Reliqte – ein Titel, der sich scheinbar verschluckt hat. Fehlt doch ein „u“. Relikte sind Reste. Überbleibsel eines größeren Ganzen. Das „q“ ist seinem sakralisierten Vorgänger entlehnt: Reliquien. Reste von Heiligen. Spuren, die die Anwesenheit des einmal körperlich Entschwundenen behaupten. „reloaded“ bedeutet „wiederaufgeladen“ – fit gemacht für eine neue Zeit, als Spiel, als Prozess, als Nutzen. Jedenfalls ging eine Entladung voraus, ein Prozess der Entropie.
Die Ausstellung reliqte, reloaded des Kulturzentrums bei den Minoriten ist Teil des Programms des steirischen herbst, der 2015 von Relikten, Spuren, Hinterlassenschaften handelt. Sie hält nach künstlerischen Lösungen in der Gegenwartskunst Ausschau, in denen das Erbe christlicher Bildwelten als inspirierend bearbeitet wird: Respektvoll und frech, frei, widerständig und fromm sind die Zugänge. Diese entwickeln sich aus der Wahrnehmung einer Wiederkehr von Ikonografie am Beginn dieses Jahrtausends. Einige Werke gehen diesen nach, andere machen Brüche sichtbar und verbinden mitunter kühn Jahrhundertdistanzen und jonglieren mit diesem Erbe. Doch ein ästhetisches Spiel sind sie in der Folge nicht, vielmehr stellt sich die Schau, kuratiert von Johannes Rauchenberger, der christlichen Bildwelt einer immanenten Bild- und Religionskritik.
Zeitlos und poetisch
Die rund 100 gezeigten Werke weisen ein äußerst breites Spektrum auf: Höchste malerische Meisterschaft und radikale Bildverweigerung stehen in den mehr als 30 künstlerischen Positionen dicht nebeneinander. Das Oeuvre reicht von Malerei und Installation, bis zu Videokunst und Performance. Die Ausstellung wirkt dabei erstaunlich aktuell: Aus Bildverletzungen werden Netze des politischen Handeln. Nöte werden wörtlich aufgetischt. Vorschläge gegen den „Schattengeist“ dieser Welt werden gebracht. Anweisungen angesichts der Bedrohung sind lesbar, wenngleich die Poesie der Bilder Vorrang hat. Ironie und Leichtigkeit sind mitunter Lesehilfen. Doch ein missionarischer Eifer fehlt. Vielmehr interessiert die Frage, was die christliche Bildwelt unserer Kultur aufgegeben hat, und das bis heute. Die Ausstellung endet – wie auch die Bibel am Ende jedes irdischen Lebens verspicht – mit dem Blick und Versprechen auf (die letzte) Erkenntnis: „Jetzt schauen wir wie durch einen Spiegel dunkle Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. “ (1 Kor 13,12). Der Spiegel bricht – das ist das letzte Bild.
reloaded
Fortgeführt, aber auch inhaltlich über einen langen Zeitraum hinweg vorbereitet, wird diese neue Sicht auf Kunst und Religion schließlich im dreibändigen Buchmuseum von Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum/No Museum Has God. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts, das im 40. Bestehungsjahr des Kulturzentrums bei den Minoriten fertiggestellt worden ist. Die Idee, ein „virtuelles Museum“ mit dieser Fragestellung in Form von 10 imaginären Ausstellungsräumen zu Fragen der Religion am Beginn des 21. Jahrhunderts zu errichten, nahm ihren Anfang 2010 mit einer Ausstellung, die sich RELIQTE nannte. Seither ist eine Sammlung von nahezu 400 Werken entstanden: das KULTUMdepot. Der aktuelle Ausstellungstitel bildet somit auch eine Klammer zum Anfang einer inhaltlichen Arbeit, die sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckte.
Vernissage: Sa., 26. 9., 15 Uhr im Rahmen des steirischen herbst
Ausstellungsdauer: 27. 9. 2015 – 24. 1., 2016 (Öffnungszeiten: Di–Fr: 10 –17 Uhr, Sa/So: 11 – 17 Uhr)
Text: Wolfgang Pauker