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Theatrales Action Movie und kritisches „Aufsteirern“

Foto: Nicola Milatovic

Die Rabtaldirndln greifen auf James Bond zurück, das Theater im Bahnhof auf Ödön von Horváth. Theaterproduktionen aus alten Stoffen im Heute mit Abstands-, aber ohne Anstandsregeln und der Frage nach dem Zusammenleben.

Text: Natalie Resch

„Und Action!“ Ein Ausspruch aus der Filmbranche. Er passt auch wie die Faust aufs Aug, oder besser auf die Theaterproduktion der Rabtaldirndln. Beim steirischen Theaterkollektiv mit Mut zum Dialekt geht’s immer zur Sache. Brachial, mit lauter Klappe und Fingerspitzengefühl für das Spannungs­verhältnis zwischen Land und Stadt. Für das Projekt Die Stadt der Rabtaldirndln: Graz, das in Koproduktion mit brut Wien im Rahmen des Kulturjahres entsteht, haben sich die vier Frauen zusätzliche Verstärkung auf die Bühne und hinter die Kulissen geholt. Yosi Wanunu unterstützt in der Rolle des Regisseurs das Agentinnen-Team bei der heiklen Mission, Graz vor Bösewichten zu retten. Und das Ganze in James-Bond-Manier. Was Bond seine M ist, ist den Rabtaldirndln Karin Scaria-Braunstein. Sie begleitet die Mission Possible, die Entwicklung der Action-Movie-Performance als Wissenschaftlerin. Das hat die Soziologin an der Schnittstelle und im Dialog zwischen Kunst, Ökonomie, Politik und Wissenschaft bereits für die Produktionen Böse Frauen und FEST getan. Die Theaterproduktion nimmt die Eventisierung der Stadt unter die Lupe, performt die Zukunft vor der Folie eines Actionfilms in teils analoger Form. Es ist der Versuch einer Darstellung des Status quo der Stadt, ein Ausblick – vor allem darauf –, wie wir nicht zusammenleben wollen. „Das Projekt Die Stadt der Rabtaldirndln ist eine große Herausforderung. Für die sozialkritische Perspektive auf Graz (bzw. Wien) muss also über die Eventisierung hinausgedacht und multi­perspektivisch auf das Zusammenleben geschaut werden. Das erfordert eine kluge Vorgehensweise – oft eine genaue Sprache. Und verlangt unausweichlich den Mut zu Lücken“, so die Soziologin Karin Scaria-Braunstein im begleitenden Blog. Gesellschaftsrelevante Fragen des Wohnens, der Mobilität, der Ungleichheit und des Wachstums werden aufgegriffen. „Die Themen entwickeln sich in der interdisziplinären und -kulturellen Zusammenarbeit kontinuierlich aus. Alles im Rabtaldirndln-Design präsentiert. Feministisch, brachial und mit ordentlich bösem Humor“, führt sie weiter aus.

Foto: Helene Thümmel

Als Szenerie des Filmsettings dient die leerstehende Lagerhalle hinter dem Grazer Hauptbahnhof. Gedreht wird die letzte große Szene zur Rettung der Stadt im Genre des Agentenfilms. Das Publikum ist Teil des Plots und fungiert als Komparserie. Die Performance endet in einem spektakulären Showdown. Und das alles nur, weil die Rabtaldirndln ein verzweifelter Hilferuf der Stadt erreicht – Graz ist in der Hand des Bösen. Die guten Zeiten sind vorbei: kein Frankfurter Würsterl mehr am Hauptplatz, kein klassisches Konzert in einem Arkadenhof und der Aperolspritzer am Bauernmarkt ist passé. Wer aber sind die Bösewichte, die im Hintergrund die Fäden ziehen? Und wie kann man den Untergang verhindern? Die Rabtaldirndln wappnen sich für den Kampf gegen das Böse, denn die Männer haben versagt. Anstelle von James Bond werden daher vier Frauen Graz retten. Sie sind rücksichtslos, direkt, hartnäckig, rabiat, höchst fähig, verheerend höflich, geschickt an der Waffe und unglaublich arrogant. Und sie trinken Schnaps, geschüttelt, nicht gerührt.

