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Kunstuniversität Graz: Die Kunst in Zeiten von Corona

Foto: Johannes Gellner

„Künstlerische Aufführungen zu Zeiten von COVID-19“ standen im Fokus einer Diskussionsreihe der KUG. Von der Frage nach dem aktuellen Platz (und Raum) der Kunst über „Resiliente Kunstschaffende“ und die „Künstlerische Bildung“ bis zur „Finanzierung von Kunst und Kultur“ reichte das Spektrum der jeweiligen Themenstellungen.

Text: Heimo Götz

Künstlerische Veranstaltungen sind durch die Pandemie essenziellen Veränderungen unterworfen, deren Ausmaß und zeitliche Perspektive noch nicht absehbar sind. Die Kunstuniversität Graz sieht sich daher, wie „Achtzig“ bereits berichtet hat, in der Verantwortung, auf diese Entwicklungen nicht nur zu reagieren, sondern sie aktiv mitzugestalten.

„Mit unserer Diskussionsreihe möchten wir als Universität und unabhängige Veranstalterin eine Plattform zur Verhandlung der zentralen Fragen schaffen, die die Szene in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Dabei wollen wir nicht zuletzt die Politik mit den handelnden Personen des Kulturbereichs und themenspezifisch angefragten Expert*innen zusammenbringen“, so Rektor Georg Schulz.

„Die Pandemie wirkt auch wie ein Brennglas“, betont ­KUG-Vizerektorin Constanze Wimmer, die das Gros der Veranstaltungen moderierte, „sie macht Dinge deutlich und beschleunigt Entwicklungen, die sich bereits zuvor abgezeichnet haben. Insofern ist es uns wichtig, eben jetzt genauer hinzusehen und Entwicklungen im künstlerischen Veranstaltungsbereich zu hinterfragen.“

Kunst

„Wo hat die Kunst zwischen rechtlichen Vorgaben und epidemiologischer Vorsicht noch Platz?“ Dieser Frage stellte sich am 29. Oktober – kurz vor Bekanntgabe des zweiten Lockdowns – eine prominent besetzte Diskussionsrunde. Platz brauche es, so der Tenor, zuallererst für Aufführungen und „das Staunen, in einem Moment dabei zu sein, wo etwas kreiert wird“ (Gerhard Kosel, GamsbART), „weil Kultur – wie auch der Sport – vor allem vom unmittelbaren Austausch mit dem Publikum“ lebe (Christopher Drexler, Kulturlandesrat). Genauso wichtig aber seien der Begegnungsraum und der Austausch rund um das eigentliche Ereignis: in der Pause, vor oder nach einer Veranstaltung. Kurz: Die in Pandemiezeiten so rare soziale Dimension des Miteinanders ist im Kontext Kunst ganz entscheidend – nicht zuletzt sogar im gemeinsamen Erleben während der Vorstellung selbst, wie Iris Laufenberg (Schauspielhaus Graz) betonte. Kulturschaffende könnten dabei, so Gernot Rath (ORF Kultur), im Sinne einer sozialen Induktion auch Hoffnungs- und Impulsgeber sein. Beim Ausweichen in neue digitale Räume sei jedenfalls, so Heidrun Primas (Forum Stadtpark), sicherzustellen, dass diese auch wirklich neu gedacht sind: „Es geht nicht um eine Reproduktion von dem, was im realen Raum stattfindet, sondern tatsächlich um Neukonzeption von Räumen.“

Resiliente Kunstschaffende

„Wie kann verhindert werden, dass (freiberufliche) Musiker*innen und Schauspieler*innen durch die Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden?“ Eine brennende Frage! Eben diese stand im Zentrum der zweiten Diskussion am 18. November mit Brigitte Winkler-Komar (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport), dem Musiker Peter Trefflinger (IG Freie Musikschaffende), Sabine Reiter (MICA – Music Austria) und der Performerin Christina Lederhaas (Schauspielabsolventin der KUG). Als Themenimpulse wurden in den Raum gestellt: eine Sozialversicherung wie in Frankreich? Bedingungsloses Grundeinkommen für alle als Wundermittel? Vertretung der Künstler*innen; Beschäftigungsmodelle; Modelle der eigenen finanziellen Vorsorge …

