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Styrian Power: Kollaborieren statt Kollabieren

Tennenmälzerei Foto: Fischer

Erwin Stefanie Posarnig und die Steirische Kulturinitiative „beerdigen“ eine Zeitkapsel – befüllt mit Arbeiten steirischer Künstlerinnen und Künstler – in den Reininghaus-Gründen und konservieren eine Momentaufnahme des hiesigen Kunstgeschehens.

Text: Wolfgang Pauker

Es ist ein aufsehenerregendes und wahrlich nachhaltiges Projekt: „Styrian Power“. Kuratiert vom Künstler und Aktivisten Erwin Stefanie Posarnig werden 28 wesentliche steirische Künstlerinnen und Künstler mit je einem Werk als „Momentaufnahme zeitgenössischer Kunst in der Steiermark“ zunächst in einer Ausstellung in der Tennenmälzerei, dem kulturellen und sozialen Zentrum des künftigen Grazer Stadtteils Reininghaus, präsentiert. Anschließend werden die Arbeiten in einer bereits angefertigten Metallurne – ergänzt mit Sekundärliteratur und einem identitätssichernden Zeugnis (Haare, gebrauchte Zahnbürste etc.) – in den Reininghaus-Gründen „beerdigt“. Den „Charme“ dieses Projekts zeichnet einerseits aus, eine selten vorgenommene Momentaufnahme steirischer Bildkunst getroffen zu haben, die mangels ernsthafter wissenschaftlicher oder ähnlicher Kriterien substanziell unangreifbar ist, und andererseits mit der Erwartung spielt, ob die Werke nach langjähriger Vergrabung wieder „entdeckt“ werden (sollen). Beide fußen auf gesellschaftlich motivierten Meinungen. Gewissheiten sind nicht zu erwarten.

Nicht zu sehen und trotzdem präsent

So verwundert es auch kaum, dass in der steirischen Landeshauptstadt mindestens einmal im Jahr ein großer Überblick über die steirische Designszene gegeben wird, ein Überblick über das autonome Kunstschaffen aber war zuerst nicht hier, sondern in Kärnten (2017 in anderer Zusammensetzung und nur als Ausstellung im Klagenfurter Künstlerhaus) zu sehen. Realisiert wurde „Styrian Power“ nun von der Steirischen Kulturinitiative in Kooperation mit Stadtteilmanagement Reininghaus, ENW – Wohnbaugruppe und dem Kulturamt der Stadt Graz.


Styrian Power 2020: Erwin Stefanie Posarnigs Zeitkapsel (1,5 × 1 Meter)

Kurator Posarnig, der 1994 den Preis des Landes Steiermark für zeitgenössische Kunst erhielt, über das Projekt: „Urne, Kiste, Kapsel, Schatulle, Kassette, Dokumentenhülse, Bulle, Flaschenpost oder allgemein ein Behälter – seit Jahrhunderten werden ‚Zeitkapseln‘ in sakralen Gebäuden und Häusern, im Grundstein vergraben, eingeschlossen und – oft vergessen. Die Entdeckung dieser Behältnisse bei Restaurationen bringt Gründungsdokumente und andere für die Errichter wichtige Artefakte zu Tage.“ Der Begriff Zeitkapsel trifft die „Urne“ wohl am besten, denn die darin konservierten Kunstwerke und die Idee hinter deren Vergrabung thematisieren die Unmöglichkeit, aktuelles und gerade nicht mehr aktuelles Kunstschaffen in Erinnerung zu bewahren. „Der Begriff Zeitkapsel wurde in den 1930er-Jahren wohl zum ersten Mal benutzt. In der Neuzeit gibt es einen Boom zur Bewahrung von Alltäglichkeiten mit zeitlichen Öffnungsauflagen“, so Posarnig, der zu den kritischsten Geistern der steirischen Kulturszene zählt. Roman Grabner, Leiter des Bruseums im Universalmuseum Joanneum: „Der Künstler, Kurator, Libertin und Aktivist Erwin Stefanie Posarnig hat die Organisation dieser Ausstellung und die Auswahl der künstlerischen Positionen vorgenommen. Als Künstler rückt er soziopolitische Fragestellungen ins Blickfeld und legt den Finger bzw. pickt seine Aufkleber auf gesellschaftliche Bruchstellen. Es geht um Fragen der Sicherheit, der Juridifikation und Ökonomisierung jedes Lebensbereiches, der Ausbeutung natürlicher und individueller Ressourcen oder der Erosion des sozialen Raums. ‚Kollaborieren statt Kollabieren‘ heißt eines seiner Mottos und in diesem Sinne hat er Weggefährten und Mitstreiter zu einer Ausstellung eingeladen, in der auch die Potenzialität von Kunst im gesellschaftspolitischen Spannungsgefüge zur Disposition steht. Das Spektrum künstlerischer Medien und Ausdrucksformen ist naturgemäß vielschichtig und heterogen, aber es ist die erwähnte Reflexion der gesellschaftspolitischen Zustände, die die Arbeiten wie ein Wasserzeichen eint.“         

Die 28 steirischen Künstler*innen bzw. Gruppen:

Max Frey, Wolfgang Becksteiner, Christian Eisenberger, Erwin Stefanie Posarnig, Anita Fuchs, Markus Wilfling, Josef Wurm, Zweintopf, Karl Karner, G.R.A.M., Bernhard Wolf, Renate Krammer, Eva Ursprung, Doris Jauk-Hinz, Ronald Kodritsch, Michael Gumhold, Hermann Glettler, Seppo Gründler, Sabina Hörtner, Jörg Auzinger, Wolfgang Temmel, Evamaria Schaller, Elisabeth Gschiel, Markus Jeschaunig, ­Studio Asynchrome, Flora N. Galowitz, Edda Strobl, Josef Schützenhöfer

Vernissage: 8. September, 19 Uhr

Reininghaus-Gründe Graz, Tennenmälzerei, Alte Poststraße 188, 8020 Graz