Start Featureshome „Aktivität fühlt sich gerade richtiger an als Stillstand“

„Aktivität fühlt sich gerade richtiger an als Stillstand“

Alex Deutinger & Alexander Gottfarb, "While no one is watching" Foto: Kati Goettfried

La Strada wird sich in diesem Sommer mit großer Experimentierfreudigkeit präsentieren. Ein Gespräch mit Intendant Werner Schrempf über sein Festival, das in diesem Jahr wie eine Symphonie in vier Sätzen angelegt ist.

Text: Stefan Zavernik

In den Wochen des Shutdowns war ein Kultursommer mit zahlreichen Aufführungen, Konzerten und Ausstellungen nahezu unvorstellbar. Nun wird doch mehr möglich, als viele erhofft hatten. Muss auf die Kunst in Krisenzeiten Verlass sein?

Kunst lenkt den Blick in neue Bahnen, macht Dinge sichtbar, die der Alltag verdeckt. Und das bekommt meines Erachtens gerade in herausfordernden Zeiten einen noch bedeutenderen Stellenwert. Für uns war es wichtig, das Projekt The Graz Vigil der belgisch-australischen ­Künstlerin Joanne Leighton auch in der Phase des Lockdowns fortzuführen. Wir haben es gemeinsam mit der Künstlerin und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die aktuelle Situation adaptiert und daraus ist ein Zeitzeugnis in Form von Bildern und Notizen entstanden. Im Austausch mit Kulturschaffenden aus ganz Europa war es uns ein Anliegen, eine Perspektive zu bieten, die es möglich macht, die kreative Energie zu bündeln und daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Wir haben uns dafür entschieden, einen neuen Weg zu gehen, behutsam Schritt für Schritt, umsichtig und verantwortungsvoll, aber stets in der Gewissheit, dass jede Form von Aktivität sich in dieser Situation richtiger anfühlen wird als Stillstand. Erstmals haben wir den Festivalzeitraum entlang unseres Kulturjahr-Projekts The Graz Vigil am Schlossberg über das ganze Jahr ausgedehnt. La Strada 2020 ist ein Festival in vier Sätzen – angelehnt an den Aufbau einer Symphonie.

Werner Schrempf, Intendant La Strada Graz Foto: Nikola Milatovic

Um La Strada auch in diesem Sommer für sein Publikum umsetzen zu können, mussten komplett neue Wege eingeschlagen werden. Kann das Festival bei all den Auflagen durch Corona seinen grundlegenden Ideen dennoch treu bleiben oder erfindet es sich schlussendlich neu?

La Strada hat in dieser Situation einen entscheidenden Vorteil: unser Publikum ist offen, experimentierfreudig und interessiert an vielfältigen künstlerischen Projekten. Die 22. Ausgabe von La Strada wird eine besondere sein, für uns und auch für unser Publikum. Gemeinsam mit Künstlerfreunden wie unter anderem Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna, Willi Dorner & Lisa Rastl, Chris Haring/Liquid Loft, Günter Meinhart und den niederländischen Klangkünstlern Strijbos & Van Rijswijk ist es uns gelungen, für die traditionelle Spielzeit (Ende Juli, Anfang August) ein Programm auf die Beine zu stellen, das sich aktiv mit den Fragen unserer Zeit auseinandersetzt. Wie funktioniert das Zusammenleben der Menschen? Welchen Stellenwert hat das Miteinander in der Gesellschaft? Welchen Platz finde ich im urbanen Umfeld? Umgesetzt werden soll dies mit der Leichtigkeit und der Freude, die gerade Kunst im öffentlichen Raum ausmacht und viele fasziniert. Ohne dabei auch nur im Geringsten an Tiefe zu verlieren. Community Art-Projekte rücken dabei besonders in den Fokus.

Cie La Migration, LANDSCAPE(s)#1
Foto: Hippolyte Jacquttin

Wie sollen solche Projekte unter der Voraussetzung, große Menschenmengen zu vermeiden, funktionieren?

