Poetisch-künstlerische Technobilder: Ende März zeigt das Graz Museum die größte Schau der letzten 16 Jahre. Sie beschäftigt sich auf sehr spezielle Weise mit der Bedeutung von Daten und Algorithmen, die unser Leben – im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich – bestimmen.
Text: Lydia Bißmann
„Wie wir leben wollen“ lautete das Motto des Kulturjahres 2020, das nun auch auf das heurige Jahr ausgedehnt wurde. Die Ausstellung Die Stadt als Datenfeld. Wie wir in Zukunft leben wollen, kuratiert vom Technikphilosophen Peter Rantaša und dem Leiter des Graz Museum, Otto Hochreiter, ist eines der größten Projekte davon. Sie umfasst die Schau in der Sackstraße, ein zehnwöchiges Diskursfestival und einen virtuellen Wissensraum, der die Ausstellung begleitet und sie zum Schluss als Katalog und „Zeitkapsel” dokumentieren wird. Wichtiger Teil sind auch Themenführungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten wie Datenökonomie, Privatsphäre oder Sicherheit. Die Corona-Krise bewirkte nicht nur die Verschiebung des sehr umfangreichen Projektes, sie ist selbst auch Teil davon geworden. Es sind ja vor allem Daten, die uns seit über einem Jahr begleiten, voneinander fernhalten und unseren Alltag bestimmen.
Public Philosophy: Raum für Diskurs
Das Projekt Datenfeld thematisiert datengetriebene digitale Lebenswelten. Alles wird „smart“: Die Stadt, das Zuhause, unsere Körper, die Schule und die Arbeit. „Big Data“ und „Industrie 4.0“ sind die Schlagworte der Zeit, Optimierung und Effizienz das Gebot der Stunde. Längst sind Computer, Netzwerke und datenverarbeitende technische Systeme in bis in unsere intimsten Lebensbereiche vorgedrungen. Was in diesem Kulturwandel im Gefolge der nächsten Epoche der Industrialisierung tatsächlich geschieht, ist zunächst gar nicht so leicht zu erklären. Als kulturhistorisches Museum nähert sich das Graz Museum diesen drängenden Fragen der Gegenwart anders an als in Techniksammlungen üblich. Es will Widersprüche sichtbar machen, vor denen jede Entscheidung über die Zukunft steht.
Der Ausstellungsteil des Projektes Datenfeld bietet eine Übersetzung technischer und politischer Expert*innen-Diskurse um die „Datengesellschaft“ auf der Höhe der Zeit in begehbare Erlebnisräume. Der gewählte Zugang ist künstlerisch-poetisch. Als „Erzählung im Raum“ eröffnet die „performative Erlebnisausstellung“ in emotionalisierenden „Raumbildern“ ungewöhnliche Ausblicke und Einsichten in unsichtbare Zusammenhänge der „postdigitalen“ Gegenwart. Verzichtet wird dabei auf die Vereinfachungen der Werbekataloge der Technofirmen mit ihrer rosigen Technozukunft genauso wie auf warnende Zeigefinger oder bevormundende Handlungsanweisungen. Stattdessen verwandelt sich der Raum des Museums in ein Bühnenbild für gelebte „Public Philosophy”, die hier bis Ende August stattfinden wird. Denn im Kontext des Kulturjahres 2020 macht das Graz Museum mit dem Festival-Gedanken ernst und bezieht die Akteurinnen und Akteure in der Stadt während der Laufzeit der Ausstellung aktiv ein. Es wird keine vorgefertigte Antwort zum Mitschreiben geboten und ein mehrmaliger Besuch lohnt sich, empfiehlt Kurator Peter Rantaša.
Navigieren nach Daten statt Sternen
Zu Beginn des Parcours erwartet die Besucherinnen und Besucher ein Gemeinderatsbeschluss der Stadt Graz, der Daten zur Ausgangslage für politische Entscheidungen macht. Ob die durchschnittlichen Bürger das mitbekommen haben, ist nicht so sicher. Damit wird unterstrichen, dass wir uns schon in der Post-Digitalisierung befinden. Es ist Zeit zu handeln, Zeit für Utopie. Titelgebend für die Ausstellung war eine Kunstarbeit von Peter Weibel und Christian Lölkes aus dem Jahr 2018 in Karlsruhe, die Die Welt als Datenfeld heißt. Bei der Erstaufführung meinte der Medienkünstler Weibel in einem kurzen Statement, dass wir früher als Menschen nach den Sternen navigiert haben und jetzt dasselbe nach Daten tun. Bildschirme zeigen Daten in der Installation in zwei Formen: Einerseits als unverständliche Rohdaten und dann als Schaubilder aufbereitet, wie wir sie kennen. Für die Graz Version wurden auch Corona-Daten verarbeitet. Sie stellen den Dreischritt (Messung, Verrechnung, Anwendung), der unsere heutige Datengesellschaft bestimmt, gut nachvollziehbar dar: Infektionsgrößen werden gemessen, Wahrscheinlichkeiten berechnet und daraus folgt eine politische Entscheidung, die lautet: zwei Meter Abstand halten.
Aktion durch Beunruhigung
In den weiteren Raumbildern kommt dann der Technikphilosoph Vilém Flusser zum Zug. Den Text Vom Subjekt zum Projekt verfasste er schon 1989. Im Jahr des Falls der Berliner Mauer, als es das Internet in seiner heutigen Form noch gar nicht gab und Künstliche Intelligenz erst noch „programmiert“ werden musste. Begriffe wie Big Data, Datenökonomie und Filterblasen hatten sich noch nicht einmal abgezeichnet. Flusser gilt als Meister der „Utopie als Antwort auf die Krise”. Trotzdem seine Krise (der Holocaust) eine völlig andere war als die Corona-Pandemie, lässt sich der Text problemlos für die heutige Zeit verwenden. Ein Wunsch des tschechisch-französischen Denkers, dessen Todestag sich heuer zum 30. Mal jährt, war es, den visionären Text von „(aus)gebildeten Menschen” fertig diskutieren zu lassen. Diesem Begehren wird im begleitenden Festival nachgekommen. Jede Woche wird eines dieser Themen aufgegriffen und mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten zum Diskussionsthema gemacht werden. Schlussakt der „Festival Ausstellung“ wird ein Symposium am Schloßberg sein, wo das Thema „Wie wir in Zukunft leben wollen“ mit den Erkenntnissen aus dem gesamten Festivalgeschehen noch einmal gemeinsam diskutiert wird. Als Antwort auf die „Digitale Agenda der Stadt Graz“ wird dann auch ein Manifest unter dem Motto „Recht auf eine digitale Stadt“ verabschiedet werden.
Die Stadt als Datenfeld. Wie wir in Zukunft leben wollen.
Ein Kulturjahr-2020-Projekt
Graz Museum, Sackstraße 18, 8010 Graz; täglich, 11–18 Uhr