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„Brauchen klare Perspektiven“

Michael Nemeth Foto: Oskar Schmidt

Die österreichische Kunst- und Kulturszene steht mitten im zweiten Lockdown. „Achtzig“ sprach mit dem Generalsekretär des Musikvereins für Steiermark, Michael Nemeth, über den Kunstbetrieb während der Krise und seine Pläne für ein erneutes Wiederhochfahren.

Text: Stefan Zavernik

Der Musikverein für Steiermark war eine der ersten Institutionen im Kunstbereich, die nach dem ersten Lockdown im Frühling den Spielbetrieb wieder aufgenommen hat. Möchte man auch nach dem zweiten Lockdown umgehend wieder Konzerte auf die Bühne bringen?

Wir könnten im Dezember mit den geplanten Konzerten sofort wiedereinsetzen. Abgesagt ist hier noch gar nichts. Ich glaube aber nicht wirklich daran, dass wir im Dezember umgehend wieder aufsperren dürfen. Leider.

Was passiert mit den abgesagten Novemberkonzerten?

Wir probieren so viele Novembertermine wie möglich zu retten, es wird aber schwierig, da die Saison schon sehr weit fortgeschritten ist. Auf jeden Fall verschoben werden die Konzerttermine von Piotr Beczała und Elīna Garanča.

Wie haben Sie die letzten Monate miterlebt?

Es war eine der aufregendsten Zeiten in meinem bisherigen Berufsleben. Wir konnten nicht ahnen, dass der Spielbetrieb auf so lange Zeit eingestellt werden muss und hätten auch nie damit gerechnet, dass wir nun erneut auf null gestellt werden. In den Monaten März bis August waren wir ausschließlich damit beschäftigt, Ersatztermine für abgesagte Konzerte zu suchen und mögliche Varianten der Wiederaufnahme des Konzertbetriebs zu erarbeiten. Nach ausgiebigen und sehr produktiven Beratungen in Kooperation mit dem Veranstaltungsamt und der MCG ist es schließlich gelungen, ab September wieder die Pforten zu öffnen und den Saal mit bis zu 700 Personen zu füllen. Die Konzerte waren sehr gut ausgelastet, wenngleich wir heuer unverschuldeterweise mit einem Umsatzrückgang von 30 Prozent zu kämpfen haben. Wir hoffen auf Hilfe von Bund, Land und Stadt, denn aus eigener Kraft heraus wird es schwer sein, die Krise finanziell zu bewältigen.

Hätten Sie es für möglich gehalten, dass die Bundespolitik den österreichischen Kulturbetrieb im Rahmen eines zweiten Lockdowns, wie wir ihn jetzt erleben, erneut komplett auf null setzt?

Daran hätten wir in unseren kühnsten Alpträumen nicht gedacht. Der Aufschrei nach dem ersten Lockdown war derart laut, dass wir gehofft haben, die Politik würde daraus lernen. Dem war leider nicht so. Man hat uns nun sogar noch weiter ins Eck getrieben und uns gerade einmal drei Tage Zeit gegeben, auf die Situation zu reagieren. Es gibt keinen einzigen belegbaren Fall, der darauf hinweist, dass es in den letzten Monaten zu einer Infektion im Kunstbetrieb gekommen wäre. Wir haben uns monatelang mit Sicherheitsvorkehrungen beschäftigt. Und werden dafür bestraft. Natürlich muss jeder nun seinen Beitrag dazu leisten, dass wir durch die Krise kommen. Es ist für mich aber nicht nachvollziehbar, warum die Leute bis 19 Uhr einkaufen gehen dürfen, mit überfüllten Straßenbahnen fahren, aber zugleich nicht ins Museum gehen dürfen. Es ist für mich auch nicht nachvollziehbar, warum man keine Konzerte mit reduzierter Zuschauerkapazität und durchdachten Sicherheitskonzepten durchführen darf. Dass der Kulturbetrieb völlig auf null gedreht wird, ist eine Schande für eine Kulturnation wie Österreich.

Was erwarten Sie sich von der Politik für die nun kommenden Wintermonate?

