Nach fast 110 Jahren wird das zweitälteste Theater der Stadt, das ehemalige Theater des Gesellenvereins, wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Das Theaterhaus bietet nun einen Spielort für die freie Szene mitten im Grazer Zentrum.
Text: Lydia Bißmann
„In der freien Szene ist man das gewohnt, dass Schauspieler*innen und Regisseur*innen mit dem Pinsel auf der Leiter stehen und irgendetwas anmalen oder fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn noch schnell die Bühne saugen!“ Alexander Kropsch vom Theaterkollektiv Theater Quadrat ist schon lange als freischaffender Schauspieler, Regisseur und Kabarettist tätig und weiß, wovon er spricht. In der freien Szene müssen alle alles machen. In den letzten beiden Jahren ging es bei ihm und seinen Mitstreiter*innen Peter Spall, Peter Ulrich, Britta Badura und Werner Halbedl allerdings sehr viel um Dinge, die eigentlich nicht zu den typischen Theateraufgaben gehören. Das Theaterhaus – Verein zur Revitalisierung und Erhaltung des Girardisaals – eröffnete am 9. Oktober offiziell die neue Spielstätte der freien Szene am Kaiser-Franz-Josef-Kai 50. Seit Beginn des Jahres wurde emsig an der Fertigstellung und Renovierung des historischen Saals gearbeitet, der nach dem Schauspielhaus Graz das zweitälteste Theater in der Stadt ist.
Zeitgenössisches Theater in historischer Umgebung
Das ehemalige Gesellentheater, das 1859 vom Biedermeier-Architekten Carl Aichinger als Theater umgebaut wurde und von ihm seine barocke Erscheinung sowie die langen, schlanken korinthischen Säulen verliehen bekam, wurde 1860 seiner Bestimmung als Theater übergeben. In der prosperierenden Gründerzeit widmeten sich Angehörige des Handwerkerstandes aktiv den schönen Künsten. Auch der Namensgeber Alexander Girardi tätigte hier seine ersten Gehversuche als Schauspieler, bevor der gelernte Schlosser seine glänzende Karriere als Operettensänger und „Meister des leichten Fachs“ in Wien startete. Seit Oktober dieses Jahres ist der Raum wieder das, wofür er ursprünglich gedacht war: ein Theater. Leichte Kost wird man hier allerdings eher weniger finden. Theater Quadrat, ein Verein für deterritorialisierte Kunst und Theater, inszeniert seit 2011 Stücke von Imre Kertész, Thomas Bernhard, Franz Kafka oder Werner Schwab. Der Verein axe hat sich seit 2005 auf Theater mit marginalisierten Personengruppen und soziokulturelle Projekte spezialisiert. Immer wieder liebäugelte die freie Szene, die ja chronisch auf Raumsuche ist, mit dem charmanten Theatersaal im pittoresken Biedermeierhaus, das sich an den Fuß des Grazer Schlossbergs schmiegt und nach der Schließung der dort untergebrachten Tanzschule leer stand.
Das inzwischen leider aufgelöste Kollektiv Theater t’eig inszenierte 2018 hier das Stück Plan B – 6 Personen suchen eine Arbeit. 2022 feierte Theater Quadrat mit seiner Jubiläumsproduktion Unter die Haut das vielfältige Schaffen schwarzer Autor*innen in Europa. Spätestens hier nahm der Wunsch, das Gesellentheater als fixen Spielort zu adaptieren, Gestalt und immer größere Formen an. Nach unzähligen Überlegungen, immer neuen Verhandlungen sowie dem Verfassen von Förderanträgen und Konzepten beschloss der Grazer Gemeinderat im Dezember 2023 schließlich eine Förderung für die Revitalisierung des Raumes von rund 250.000 Euro. Da in einem so historischen Gebäude auch Denkmalschutz und nachhaltige Revitalisierung eine große Rolle spielen, gab es zusätzliche Förderungen vom Bundesdenkmalamt und vom Revitalisierungsfonds des Landes Steiermark. An den laufenden Kosten beteiligen sich ebenfalls die Stadt Graz und das Land Steiermark. Der neu gegründete Verein unterschrieb im Jänner 2024 einen Mietvertrag über zehn Jahre. Die Location wurde als neue Homebase für die Vereine Theater Quadrat und axe bezogen, die den Saal abwechselnd bespielen werden.
Raum für Kreativität durch Infrastruktur
Der hohe Raum mit der Empore, auf der zusätzlich kleinere Formate angeboten werden können, bietet auf rund 230 Quadratmetern Platz für bis zu 80 Sitzplätze. Es gibt eine kleine Bar, eine Garderobe und Backstagebereiche in einer eigenen Wohnung im selben Haus. Hier können Gruppen, die sonst keine eigenen Proberäume zur Verfügung haben, Produktionszeiten von fünf bis sechs Wochen nutzen, um ihre Inszenierungen in aller Ruhe vorzubereiten und aufzuführen. Wer sich hier einmietet, kann sich ungestört seiner Produktion und Aufführung widmen und von der Infrastruktur sowie den hauseigenen Werbekanälen profitieren. Möglich sind aber auch Einzelveranstaltungen wie etwa Lesungen. Voraussetzung ist eine Verortung in der Steiermark und eine nicht kommerzielle Ausrichtung der Gruppen oder Künstler*innen. Für die Umsetzung des Projekts in den vergangenen Jahren, die sich 2024 intensivierte, wurden alle Potenziale der Vorstandsmitglieder ausgeschöpft. Und diese sind bei Theatermenschen vielfältig. Britta Badura verfasste als Autorin und Veranstalterin von Schreibwerkstätten die Nutzungsbedingungen und übernahm die Agenden der Öffentlichkeitsarbeit.
Werner Halbedl betreute die Förderabwicklung, Peter Ulrich kümmerte sich um handwerkliche Angelegenheiten, Peter Spall koordinierte als technischer Leiter die Firmen, die die Bauarbeiten ausführten. Zu tun ist aber noch sehr viel: Für 2025 ist unter anderem die Anschaffung und Installation von Technik geplant. Nicht alles sind unbedingt künstlerisch-kreative Aufgaben, aber der Verein möchte langfristig agieren und an die kommenden fünf bis zehn Jahre denken, was eben viel Organisation und Umsetzung in der Gegenwart verlangt. „In letzter Zeit bin ich schon froh, wenn ich einfach Theater spielen und nur Schauspieler sein kann und mir jemand sagt, was ich tun soll.“ Den Schauspieler Alexander Kropsch kann man gemeinsam mit seinen Kollegen Rudi Widerhofer, Lukas Deutsch, Werner Halbedl und Peter Spall in der Theater-Quadrat-Produktion In der Strafkolonie von Franz Kafka im frisch wachgeküssten Theaterhaus ab 16. November bestaunen.
Theaterhaus
Kaiser-Franz-Josef-Kai 50
8010 Graz
Programm und Infos unter www.theaterhaus.at