Die Wiedereröffnung einer kleinen Live-Bühne hat im vergangenen Herbst für Furore und ausverkaufte Konzerte gesorgt. Initiator Sigi Feigl erzählt über eine gelungene Kombination aus Zufall, Können, Erfahrung und sehr viel Leidenschaft für die Musik.
Text: Lydia Bißmann
„Zurzeit klebe ich gerade Gipsplatten im leeren Club an die Wand.“ Wie überall sonst hängt auch über dem Tube’s ein Betretungsverbot aufgrund der Corona-Vorschriften. Sigi Feigl hat im August 2020 den Verein „Live Music Graz“ ins Leben gerufen und damit den „besten Live-Club der Stadt“ – das Tube’s am Grieskai – gerettet. Gegenüber dem wild verwachsenen Murufer im quirligen, bunten und sehr nachtaktiven Bezirk Gries hat der als kompromissloser Ästhet verschriene Wolfgang Sucher vor über drei Jahren ein Live Music Café eröffnet. Gleich neben seinem legendären Nachtclub „Generalmusikdirektion“, der inzwischen Stadtgeschichte ist. Auch sehr anspruchsvolle Menschen gehen in Pension.
Ein Ort mit Geschichte
Wie das Viertel, in dem es liegt, hat das Tube’s selbst ebenfalls eine bewegte Geschichte. Vor der Sperrstunden-Lockerung trafen sich im einstigen Taxler-Café jene, die nicht schlafen konnten oder es gar nicht wollten. Später zogen hier unterschiedlichste Balkan-Clubs nahezu jedes Jahr ein und wieder aus. 2017 erfüllte sich Wolfgang Sucher seinen großen Wunsch nach einem gemütlichen Live-Club und mietete das Lokal. Aus jener Ära stammen noch die sorgfältig und geschickt eingerichteten Räumlichkeiten, die perfekte Bühne, auf der eine ganze Big-Band Platz hat, und genügend Platz zum Schminken, Umkleiden und Vorbereiten im Backstage-Bereich. Damals schon gab es eine Kooperation mit Sigi Feigl, der die Programmgestaltung übernahm und regelmäßig Künstler aus seiner
unerschöpflichen Musiker-Schatzkiste und viele Jazz-Studierende auf die Bühne brachte.
Was das Tube’s ebenfalls ausmacht, ist die Tatsache, dass schon mit 25 Gästen ein gemütliches Konzertgefühl aufkommt, aber auch Events mit bis zu 120 Stehenden möglich sind. Und vor allem das perfekte Hörerlebnis. Die Rohsubstanz ist Beton, der im Laufe der Zeit mit schlichten Holzfaserplatten, klug positionierter Dämmung und Molton im etwa 120 Quadratmeter großen Gastraum eine hervorragende Akustik für unverstärkte Konzerte ergeben hat. „Das ist einfach so entstanden, da sind nicht 17 Techniker mit Messungen gekommen. Wir haben uns das so ‚Daumen mal Pi‘ gedacht und herausgekommen ist eine Sensation“, lacht Sigi Feigl. Er unterrichtet seit drei Jahrzehnten hauptsächlich große Ensembles, Big Band und Stage Band an der KUG, deren Jazz-Institut er seit Oktober 2020 leitet. 16 Jahre hat Feigl Kultur in Leibnitz betreut, den Jazz Club Süd und die Big Band Süd gegründet, die Jazz Big Band Graz ins Leben gerufen und über zehn Jahre das HGM Jazzorkestar Zagreb geleitet. Drei Jahre lang richtete er die Monday Nights in der Generalmusikdirektion aus. Die Übernahme des Tube’s mit dem Verein ist irgendwie ein Heimspiel für ihn.
Der richtige Zeitpunkt
Mit an Bord im Verein ist der aus Amerika stammende Luis Bonilla, der ebenfalls an der KUG unterrichtet und obendrein mehrere Jahre mit Phil Collins auf Welttournee war. Dieser Verbindung ist es zu verdanken, dass sich der britische Star dazu entschlossen hat, 2019 ein Ehrendoktorat der Kunstuniversität Graz anzunehmen und für den Festakt auch persönlich in Graz erschien. Es ist eine von nur ganz wenigen Auszeichnungen, die Phil Collins angenommen hat. Mit dem Projekt „Live Music Graz“ wollte man die idealen Räumlichkeiten retten und Musikern dringend notwendige Auftrittsmöglichkeiten verschaffen.