Österreich verkauft sich als Kulturland par excellence und setzt international vor allem auf Kultur und Kunst. Wie fragil dieses System aber in der Realität aussieht, mussten wir in den letzten Monaten bemerken. Es fehlt an gut funktionierenden Modellen zur so- zialen Absicherung von Kunstschaffen- den und unbürokratischem Zugang zu Hilfsfonds. Auch wenn sich die Hilfestellungen nun verbessert haben, dauert die Auszahlung von Hilfsgeldern zu lange. Ein Thema ist auch eine faire Bezahlung durch Veranstalter und die Bereitschaft, Ersatztermine anzubieten, anstatt gänzlich abzusagen. Der Musikverein Graz hat jedenfalls einen Großteil der abgesagten Konzerte auf diese und nächste Saison verschoben, um den Künstlerinnen und Künstlern somit im Wort zu bleiben. Ich hoffe auf unbürokratische Hilfe und rasche Bearbeitung von Anträgen.

Wie schwierig war es unter den nun gesetzlich vorgeschriebenen Reglementierungen Konzerte umzusetzen?

Unser Präventionskonzept funktioniert ausgezeichnet. Das Foyer wird bereits um 18 Uhr geöffnet und ein Leitsystem zur Garderobe in den Saal verhindert Staus auf der Haupttreppe. Die Konzerte dauern ohne Pause maximal 90 Minuten, der Auszug erfolgt nach Sektoren in kleinen Gruppen. Noch nie war ein Konzertbesuch trotz Maskenpflicht sicherer und komfortabler. Eine Schweizer Studie besagt, dass es bisher weder in einem Opernhaus noch in einem Konzertsaal zu Ansteckungen gekommen ist. Das einzige Problem stellt die geringe Auslastung bei gleichbleibenden Fixkosten dar. Da benötigen wir dringend Hilfe, sonst wird es eng.

Hinter dem Musikverein stehen rund 3.000 Mitglieder – ist die Lust nach klassischer Musik weiterhin ungebrochen?

Auf jeden Fall! Die Lust auf Musik ist ungebrochen, wenn auch etwas von Vorsicht geprägt. Wir bemerken, dass der Kartenvorverkauf äußerst kurzfristig erfolgt und sich unser Publikum eher spät zum Konzertbesuch entscheidet. Nichtsdestotrotz ist es uns bis zum erneuten Lockdown gelungen, all unseren Abonnentinnen und Abonnenten Konzerte in mehr oder minder gewohnter Atmosphäre zu ermöglichen. Anders als bei vielen anderen Veranstaltern war unser Abo-System bis zum zweiten Lockdown voll intakt und wird von unserem Team umsichtig geplant und betreut. Wir tun alles für unsere Kundinnen und Kunden!

Der Musikverein für Steiermark ist international hervorragend vernetzt und bringt regelmäßig Weltstars auf die Bühne. Wie schwierig ist es momentan, internationale Stars nach Graz zu bringen?

Aufgrund unseres Status in der Musikwelt freut es mich, dass es immer wieder gelingt, die gefragtesten Künstlerinnen und Künstler in den Musikverein einzuladen. Juan Diego Floréz etwa folgte prompt meiner Einladung, seinen Liederabend der Salzburger Festspiele bei uns zu wiederholen. Und Elīna Garanča war bereit, ihr Konzert gleich zwei Mal an einem Abend zu geben, da der Vorverkauf so groß gewesen ist. Auch spontane Änderungen im Programm werden in Zusammenarbeit mit unseren Künstlerinnen und Künstlern umsichtig umgesetzt. So macht Konzertplanung auch in Krisenzeiten Spaß!

Wann wird es im Musikverein wieder Konzerte geben?

Die Politik muss nun klare Perspektiven geben, wie es weitergehen soll. Sobald wir wieder öffnen dürfen, werden wir auch spielen. Ich befürchte aber, dass es vor Weihnachten kein Wiederhochfahren mehr geben wird.  

Informationen zum aktuellen Programm des Musikvereins für Steiermark unter www.musikverein-graz.at