Der angestrebte Austausch offenbarte eine Reihe notwendiger Entwicklungsschwerpunkte: in den Mechanismen der heimischen Kulturförderung, aber genauso im Bereich der universitären Ausbildung: So wäre es für Brigitte Winkler-Komar wichtig für die Resilienz, wenn musik- und andere freie Kulturschaffende durch die Ausbildung so aufgestellt würden, dass sie nicht nur im Bereich der künstlerischen Ausdruckswelt Bescheid wüssten, sondern auch über Vertragsrecht, Urheberrecht und Verwertungsgesellschaften. „Sie sollten ihre Rechten und Pflichten sehr gut kennen und lernen, Verträge zu verhandeln.“ Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie zeige sich, wie wichtig diese Bereiche sind.

Ebenso macht die aktuelle Situation aber auch sichtbar, dass die Arbeitsverhältnisse freier Kulturschaffender oft hochgradig prekär sind, der Fehler liegt, so Peter Trefflinger, sprichwörtlich im System: „Es wird derzeit wirklich großzügig unterstützt, aber viele fallen um diese Förderungen um. Und das liegt an einem Problem des Grundkonstrukts: dass es nämlich für diese atypische, extrem schlecht bezahlte Arbeit keine Rahmenbedingungen gibt, in denen man überhaupt registriert und versichert ist und entsprechend gesehen wird.“

Künstlerische Bildung

„Musik und Sport sind die ersten Unterrichtsfächer, die ausfallen. Ist Musikunterricht epidemiologisch so gefährlich oder herrscht die Ansicht vor, dass er einen zu geringen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft leistet?“ Das diskutierte am 3. Dezember KUG-Rektor Georg Schulz mit Landesrätin Juliane Bogner-Strauß, Bildungsdirektion Elisabeth ­Meixner, Kurt Scholz (Wiener Stadtschulratspräsident a. D.), Komponist und Fachinspektor Klaus Dorfegger sowie Musikpsychologin Annemarie Seither-Preisler (Uni Graz).

„Musik und Gesang zählen zu den schönsten Kommunikationsweisen, die es gibt“ (Elisabeth Meixner), aber sie erzeugen, so Kurt Scholz, auch Angst: „Es herrscht eine Angst vor der Unberechenbarkeit der Kreativität. Und in gewisser Weise verstehe ich diese Angst auch. Denn natürlich ist Kreatives – gerade in der Musik – immer auch mit Unruhe verbunden.“ Zugleich sei Kreativität, die sich tendenziell einer Messbarkeit entzieht, gefährdet, weil Bildungspolitik aktuell „in einer Orgie des Messens“ lebe.

Messbare forschungsbasierte Erkenntnisse könnten jedoch einen Beitrag dazu leisten, die Wirksamkeit der musikalischen Ausbildung und ihre Auswirkung auf die Gesellschaft zu objektivieren, so Annemarie Seither-Preisler, die u. a. für eine einschlägige Langzeitstudie unter Einbeziehung bekannter Entwicklungsstörungen verantwortlich zeichnet. „Wir sind uns alle einig, dass Musik schön ist und die Lebensqualität verbessert, aber es gibt darüber hinaus Effekte, die sehr rational sind und auch wirtschaftlich überzeugen: Die Folgewirkungen des Musizierens auf die spätere Lebenszufriedenheit, aber auch auf beruflichen Erfolg sind nicht zu vernachlässigen.“ Schon im Vor- und ­Grundschulalter lege man hier den Grundstein für eine positive Entwicklung – nicht zuletzt des Gehirns. „Man sieht eine Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Sprachkompetenz und der Lese-Rechtschreib-Kompetenz – das ist, denke ich, durchaus gesellschaftsrelevant.“

Diese Relevanz gilt es zweifellos stärker bewusst zu machen. „Wir erleben immer wieder, dass die Musik zu wenig Unterstützung erfährt, dass es zu wenig Vernetzung gibt“, so Fachinspektor Dorfegger, der mehrere Jahre als Musiklehrer am Gymnasium arbeitete. „Auch die Repräsentanz auf oberster Ebene, im ­Bundesministerium, ist oft nicht so gut, es gibt beispielsweise eine eigene Abteilung für Sport, aber keine für Musik.“

