Start Featureshome Rück- und Ausblick auf das Kulturjahr: „Kunst lebt von Sichtbarkeit“

Rück- und Ausblick auf das Kulturjahr: „Kunst lebt von Sichtbarkeit“

Häfntheater Foto: Julia Gratzer

Fast vorbei. Das Jahr 2020. Wir blicken auf das, was vom Kulturjahr bisher sichtbar war und noch zu erwarten ist. Klima, Umwelt und Urbanismus sind Fokusthemen der 36 Projekte mit Neustart 2021. Der Klimapavillon eröffnet im April.

Text: Natalie Resch

1, 20, 36, 61, 70, 75, 94 – So lesen sich die Projektnummern des Kulturjahres in der Rück- und Vorschau. „Heuer ist irgendwie alles anders“, bringt es Kulturjahr-Programmmanager ­Christian Mayer auf den Punkt. Aufgrund der Pandemie konnten 61 % der 94 geplanten Projekte gestartet werden, davon sind 20 abgeschlossen. Nur ein einziges Projekt (Tausch der Worte – UNESCO-Schulen) endete vorzeitig. 3/4 der ausgewählten Ideen waren in adaptierter Form zu erleben. Der virtuelle Raum wurde für viele zum alternativen „Übertragungsraum“. So auch für den Grazer Kunstverein, der sich örtlich in allen 17 Bezirken niederlassen wollte.

Durch die Reduzierung der zugelassenen Zuschauerzahlen und (Raum-)Adaptionen verloren manche Projektanten bis zur Hälfte ihrer kalkulierten Einnahmen. Die kreative Leistung, kontinuierlich auf die sich ändernden Rahmenbedingungen reagieren zu müssen, das emotionale up and down – exklusive und kaum in Zahlen zu fassen. Dessen ist sich Mayer bewusst: „Es gab wunderbare Adaptierungen und Ideen, die künstlerische Arbeit fortzusetzen. Aber größtenteils wurde ins Ungewisse geplant und das hat alle sehr belastet“.

Kunst lebt von Sichtbarkeit

„Kunsterfahrung besteht wie die soziale Begegnung aus viel mehr als nur dem Blick. Nicht alles eignet sich daher zur Realisierung im Netz. Das Kunsterlebnis leidet unter der Aufnahme- und Übertragungsqualität“, äußert sich Mayer zum menschlichen Bedürfnis nach realer Nähe. Man ist sich ehrlich, dass diese gewisse Schwingung, die das Kulturjahr als dichtes Festivalprogramm in allen Bezirken erzeugen wollte, nie wieder aufgeholt werden kann. Vor allem der soziale Aspekt: „Die Begegnung mit informativen, spannenden, anregenden und unterhaltsamen Themen auf unseren Alltagswegen, das Feiern“. Digitale Medien hätten vielen Menschen einen Zugang geschaffen, die sonst nicht die Chance haben, etwas live anzusehen. Zugleich warnt der Kulturjahr-Programmmanager davor, „alles zu jeder Zeit und vor allem kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Wir müssen aus der Falle raus, Kunst in Richtung Hobby zu drängen. Kultur kostet Geld in der Produktion und stellt ein Feld dar, in dem Geld verdient wird. Ein Friseur schneidet ja auch nicht kostenlos die Haare. Warum sollte er auch, wenn es sein Beruf ist?“

Alle bleibt anders

„Auch das Gefühl des nahenden Jahreswechsels als Wegmarke zum Reflektieren relativiert sich. Das Kulturjahresprogramm reicht ja bis ins nächste Jahr hinein, wir befinden uns also fließend mittendrin. Insgesamt werden im kommenden Jahr 70 von 94 Projekten aktiv sein, 36 davon werden zum ersten Mal die Kulturjahresbühne betreten“, so Mayer. Die Projektthemen hätten sich auf dem Verständnisboden von Corona (teils) anders entwickelt, vor allem in Hinsicht auf das soziale Miteinander: Projekte, die in enger Interaktion und hoher Beteiligung der Bevölkerung realisiert worden sind, haben an Bedeutung gewonnen, wie The Chorus Project – Orestie.ReLoaded. Kultur als Ausdruck gesellschaftlicher Verbundenheit sei stärker in den Fokus gerückt. Christian Mayer nennt relevante Projekte, die sich im kommenden Jahr den Facetten des sozialen Miteinanders widmen: Graz als Stadt der vielfältigen Zukunft von ISOP, Born to fake des Grazer Regisseurs Roland Berger zur Frage nach medialer Wahrheitskonstruktion und Häfntheater, ein ­außergewöhnliches Beispiel von Kulturarbeit an der Schnittstelle zu sozialer Arbeit.

ISOP, Graz als Stadt der vielfältigen Zukunft
Foto: Peter Purgar jazzimbild.at

Am Ende steht der Anfang

Wichtig sei, sich bewusst zu machen, was Künstler trotz der herausfordernden Situation für die Grazer erlebbar gemacht haben, wie die eigens konstruierte Theaterbühne des TaO! am Ortweinplatz; die frei Haus zugestellten Hinterhof-Open-Air-Konzerte des Klangforum Wien; die Abende in der neu gestalteten Augartenbucht mit der weithin sichtbaren Hydrowand von Markus Wilfling und studio asynchome und tagsüber die abenteuerlichen Fahrten auf Rainer Prohaskas Murfähre. Im Frühjahr setzen sich zahlreiche Kulturjahrprojekte mit Urbanismus und Umwelt & Klima auseinander. Das Graz Museum liefert mit seinem Projekt und einer Ausstellung den zentralen Beitrag zum Thema Daten und Stadt.

Eine Zahl, die am Ende noch positiv stimmt: „Kunst und Kultur haben die Möglichkeit, der Bevölkerung Mut und Zuversicht zu vermitteln.“ 76 % der zum Kulturjahr befragten Grazer bejahen diese Aussage. Anscheinend braucht es Krisen, um Wesentliches zu erkennen.

Übersicht aller laufenden Programme: kulturjahr2020.at/termine