Wir laden die Menschen ein, sich auf der einen Seite aktiv an den Projekten zu beteiligen. So wäre das Musikprojekt Die sanfte Antwort von Günter Meinhart ohne die Beteiligung von Grazerinnen und Grazern gar nicht umsetzbar. Er entwickelt eine einzigartige Komposition – basierend auf 19 Tönen, die bereits von der Community ausgesucht werden –, die in weiterer Folge von Musikerinnen und Musikern aufgeführt wird. Mitmachen kann jeder, der Noten lesen kann, ein Musikinstrument spielt oder singen kann. Ich freue mich schon sehr darauf! Auch der Choreograf Willi Dorner erobert gemeinsam mit der Bevölkerung den Stadtraum für die Menschen zurück. Wir vermeiden im 2. Satz größere Publikumsmengen, indem wir bei vielen Projekten nur Zeiträume und die Stadtviertel angeben, in denen die Künstlerinnen und Künstler mit dem urbanen Umfeld interagieren. Zu entdecken gibt es die Tänzerinnen und Tänzer von Liquid Loft, die mit ihren mobilen Lautsprechern die Stadträume erkunden. Zu hören sein wird eine Komposition von Christian Muthspiel, interpretiert von seinem Vienna Orjazztra. Und die niederländischen Klangkünstler Strijbos & Van Rijsvik bringen im wahrsten Sinn des Wortes den Stadtraum zum Erklingen, Sopranistinnen inklusive!

Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna, Human Music Machine for Graz.
Foto: Lukas Beck

Wie viel konnte vom ursprünglichen Programm gerettet werden?

Die Vorbereitungen für das Festival laufen ja seit vielen Monaten und der Spielplan war im Februar abgeschlossen. Im 3. Satz – ab Ende August – zeigen wir sehr viele Produktionen aus dem geplanten Programm: Neue Zirkusprojekte sind dabei ebenso zu erleben wie theatrale Wanderungen, spannende Touren durch die Stadt und künstlerische Interaktionen! Besonders gespannt bin ich natürlich auf die Koproduktionen wie jener mit Dorothea Steinbauer, Wolfgang ­Dobrowsky und Eddie Luis mit seinen Jazz Passengers, die die goldene Ära des Blues rund um Buddy Bolden wieder aufleben lassen oder die choreografische Auseinandersetzung mit Fragen rund um Schutz, Verletzlichkeit, persönliche Freiheit und Demonstrationskultur von Alex Deutinger & Alexander Gottfarb. Koproduktionen und Uraufführungen mit der heimischen Szene haben das Programm von La Strada seit jeher bereichert und es ist schon so mancher Gruppe gelungen, ihre internationalen Netzwerke weiter auszubauen. Das Festival wird immer mehr zu einem Treffpunkt für die internationale Szene. So wurde zum Bespiel die Koproduktion ­Foreign Tongues von Chris Haring/Liquid Loft in diesem Jahr – kurz vor dem Lockdown – im Kimmel Center for the Performing Arts in Philadelphia gezeigt.

Ray Lee, „Congregation“
Foto: tarranphoto.com

Den Reiz von La Strada macht zu einem guten Teil sein mit ihm verbundenes internationales Netzwerk aus. Ist es in diesem Sommer überhaupt möglich, mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern zu arbeiten? Welche Bedeutung hat das Einbeziehen der lokalen Szene für diese Ausgabe des Festivals?

Wir haben in diesem Jahr sehr vielfältige Möglichkeiten gefunden, mit unseren internationalen Netzwerkpartnern und befreundeten Künstlern in Kontakt zu bleiben und die Zusammenarbeit zu intensivieren. Und das werden wir auch weiter fortführen. Und doch ist es immer etwas Besonderes, wenn man sich nach so langer Zeit wieder persönlich trifft: Mitte Juni hatten wir erstmals wieder eine gemeinsame Residency mit Strijbos & Van Rijswijk aus den Niederlanden, Günter Meinhart, Christian Muthspiel, Chris Haring, Willi Dorner und Lisa Rastl auf Schloss Seggau. Gemeinsam haben wir an einem alternativen Eröffnungskonzept gearbeitet und so viel darf ich schon verraten: Es wird im wahrsten Sinn des Wortes eine Wanderung voller künstlerischer Begegnungen durch Graz sein! Zusammenarbeiten wie diese sind es, die für mich den Reiz ausmachen, neue Kulturprojekte zu entwickeln. Es war für La Strada von Anfang an wesentlich, die heimische Szene mit der internationalen zu vernetzen und sie in eine Beziehung zueinander zu bringen. So entstand auch die La-Strada-Koproduktion Die Einsamkeit der Stadt von Johannes Schrettle, Christina Lederhaas und Eva Hofer im Rahmen von Graz Kulturstadt 2020 in engem Austausch mit den Partnern unseres internationalen Netzwerks IN SITU. Jetzt haben sie es für die aktuelle Situation adaptiert und wir sind schon gespannt auf die Uraufführung Ende Juli bei La Strada. 