Ausgleichend argumentierte Landesrätin Bogner-Strauß: „Es wird so viel mehr Wissen an unsere Kinder herangetragen als früher, sie haben heute die Chance, zwischen ihren Talenten zu wählen.“ Das vor diesem Hintergrund notwendige „Ausmisten“ von Curricula sei allerdings immer eine Herausforderung. „Die Frage ist: Wie gut kann ich Talente fördern?“ In der Musik sei man hier, vor allem im non-formalen Bereich, zum Glück sehr gut aufgestellt.

Finanzierung von Kunst und Kultur

Schon rund um den ersten Lockdown wurden an der KUG die virulenten Probleme besonders junger freier Musikschaffender sichtbar. Studierende, die darauf angewiesen sind, sich mit künstlerischen Auftritten finanziell über Wasser zu halten, kamen um diese – meist bescheidenen – Honorareinnahmen und fanden sich sehr schnell in einer hochgradig prekären Situation wieder. Und wie schon in der Diskussion zur Resilienz von Kunstschaffenden angesprochen, wurden sie auch von den staatlichen Hilfsprogrammen meist nicht erreicht.

Die ÖH-KUG richtete damals einen Spendenfonds ein („Achtzig“ berichtete), der von zahlreichen Uni-Angehörigen wie von Privatpersonen und auch durch das Rektorat der KUG großzügig dotiert wurde. Einen namhaften Betrag widmete die Ernst von Siemens Musik­stiftung der Unterstützung bedürftiger Musikstudierender. Als Vertreter dieser gemeinnützigen Schweizer Stiftung nahm am 10. Dezember Michael Roßnagl an der letzten Diskussionsveranstaltung der KUG-Reihe Teil. Jazzmusiker und KUG-ÖH-Vorsitzender Simon Kintopp erläuterte, wie die Hilfe dann auch ankam – und wie wichtig rasche und unkomplizierte Unterstützung derzeit für die jungen Musikerinnen und Musiker ist.

Sollten derartige Förderungen von privater Seite (auch durch verbesserte staatliche Rahmenbedingungen) forciert werden? Für den Grazer Kulturstadtrat Günter Riegler eine Frage, die mit einem klaren Ja zu beantworten ist, allerdings nicht ohne den Hinweis auf das traditionell starke Engagement der öffentlichen Hand, das Österreich im internationalen Vergleich auszeichne.

Die mehrfach betonte Fokussierung von staatlichen wie privaten Förderungen auf den künstlerischen Nachwuchs wurde von Gudrun Maier (Theaterkollektiv Die Rabtaldirndln) hinterfragt, die aufzeigte, dass die Entscheidung für ein professionelles Künstlerdasein auch bedeute, sich auf lebenslange finanzielle Unsicherheit einzulassen. Maier appellierte in diesem Zusammenhang für eine „Existenzsicherung, die diesen Namen auch verdient“.

Die dritte in dieser Reihe als Videokonferenz gestaltete Diskussionsveranstaltung zeichnete sich auch durch eine spannende Dynamik aus, die paral­lel und als Kommentar zum Video-­Bereich im Chat entstand. Vertieft wurden dort mehrere Fragen, die bereits frühere Diskussionsrunden beschäftigt haben. So etwa die Relevanz der Digitalisierung für die Zukunft der Kunst (ein Thema aus der ersten Runde) oder die Forderung nach prozessorientierten Fördermöglichkeiten, die – im Gegensatz zur Fokussierung auf künstlerische Produktion – die künstlerische Forschung und Entwicklung in den Mittelpunkt stellen sollten (ein Gedanke, den in der zweiten Runde die Performerin Christina Lederhaas eingebracht hatte). Die vorliegende Diskussion wird an der Kunstuniversität Graz aufgearbeitet und vertieft werden. Die Fragen, die sich jetzt – auch durch die produktive Irritation der Pandemie – in neuer Dringlichkeit stellen, werden weiterverfolgt. Vielleicht auch an dieser Stelle.