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Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI

Operation Jane Walk, 2018, Filmstill Foto: Total Refusal

Mit künstlicher Intelligenz, virtuellen Realitäten und verzerrten Sehgewohnheiten setzen sich Claudia Larcher, Anita Witek und das Kollektiv Total Refusal aktuell im Spiegelgitterhaus in Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI auseinander.

Text: Lydia Bißmann

Das Spiegelgitterhaus in Gleisdorf zeigt noch bis zum 5. Jänner die Ausstellung Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI. Es ist bereits die zweite Schau, die Johannes Rauchenberger zu den Stichworten Wendezeiten/Zeitenwende kuratiert hat. Dieses Mal widmet er sich dem brennend aktuellen Thema Artificial Intelligence und arrangiert neue Werke der Vorarlberger Künstlerin Claudia Larcher mit Arbeiten des Kollektivs Total Refusal sowie Anita Witek aus der Sammlung Wolf. Der Kunstsammler Erich Wolf hat über Jahrzehnte die steirische Gegenwartskunst begleitet und Werke erworben. Im vergangenen Jahr schenkte er der Diözese Graz-Seckau seine gesamte Sammlung. Die mehr als 1.300 Werke sind seitdem Teil des KULTUMUSEUMs.

Neon-Barock und Metamorphosen bei Claudia Larcher

Claudia Larcher setzt sich als bildende Künstlerin und Filmemacherin in ihren Werken zunehmend kritisch mit dem Thema künstliche Intelligenz auseinander. Bewegung, die DNA des Films, ist eines der zentralen Elemente ihrer Arbeit, die sie oft auf unkonventionelle Weise einsetzt. In ihrer Serie Still Live 3000 nimmt sie die opulent-floralen Barockbilder der niederländischen Künstlerin Rachel Ruysch als Vorlage. Mithilfe von KI verwandelt sie die täuschend echt in Öl gemalten Blumenarrangements in glänzende Plastikblumen samt Zierart.

Claudia Larcher, “Still Live 3000”, No_05, 2024, Giclée Print, 82 × 65 cm

Die so entstandenen Kunstpflanzen wirken etwas hilflos, aber umso quietschbunter, und behaupten sich in einem flächigen Bildraum, in den sie die KI verlagert hat. Eine kleine Drohne ersetzt die vom Aussterben bedrohte Honigbiene, während Plastikentchen, Alufolie oder ein Kunststofftrinkbecher dem Müllfetisch des 21. Jahrhunderts Respekt zollen. Mithilfe einer App erscheinen die Originalbilder auf dem Smartphone der Betrachter*innen und machen die Metamorphose der barocken Stillleben sichtbar. Das ist lustig, betörend und befremdlich zugleich. Eine ähnliche Mischung aus Irritation und Vertrautheit prägt die Filmstills aus dem Experimentalfilm Me, Myself and I (2022). Für diesen Film fütterte Claudia Larcher ein Generative Adversarial Network (GAN) mit 350 Fotografien von sich selbst, aufgenommen bis zu ihrem 24. Lebensjahr. Das Ergebnis ist ein sich ständig verändernder Strom von scheinbaren Selbstporträts, in dem verzerrte Fratzen neben beinahe normalen Gesichtern auftauchen. Dieser Bildfluss vermittelt den Eindruck von Entwicklung, lässt jedoch offen, wohin die Richtung geht – ob hier etwas entsteht oder verschwindet. Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin Claudia Larcher, die 2023 den Österreichischen Kunstpreis für künstlerische Fotografie erhielt, war mit ihren Arbeiten unter anderem im Lentos Kunstmuseum Linz, beim steirischen herbst, auf dem Ars Electronica Festival in Linz sowie im Centre Pompidou in Paris zu sehen.

