Der Musikverein für Steiermark war die erste große Institution im Bereich der klassischen Musik, die ihr Programm für die kommende Spielzeit inmitten der Coronakrise präsentiert hat. Und zwar bereits Ende März, zu einem Zeitpunkt, an dem vieles noch wesentlich ungewisser war als heute. „Achtzig“ sprach mit Generalsekretär Michael Nemeth über die Kunst in Zeiten der Krise und die neue Spielzeit.
Text: Stefan Zavernik
Was hat Sie dazu veranlasst, trotz aller Turbulenzen den Blick nach vorne auf die neue Saison zu richten, statt abzuwarten?
Als Musikverein sind wir unseren Mitgliedern und Besuchern verpflichtet, eine programmatische Perspektive zu geben –quasi „Wie der Felsen, der ohne Schwanken trotzt den Wellen“, wie es in Mozarts Così fan tutte heißt. Warum nicht in die Zukunft blicken? Es war wichtig, die Saison 20/21 zeitnah zu veröffentlichen. Wir waren übrigens mit dem Konzerthaus und dem Wiener Musikverein in bester Gesellschaft. Der Grazer Musikverein arbeitet seit 205 Jahren ununterbrochen durch, und er tat dies in wesentlich prekäreren Tagen. Nur ein Blick nach vorne bringt uns weiter!
Welcher Stellenwert kommt der Kunst in Krisenzeiten generell zu?
Im historischen Vergleich gibt es Grund zur Hoffnung! Weder Krieg noch Krisen vermochten Instrumente zum Schweigen zu bringen. Das Bedürfnis nach Kunst ist trotz der aktuellen Funkstille ungebrochen hoch. Ich sehe derzeit leider die Gefahr der digitalen Ermüdungserscheinung: Tausende Online-Aktivitäten, Streamings und Sofa-Konzerte taugen nur zur Überbrückungshilfe. Es braucht eine besonnene Vorbereitung auf den Neustart, eventuell in neuem Gewand. Wir haben Pläne.
Wie läuft der Austausch mit den Mitgliedern in dieser Ausnahmesituation? Und wie versucht der Musikverein seinen Künstlern in diesen schwierigen Zeiten beizustehen?
Wir haben rasch reagiert und viele Konzerte in die kommende und übernächste Saison verschoben, um möglichst große Schadensbegrenzung im Sinne der Künstler zu erreichen. Unser Publikum wird in regelmäßigen Abständen gemäß aktueller Erlässe der Bundesregierung online und per Post informiert und somit auf den letzten Stand der Planung gebracht. Es ist ein gemeinsames Herantasten an das Ende des Tunnels!
Was passiert mit Konzerten, die nicht stattfinden können? Und was mit den bereits verkauften Karten?
Wir haben für unser Publikum ein breit gefächertes Angebot vorbereitet: Im Falle von Konzertverschiebungen bleiben Karten gültig, bei Verhinderung kann man zwischen Gutschrift und Rückerstattung wählen. Außerdem kann das Guthaben in eine steuerlich absetzbare Spende umgewidmet werden, wovon alle Seiten profitieren. Wir sind unseren treuen Mitgliedern und Abonnenten für ihre uns derzeit entgegengebrachte Solidarität unendlich dankbar!
Auch wenn die Zeichen gerade in Österreich immer mehr auf eine erfolgreiche Bewältigung der Krise hindeuten, bleibt vieles ungewiss. Wie hoch wird Ihrer Meinung nach das Interesse und die Lust innerhalb der Bevölkerung sein, Kunst und Kulturveranstaltungen zu besuchen, wenn diese wieder möglich sein werden?
