkeiten überwunden zu haben.
Wann interessiert Sie ein Thema so sehr, dass Sie sich damit künstlerisch auseinandersetzen?
Mich hat immer die zeitgenössische Kunst interessiert, Rückblicke nie. In den 1980er- und 1990er-Jahren hat sich für mich sehr viel aufgetan, und ich wurde des Öfteren im Rahmen von Wettbewerben zu Auftragsarbeiten für Gemeinden sowie im kirchlichen Bereich eingeladen. Doch parallel dazu stand ständig die Weiterentwicklung meiner eigenen Kunst aus der Gegenwart im Fokus. Dann kam die digitale Entwicklung, die mich ebenfalls sehr fasziniert hat. Das Digitale habe ich mir sukzessive angeeignet. Fotos wurden auch digital bearbeitet und gestaltet, ohne den puristischen Anspruch, den viele Fotografen haben. Aktuell bin ich jedoch an einem Punkt, an dem ich vorerst beobachte. Ich weiß nicht, wohin sich das Internet entwickeln wird. Jetzt kommt noch die künstliche Intelligenz hinzu. Da sind die Hände und der menschliche Geist nicht mehr so gefragt, und das bereitet mir ein wenig Bedenken. Sonst war ich immer auch für die Medienkunst.
Wie entstehen Ihre Kunstwerke, wie sieht Ihr Herangehensprozess aus?
Ich würde mich als Konzeptkünstler sehen. Zuvor gibt es einige Überlegungen, Zeichnungen, textliche Formulierungen, Materialproben und vieles mehr, dann folgt die Durchführung unter Einbeziehung all meiner Erfahrungen und Fähigkeiten.
Werner Schimpl, „Meilensteine“ an der Grenze der künstlerischen Freiheit
bis 12.10.24, Mi–Fr, 11–18 Uhr, Sa, 10–13 Uhr, und nach Vereinbarung
Galerie Sommer, Liebenauer Hauptstraße 322, 8041 Graz
www.galeriesommer.com