Die Rabtaldrindln
Foto: Helene Thümmel

Szenenwechsel zum Aufsteirern

Eventkultur hin oder her. 2020 wurde das Auftsteirern, das jährlich über 100.000 Besucher anlockt, abgesagt. Das Tanzen und Lustig-Sein auf der Plattform, die sich selbst als Plattform für „steirische Kultur“ bezeichnet, ist auf das nächste Jahr verschoben. Gut, dass es alternative Volksfeste gibt, die der Pandemie den Sicherheitsabstand wahrend trotzen. Ein Oktoberfest im sozialpolitisch kritischem Ödön-von-Horváth-Stil, interpretiert vom Theater im Bahnhof. Horváths Kasimir und Karoline spielte ebenso vor der Kulisse eines Volksfestes. Krise gab es auch eine: die Weltwirtschaftskrise von 1929. Und die wiederum hat die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschraubt. Unter der Regie von Ed Hauswirth schickt das Theater im Bahnhof Kasimir und Karoline im Heute zum Aufsteirern. In Hinblick auf die mit der Covid-19 einhergehenden Arbeitslosigkeit hat die Interpretation des Stückes eine weitere zeitgeschichtlich aktuelle Dimension erhalten. Und wieder einmal wird deutlich: Kunst erkennt vieles eben immer schon ein wenig früher und hat meist Langzeitwirkung. Bei der Theaterproduktion Oktoberfest des TiB zerbricht eine Beziehung an der Arbeit. Oder vielmehr daran, dass es eben keine gibt und sich die Protagonisten fragen müssen oder viel mehr vom System die Frage gestellt bekommen: Wer bist du denn ohne Arbeit? Welchen Wert für die Gesellschaft hast du (noch)? Was heißt es, gebraucht zu werden? Da schwingt das Wort Systemrelevanz mit. Überhaupt: Menschen können sich infizieren, künstliche Intelligenz nicht. Geht das Ersetzen jetzt schneller? Wen trifft es? Ärzte, Rechtsanwälte, Bankangestellte? Mancherorts überprüfen Roboter bereits die richtigen Abstände. „Das Stück erfindet also ein Volksfest. Mit Abstands-, aber ohne Anstandsregeln. Ein Fest für eine Lebensweise, über die man sich fragen kann: Gibt es die so?“, so das Theaterkollektiv. Es heißt, dass Publikum soll sich beim Besuch des Aufsteirern mit Kasimir und Karoline ‚anschnallen‘, denn es „kann ganz schön unheimlich werden. Wie in einer Geisterbahn.“ Was Angst macht oder wozu einmal mehr nachgedacht werden soll: über die steigende Ungleichheit und wie Zusammenleben in Zukunft organisiert sein wird.       

Foto: Helene Thümmel

Die Stadt der Rabtaldirndln: Graz. Eine Action-Movie-Performance

14. (Premiere), 16., 18., 19., 20, 21.9., jeweils 19 Uhr, zusätzlich: 20.9., 11 Uhr (Matinee)

Büro für Pessimismus, Waagner-Biro-Straße 20, 8020 Graz

Wien-Spieltermine: 3. (Premiere), 4., 5., 7., 8., 9.10. in der VHS Rudolfsheim-Fünfhaus Schwendergasse 41

dieRabtaldirndln.wordpress.com

OKTOBERFEST. Kasimir und Karoline gehen zum Aufsteirern.

Ein Stück vom Theater im Bahnhof

5. & 6.9. (mit Publikumsgespräch), 7.–9.9., jeweils 20 Uhr, Dom im Berg, Treffpunkt: Schlossbergplatz

theater-im-bahnhof.com

www.kulturjahr2020.at