Leider ist zu bemerken, dass unser Musik- und Kulturleben von heute auf morgen fast gänzlich an Öffentlichkeit verloren hat: ausgeschaltet, geschlossen, inexistent. Planungsrelevante Perspektiven für Veranstalter sind vage, sogar der immens wichtige Musikunterricht wurde bis auf Weiteres gestrichen. Das finde ich beschämend und traurig. Es wird seitens der Kulturszene einen noch größeren Kraftakt brauchen, um wieder „gehört“ zu werden. Diese Anstrengung war leider auch vor der Krise schwierig. In jedem Fall müssen wir dem Privileg der Musik vertrauen, für Sinnlichkeit und Erregbarkeit beim Spielen und Zuhören zu sorgen. Am Zug werden einzig und allein die Kulturschaffenden selbst sein …
Der Musikverein für Steiermark eröffnet seine neue Spielzeit im September 2020. Das Motto lautet „Takte Töne Meisterwerke“. Was wird das Publikum erwarten?
Leistbarer Musikgenuss für alle! Der Musikverein setzt kräftige Zeichen für Internationalität, Programmdynamik und Repertoireglanz. Hunderte Musiker werden Werke aus mehreren Jahrhunderten interpretieren: von der Wiener Klassik über Romantik bis Astor Piazzolla, Robert Stolz, G. F. Haas und John Williams. Unsere Zyklen versprechen Dynamik und Vielfalt, vom intimen Salonkonzert über Kammermusik „hautnah“ im herrlichen Kammermusiksaal bis hin zum großen Chor-/Orchesterkonzert anlässlich Beethovens 200-jähriger Ehrenmitgliedschaft.
Das erste Festkonzert der neuen Spielzeit wird am 24.9. über die Bühne gehen und widmet sich Wolfgang Amadeus Mozart und dessen Werk Don Giovanni. Warum wird dieses Konzert der ideale Festauftakt der neuen Saison?
Im ersten Musikvereinskonzert nach dem 2. Weltkrieg stand übrigens auch ein Werk von Mozart auf dem Programm. Die Etablierung einer Kammeroper, in der man Musiktheater hautnah erleben kann, begann 2009. Seither haben wir Opern von Rossini, Lortzing, Donizetti und Franz von Suppé aufgeführt. Als sich die Kooperation mit der Sommerakademie der Wiener Philharmoniker anbot, Mozart-Opern stilgerecht und dem Wiener Mozart-Klang nachspürend zu erarbeiten, fand diese Idee ihre erfolgreiche Fortsetzung. Mit Don Giovanni werden hoffentlich bessere Zeiten anbrechen!
Neben Megastars der internationalen Opernszene wie Elina Garanca präsentiert der Musikverein in dieser Spielzeit auch ungewöhnliche Größen wie Hubert von Goisern im Festprogramm-Zyklus. Welche Idee steckt hinter diesem Engagement?
Unser Tor zur Musikwelt und anderen Musikstilen steht weit offen, um auch größere Publikumskreise und junges Publikum zu interessieren. Dies gelingt in innovativen Formaten und mit erstklassigen Interpreten: „Musikverein plus“ bietet Rahmenprogramme wie Einführungen, Aperitif-Konzerte, kurze Salonkonzerte, Soiréen mit anschließender Jazz Lounge, Familienkonzerte sowie dynamische Programmakzente mit Künstlern wie folksmilch, Igudesman & Joo oder Chick Corea!
Die neue Spielzeit wird unter anderem 10 Orchesterkonzerte und 3 Philharmonische Soiréen unter der Leitung von namhaften Dirigenten zur Aufführung bringen. Der neue Chefdirigent der Oper Graz, Roland Kluttig, wird gleich zwei Konzerte in diesem Zyklus dirigieren. Was kann sich das Publikum von seinen Konzerten erwarten?
Seit 70 Jahren sind die Grazer Philharmoniker die wichtigste Säule im Konzertbetrieb des Musikvereins. In dieser Zeit haben namhafte Chef- und Gastdirigenten das Opern- und Konzertleben in Graz geprägt. Mit Roland Kluttig werden neue Repertoirefacetten zu entdecken sein, aber auch „zeitlose Klassiker“ erklingen, darunter Werke von Brahms, Bruckner, Strauss oder Enescu. Weitere Gäste am Pult werden Dennis Russell Davies, Adam Fischer, Gabriel Feltz oder Oksana Lyniv sein, die auch in den kommenden Saisonen dem Musikverein verbunden bleiben wird.