WLDN/Joanne Leighton, The Graz Vigil
Foto: Nikola Milatovic

Im Herbst stellt das Festival die Frage „What if …?“ – es handelt sich dabei um ein Projekt im Rahmen des Kulturjahres 2020. Nach welchen Antworten sucht La Strada in dieser Phase?

Auf Einladung von IN SITU & La Strada setzt sich die Künstlerin Danae Theodoridou seit 2018 mit dem Thema Urban Renewal in Graz Reininghaus auseinander. Sie führte zahlreiche Gespräche mit Künstlern, Politikern, Stadtplanern, Immobilien-Experten und stellte Fragen zu möglichen Formen des Zusammenlebens in der „Stadt der Zukunft“ und welche Rolle Kunst und Kultur in Prozessen städtischer Erneuerung haben. Entstanden ist daraus das La-Strada-Projekt „What If …?“, eine temporäre Öffnung des denkmalgeschützten Gebäudes der Tennenmälzerei als kulturelles Kreativzentrum. Offen für alle: die ersten Bewohner des neuen Stadtteils, die Nachbarschaft, lokale Künstler, Initiativen vor Ort. Fünf Wochen lang im September finden thematische Fokus-Wochenenden statt und es gibt Raum für Projekte oder Ideen, die vielleicht noch nach einem ganz besonderen Ort suchen. Was wäre also, wenn wir einfach so tun, als ob in Graz Reininghaus bereits reges Leben herrschen würde, es einen Dorfplatz gäbe und die Tennenmälzerei zum kulturellen Kreativzentrum würde. 

Es scheint, als würde La Strada trotz der Krise einem spannenden und vermutlich auch für seine Zukunft wegweisenden restlichen Jahr 2020 entgegenblicken. Wird sich das Festival nachhaltig transformieren?

Seit Anbeginn haben wir das Festival Jahr für Jahr weiterentwickelt und immer versucht, den Blick nach vorne zu richten, zu schauen, wo die Reise hingeht. Künstlerinnen und Künstler haben ein sehr gutes Sensorium für gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen. Sie beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit aktuellen Fragen des Zusammenlebens und erarbeiten gerade auch im engen Austausch mit der Bevölkerung spannende Projekte. Künstlerische Aktivitäten im öffentlichen Raum reflektieren im Besonderen die rapide Entwicklung unseres Lebensstils, unseres Konsumverhaltens, unserer Umwelt und die Veränderungen in einem kommunalen Verband. Und das hat auch die Europäische Kommission erkannt. Seit 2003 wird unser Netzwerk IN SITU von der Europäischen Union durchgehend unterstützt. Gerade haben wir erfahren, dass auch das neue Projekt „(UN)COMMON SPACES“ gefördert wird. Bis 2024 werden wir uns intensiv mit der Begleitung städtischer Erneuerungsprozesse, Fragestellungen rund um Klima- und Infrastrukturwandel und Fragen des Zusammenlebens beschäftigen. Gemeinsam mit Künstlern entwickeln wir spannende Projekte in engem Austausch mit der Grazer Bevölkerung.   

Liquid Loft
Foto: Chris Haring

La Strada Graz. Ein Festival in vier Sätzen

1. Satz: The Graz Vigil, 1.1.–31.12.

2. Satz: Kunst findet Stadt, 24.7.–1.8.

3. Satz: Allegro ma non troppo …, 28.8.–5.9.

4. Satz: What if …?, Herbst 2020

www.lastrada.at