Claudia Larcher in ihrem Atelier
Foto: Johannes Rauchenberger

Total Refusal: Virtuelle Welten als Bühne

Ungewöhnliches Benehmen in herkömmlichen Computerspielen legt das Künstler-, Forscher- und Filmemacher*innen-Kollektiv sowie die pseudo-marxistische Medienguerilla Total Refusal (Susanna Flock, Adrian Haim, Jona Kleinlein, Robin Klengel, Leonhard Müllner, Michael Stumpf) an den Tag. Aus ihrer Liebe zu Computerspielen machten sie kurzerhand Kunst und Gesellschaftskritik. In teuren und aufwendig programmierten Ego-Shooter-Spielen wie Tom Clancy’s: The Division interessieren sie sich mehr für die Architektur und Ausstattung als für die Kämpfe. In Operation Jane Walk (2018), einem aufgezeichneten Live-Spiel, nehmen sie ihre Zuseher*innen mit auf eine virtuelle Stadtführung der anderen Art. In How to Disappear (2020) versuchen sie, als Online-Gamer in einem Kriegsspiel zu desertieren. Entlang dieser Frage reflektiert die Arbeit über Krieg und Spiel, Disziplin und Ungehorsam. Die Arbeiten von Total Refusal wurden auf mehr als 300 Film- und Videofestivals gezeigt (u. a. Berlinale, Doc Fortnight im MoMA New York, IDFA Amsterdam) und waren in verschiedenen Ausstellungsräumen wie der Architekturbiennale Venedig 2021, dem HEK Basel und der Ars Electronica Linz zu sehen.

Anita Witek, “Places that never have existed”

Anita Witek: Analoge Manipulation und Verzerrung

Die österreichische Künstlerin Anita Witek bedient sich für ihre Arbeiten der Bilderwelt der Gebrauchsfotografie. Material dafür findet sie in historischen wie aktuellen Magazinen, auf Werbeplakaten oder bei Flohmarktfunden. Sie zerlegt Räume in ihre Einzelteile, montiert diese neu und erschafft dadurch gänzlich neue Räume. Das Ergebnis wird abfotografiert und somit erneut inszeniert. Mit analogen Mitteln kreiert sie künstliche Realitäten, die gleichzeitig stimmig und unstimmig erscheinen. Die Serie Places that never have existed (1998 bis 2010) umfasst teilweise frühe Arbeiten der Künstlerin und zeigt auf Polaroids inszenierte, leere Räume, die es offensichtlich so nicht geben kann. Dennoch wirken sie hoffnungsfroh und zuversichtlich und erinnern ein wenig an die nach vorn gerichtete Experimentierfreudigkeit der Fotokunst der 1920er Jahre. Die Farben und Kompositionen der Bilder wecken zudem Assoziationen an die Cyberpunk-Ästhetik von Syd Mead, der in den 1980er-Jahren die futuristische Kulisse für den Kultfilm Blade Runner entwarf. Anita Witek wurde mit dem Österreichischen Kunstpreis für Fotografie, dem Staatsstipendium für Bildende Kunst und dem Grafikpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Ihre Arbeiten befinden sich unter anderem in den Sammlungen des mumok Wien, der Albertina, des Museums der Moderne Salzburg und des Museums of Fine Arts in Houston, Texas.

Ausstellungsansicht

Die sehr fein und überlegt zusammengestellte Ausstellung Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI verbindet auf subtile und nicht zuletzt amüsante Weise zeitgenössische Fragen zu Identität, Erkenntnis, Ökologie, Selbstdarstellung und Zukunftssehnsucht mit zeitgenössischer Kunst im Spiegelgitterhaus in Gleisdorf.      

Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI
Bis 5.1.2025, Fr 17–19 Uhr, Sa 10–12 Uhr
Spiegelgitterhaus, Sammlung Wolf
Kernstockgasse 28, 8200, Gleisdorf

Persönliche Terminvereinbarung außerhalb der Öffnungszeiten unter: 0664 221 81 84

Finissage und Künstleringespräch mit Claudia Larcher: Mo 6.1., 17 Uhr