Die von Rainer Fuchs (MUMOK) und Johannes Rauchenberger (KULTUM) herausgegebene Anthologie über den steirischen Künstler Richard Frankenberger erlaubt einen umfassenden und zugleich intimen Einblick in dessen Werk und seine Denk- und Arbeitsweise.
Text: Lydia Bißmann
Am 22. März erscheint ein Buch über den steirischen Künstler Richard Frankenberger. Der wunderschön gestaltete Band mit Beiträgen von österreichischen Kulturtheoretikern und Kulturphilosophen wird von gut in Szene gesetzten Fotos und Dokumenten des umfangreichen Œuvres Frankenbergers begleitet. Es ist mehr eine intellektuelle Reise in das Wirken und Werken des vielschichtigen Künstlers als eine distanzierte kunsthistorische Beschreibung. Hier kommt Herzblut, Inspiration und Assoziation zum Zug und das ist es, was die Texte so fesselnd macht. Teils sind sie extra für die Ausgabe geschrieben worden, teilweise sind sie schon anders in Erscheinung getreten, wie etwa der Text von Robert Menasse, der zur Eröffnung des „Kulmer Doms“ verfasst wurde. Als Reiseleiter fungieren Johannes Rauchenberger vom KULTUM und Rainer Fuchs, Chefkurator des MUMOK in Wien, die neben dem Vorwort auch eigene, teils sehr persönlich gehaltene Beträge dafür gespendet haben. Wer mit Richard Frankenberger vertraut ist, bekommt hier viel neue und vertiefende Informationen geboten. Wer ihn noch nicht kennt, erlebt dazu noch einen aufregenden zeitgeschichtlichen Exkurs in das Kunstgeschehen der Steiermark aus den letzten Jahrzehnten.
Zeitgenössische Kunst am Land
Richard Frankenberger ist 1947 in Ilz geboren und lebt seit mehr als 40 Jahren in einem in Ponigl/Weiz abgetragenen und in Rohrbach am Kulm wieder aufgebauten alten Bauernhaus. Er hat an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert, bildnerische Gestaltung an der HTBLVA Graz unterrichtet und von 2000 bis 2011 hier die Meisterschule für Kunst und Gestaltung, Ausbildungszweig Malerei geleitet. Er war Initiator und langjähriger Leiter und treibender Motor der Initiative K.U.L.M. – Kunst Und Leben Miteinander. Von 1993–2006 war seine Initiative ein wesentlicher Beiträger des steirischen herbst. Er gilt als einer von jenen, die zeitgenössische Kunst in den ländlichen Raum eingebettet haben, was man an zwei sehr wichtigen Werken festmachen kann. Obwohl sich alle Autoren auf andere Art an den Künstler Frankenberger annähern – den Weg über Bücher, Häuser oder wie Rauchenberger selbst, über einen Social Media Post wählen – wer den der DOM und die Stiege Nomadin in nahezu jedem Beitrag erwähnt.
Der Kulmer Dom ist ein halbrundes, geodätisches Konstrukt, das wie eine Mischung aus Jurte und modernem Partyzelt aussieht. Sie war einmal eine radiästhetische Abwehranlage des österreichischen Bundesheeres, die Frankenberger, der Pazifist, vor mehr als zehn Jahren erstanden hat. Sie kann für Klanginstallationen und andere künstlerische Projekte verwendet werden. Seit seiner Aufstellung in Hart bei Pischelsdorf ist sie längst auch zu einer touristischen Sehenswürdigkeit geworden. Die Nomadin ist eine Eisentreppe, die 1995 ins „Eiserne Haus“, dem Ort des späteren Grazer Kunsthaus, führte und nun seit 2003 in Pischelsdorf in einem Acker ins Nichts führt.