Es ist Tradition im Musikverein für Steiermark, jungen Talenten eine Bühne zu bieten. Auf welche Newcomer werden sich Konzertbesucher der neuen Spielzeit besonders freuen dürfen?
Hier wird es eine Palette an Entdeckungen mit Glanzlichtern geben. Neben Alice Sara Ott (Klavier) werden Emmanuel Tjeknavorian als Dirigent und Geiger, Baiba Skride (Violine), das Vision String Quartett, die Brüder Andreas und Daniel Ottensamer, Cellistin Julia Hagen oder BartolomeyBittmann für zündende Erlebnisse sorgen.
Die Liederabende des Musikvereins geben Besuchern die Möglichkeit, Größen der Musikwelt im Rahmen eines Konzertes besonders nahe zu sein. Welche Konzerte werden hier in der neuen Spielzeit zu erleben sein?
Der Vokalzyklus reicht vom intimen Liederabend mit Größen wie Neo Nucci, Piotr Beczala, Elisabeth Kulman, Günter Groissböck oder Camilla Nylund bis hin zu Festkonzerten mit Elina Garanca und Cecilia Bartoli. Abgerundet wird der illustre Reigen mit einem Open Air-Konzert im Landhaushof, Beethovens Chorfantasie oder seiner Missa Solemnis, die der Komponist mit den ermutigenden Worten überschrieb: „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen!“ Was kann man sich in Zeiten wie diesen Besseres wünschen …
Ausgewählte Festkonzerte 2020/21
2. Festkonzert: So, 8. November 2020
Elina Garanca, Mezzosopran, Ehrenmitglied des Musikvereins
Malcolm Martineau, Klavier
Lieder von Sergej Rachmaninow; Richard Strauss; Spanische Lieder und Zarzuelas (Auszüge)
4. Festkonzert: Mi, 9. Dezember 2020
Thomas Platzgummer
Landesjugendsinfonieorchester Steiermark
Steirischer Landesjugendchor Cantanima
Sebastian Meixner, Chorleitung
„Begleiten Sie eines der besten Jugendorchester Österreichs ins Weltall! Hören Sie Gustav Holsts ‚Planeten‘ sowie die Uraufführung von Paul Maiers ‚Erde‘. Und weil das noch nicht genug ist, greifen die jungen Musiker und Dirigent Thomas Platzgummer mit der ‚Star Wars Suite‘ nach den Sternen!“ (Eduard Lanner)
5. Festkonzert: Di, 9. März 2021
Chick Corea: Vigilette
Chick Corea, Klavier; Carlitos Del Puerto, Bass; Marcus Gilmore, Drums
Neue Jazzstandards, Melodien großer Jazzpianisten und Eigenkompositionen von Chick Corea
6. Festkonzert: Do, 8. April 2021
Cecilia Bartoli, Mezzosopran
Les Musiciens du Prince – Monaco
Gianluca Capuano, Leitung
Junge Gesangstalente
Operngala, Vom Barock zum Belcanto
Unterstützt von der Cecilia Bartoli Musikstiftung
8. Festkonzert: Di, 29. Juni 2021
Adam Fischer, Ehrenmitglied des Musikvereins
Grazer Philharmoniker
70 Jahre Grazer Philharmoniker
Ludwig van Beethoven: Ouvertüre zu „Egmont“, op. 84
Richard Wagner: Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“, WWV 96; Vorspiel und
Liebestod aus „Tristan und Isolde“, WWV 90
Richard Strauss: Suite aus „Der Rosenkavalier“, TrV 227d
www.musikverein-graz.at, Sparkassenplatz 2, 8010 Graz, Tel. 0316 82 24 55