Auf der Suche nach dem guten Leben stellen sich drei Kulturjahrprojekte Fragen nach der Zeit und ihrer Ordnung: Wem gehört sie? Ist sie aus den Fugen geraten? Was entsteht, wenn zuhören politisch ist? Und wie klingt unsichtbares Grauen?
Text: Natalie Resch
Wenn wir über nachhaltige Stadtentwicklung sprechen, wird der öffentliche Raum oftmals hitzig diskutiert. Es geht um Besitzverhältnisse. Stiefmütterlich behandelt, aber durch die Pandemie nur zu schmerzhaft bewusst geworden, ist der Faktor Zeit. Kulturinstitutionen, Gaststätten sind und manches bleibt geschlossen. Auf unbestimmte Dauer verschoben scheint das normale Leben am uns bekannten Zeithorizont. Hat sich unsere Zeitordnung mit der Pandemie für immer verändert und wem folgt sie überhaupt? Ausgehend vom aktuell instabilen sozialen Gefüge nimmt die Ausstellung If Time is Still Alive in der Camera Austria neue Zeitformen unter die Lupe: Welche zeitlichen Praktiken und Lebensformen existieren bereits im Rahmen der „Chrononormativität“ nach Elizabeth Freeman. Sabine Bitter, Jeff Derksen, Helmut Weber bilden als Urban Subjects das Kuratoren-Team, das in der Neuordnung der Zeit und Arbeit nach dem guten Leben für alle sucht. Viele der gezeigten Arbeiten beschäftigen sich mit dem gesellschaftspolitischen Wert von Zuhören: Black Quantum Futurism Collective schafft Schwarze Radikalzeit, School of Temporalities untersucht die genderabhängigen Unterschiede in der Zeit- und Raum-Wahrnehmung.
Flussabwärts fließt Geschichte
Innere Monologe, Erzählungen und dokumentarische Bruchstücke begleiten den Besucher flussabwärts entlang der Mur, der Grünangersiedlung, dem Puchsteg vorbei an Tennisplätzen und dem Jugendzentrum. Fast wie nebenbei und dann doch zentral: die kürzlich errichtete Gedenktafel zum größten Zwangsarbeiterlager in Graz, Zwischenstation am Todesmarsch Richtung des KZ Mauthausen. 1945 trug es den Namen „Lager V“. Nur zwei Jahre später errichtete die Stadt Graz darauf sozialen Wohnbau und begrub die Geschichte darunter. FLUSSABWÄRTS nennt sich der Audiowalk, der Unsichtbares im Gehen hörbar macht, jederzeit und niederschwellig: Per Soundcloud wird die Tonspur aufs Mobiltelefon geladen. An der Endstation der Buslinie 34 E (Theyergasse), dem Startpunkt der Tour, Kopfhörer aufsetzen, „Play“ und den Anweisungen folgen.
Active Urban Citizenship im Stadtteil Lend
Visionen ihres Wohnbezirkes entwickelten 13 Frauen in Living Labs im Oktober letzten Jahres. „Die Teilnehmerinnen übertrugen ihre Vorstellungen von Veränderung und Utopie durch das Medium Fotografie in Bilder, manchmal auf sehr direkte Art und manchmal auf metaphorische Weise“, so Maryam Mohammadi. Gemeinsam mit Kate Howlett-Jones zeichnen die Künstlerinnen für die Ausstellung verantwortlich, die in Lend zu sehen ist. Die Fotoarbeiten sind so heterogen wie die Frauen selbst, aus neun verschiedenen Herkunftsländern stammend, erst kurz in Graz lebend oder hier geboren. Projektleiterin Brigitte Kukovetz vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft fand es spannend, dass die Bedürfnisse der Frauen in sehr konkrete Veränderungswünsche mündeten: „Im Mittelpunkt standen die Eröffnung neuer Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene, die Förderung des guten sozialen Miteinanders sowie Ideen zur ökologischen und ästhetischen Verbesserung des Stadtteils.“
Audiowalk FLUSSABWÄRTS
Führungen: 26./27./28.3., 14–17 Uhr
Start: Gemeinschaftsgarten am Grünanger, Andersengasse 32–34, Einstieg: jederzeit möglich (Voranmeldung unter office@audiowalk-liebenau.at)
www.audiowalk-liebenau.at
Ausstellung „If Time is Still Alive“
Bis 23. Mai 2021
www.diestadtunddasguteleben.at
Fotoausstellung „Active Urban Citizenship“
bis 28. April 2021
Bezirk Lend, in Schaufenstern, Lokalen, Geschäften
Übersicht aller laufenden Programme: kulturjahr2020.at/termine