Umweltschutz und Mode
Die Natur, der ländliche Raum und seine Bewohner stehen im Zentrum von Frankenbergers Aufmerksamkeit und seiner Arbeit. Genau das macht ihn so „modern”, wenn man diesen Begriff bemühen möchte. Aber man kann fast nicht anders, das Wort drängt sich zu sehr auf. Vielleicht hätte der Titel Natur. Gesellschaft. Widerstand vor einem Jahr noch nur für leicht hochgezogene Brauen gesorgt – jetzt bekommt man alleine von den Worten fast Schluckauf vor Aktualität. Blutjunge Klimakids blockieren hartnäckig freitags die Straßen – an den anderen Tagen schwingen hier Verschwörungstheoretiker Österreich Fahnen und texten linke Slogans um. Wie Hippies gekleidete Rednecks stürmen das Kapitol in Washington und knipsen Selfies und mit dem Schlagwort „Upcycling” getagte Artikel verkaufen sich seit Jahren besonders gut. Mode wird nicht nur diktiert, sie kommt auch von unten und wird einfach kopiert.
Ilzer Ikone
Frankenberger scherte sich nie um Trends oder Mode und wird genau deshalb zu einer Art Ikone. Er ist kein Blumenkind, keim Baumumarmer, kein deklarierter Klimaschützer. Er fährt Zug, weil er keinen Führerschein hat und als leidenschaftlicher Fußgänger ist er eine Reinkarnation von Baudelaires „Flaneur“, dem Prototyp des modernen Großstadtmenschen, obwohl er das Landleben vorzieht. Er beschäftigt sich mit dem, was da ist, und mit dem, was nicht mehr da ist. Mit dem, was Menschen tun, oder mit dem, was er schätzt. Zum 100. Geburtstag seines Vaters stellt er die persönlichen „Feldpostbriefe“ an dessen spätere Frau und Mutter des Künstlers zusammen und gestaltet damit eine Ausstellung. Jahre vorher zog er in einer Performance im Sarg mit Sichtfenster durch sein Heimatdorf. Schlichte „Kittelschürzen” aus bunten Baumwollstoffen taugen bei ihm ebenfalls zu Exponaten wie im Wald gefundener Plastikmüll. Er inszeniert und verzichtet dabei auf Selbstinszenierung, was in einer mit PR vollgestopften Zeit sehr erholsam und angenehm ist.
Landkarte als Herzstück
Die Reise in das Frankenberger Universum ist kein Sonntagspicknick. Der Leser muss mitdenken, da philosophische Texte naturgemäß Eigenengagement verlangen. Die unterschiedlichen Textarten und Zugangsweisen halten den Band aber sehr lebendig und frisch. Als optische, räumliche und chronologische Orientierungshilfe dient eine „Werkübersicht”, die von Bianca Bachmann verfasst wurde. Hier findet sich der Leser immer wieder zurecht – sie ist laut Frankenberger selbst auch das „Herzstück” des Buches. Die Werke, die als Einzel- oder Gemeinschaftsarbeiten zwischen 1969 und 2016 entstanden sind, sollen einen guten und repräsentativen Überblick über das Gesamtwerk Frankenbergers bieten. Das Verzeichnis soll keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, obwohl es trotzdem sehr umfangreich geworden ist. Vielleicht wirkt es aber auch nur so, da die Arbeiten Frankenbergers vom Betrachter einen zweiten und dritten Blick und auch ein geistiges Umschreiten verlangen. Er ist nicht nur Maler, sondern auch Bildhauer. Seine Kunst braucht eben Platz und das nicht nur dort, wo sie aufgestellt wird. Sie braucht auch Raum im Kopf und im Herzen, was in dieser nagelneuen Werkschau sehr gut nachvollziehbar vermittelt wird.
Richard Frankenberger: Natur. Gesellschaft. Widerstand.
Herausgegeben von Rainer Fuchs und Johannes Rauchenberger; Verlag Bibliothek der Provinz.
Mit Beiträgen von Bianca Bachmann, Erwin Fiala, Rainer Fuchs, Robert Menasse, Gerald Raunig, Johannes Rauchenberger, Eva Pichler, Walter Titz und Wolfgang Ullrich.
Erscheinungstermin: 22. März 2021, ISBN: 978-3-99028-993-8
Subskriptionspreis bis 22. März: 38 Euro (später: 49 Euro). Frankenbergers Subversion ist auch hier ersichtlich: Wer sich für die Subskription entscheidet, erhält zusätzlich einen Linoldruck von einem historischen Druckstock des Künstlers. Das Buch wird – so es die Corona-Vorgaben erlauben – am 26. März im KULTUM vorgestellt.
Bestellungen unter tickets@kultum.at