„So viele Spielorte gibt es in der Stadt nicht, trotz eines internationalen Jazz-Institutes sind die Auftrittsmöglichkeiten für Jazz minimalistisch. Wenn wir nicht weitergemacht hätten, wären hier Büros und Ähnliches eingezogen“, ist sich Feigl sicher. Um 16 Uhr am 1. Oktober wurde der Mietvertrag unterzeichnet, schon um 20 Uhr das Eröffnungskonzert gespielt. Die Not des Corona-Jahres mit schwierigen Auflagen für alle Kulturschaffenden erblühte hier zu einer Tugend, die sich sehen lassen kann. Im Tube’s, wo es schon mit recht wenigen Besuchern angenehm ist, lassen sich problemlos Konzerte mit Corona-Vorschriften veranstalten, die beim Publikum trotzdem kein beklemmendes Gefühl aufkommen lassen. Hier störten keine leeren oder abgesperrten Sitzreihen, wie das oft in großen Häusern der Fall ist. Die Krise konnte hier für wenige Wochen bequem an der Garderobe abgegeben werden. Das Konzept, die gebuchten Bands an drei Konzerttagen hintereinander spielen zu lassen, eignet sich für die 40 erlaubten Sitzplätze perfekt. Im Herbst 2020 sind die Menschen ausgehungert nach Live-Atmosphäre und echten Musikerlebnissen, die Onlineangebote einfach nicht ersetzen können. Dena DeRose spielte in unterschiedlichen Formationen. Mal betrat die Künstlerin und Professorin für Gesang mit einem Duo, dann mit einem Trio und am nächsten Tag von einem Quintett begleitet die Bühne. Für wenige Wochen war das Tube’s fast ausverkauft – Musiker und Gäste glücklich. Klemens Marktl präsentierte seine neu formierte Band „Markt(l)Xperiment“, Jure Pukl spielte mit dem Broken Circles Quintet, Heinrich von Kalnein und Organic Food traten hier auf. Jahrelange Erfahrung, sorgfältiges und gekonntes Netzwerken und viel Mut und Know-how trafen hier auf die Passion für die Musik und den „echten Auftritt vor Zuhörern“.
Materielle und immaterielle Schätze
Auch andere wertvolle Ressourcen kamen zum Zug. Der Flügel, das Schlagzeug, Notenpulte, diverse Verstärker, die fix und fertig aufgebaut im Tube’s stehen und in ganz kurzer Zeit startklar sind, stellt Sigi Feigl privat zur Verfügung. Braucht es mehr Equipment, lässt sich das bequem in den Saal transportieren. „Es ist endlich mal ein Jazz-Club, der ebenerdig gelegen ist und mit dem vielen Glas eine angenehme Offenheit ausstrahlt.“ Kaum ein anderer Veranstalter ist so nah am Nachwuchs und an den großen Kollegen. Für das Programm hat man sich auch Kinderkonzerte am Nachmittag überlegt, die Grazer Kultband The Base sollte auftreten, Harry Stojka oder Oliver Mally wurden eingeladen. Eine Sonntagsmatinee mit Lesungen ist vorstellbar. Das Programm soll nach allen Seiten offen sein, deswegen findet sich das Wort „Jazz“ nicht im Vereinsnamen. Bei Bedarf kann die Location an externe Veranstalter vermietet werden. Programmiert wurde bis Mai 2021 – dann kam ein Lockdown nach dem anderen. Viele Inhaber bereits gekaufter Eintrittskarten wollten ihr Geld gar nicht zurück oder unterstützen den Club vorab mit einer Jahreskarte. Inzwischen werden Termine verschoben und eben noch mehr Dämmung an die Wand geklebt. Die finanzielle Situation wird von Verschiebung zu Verschiebung auch nicht besser, aber ein wenig kann man sich dank bereits zugesagter Förderungen für das Jahr 2021 noch über Wasser halten. „Wir machen sicher weiter, wir geben uns coronamäßig sicher nicht geschlagen.“ Wenn der Atem hält, kommt bestimmt ein herrlicher Live-Sommer auf uns zu.
Tube’s
Grieskai 74a, 8020 Graz