Am 7. September wurde das Kulturjahr per Countdown von Stadtrat Günter Riegler und Pia Hierzegger ausgezählt. Die Abschluss-Gala huldigte die Leistungen der Kulturschaffenden, zog positive Bilanz und sprach bereits über die Weiterführung in adaptierter Form.
Text: Natalie Resch
Am Anfang bewegte sich eine Projektion auf einem weißen Stoff, der die beiden Zuschauertribünen auf den Kasematten trennte und Bühne zugleich war. Das Publikum blickte meditativ auf die sich ständig in Größe und Farbe verändernden Skulpturen. 94 an der Zahl. Jede stand für ein Projekt, das es aus den 600 im März 2019 eingereichten Projekten ins Kulturjahr geschafft hatte. Während der Abschlussveranstaltung, zu der Vertreter aus Politik und Wirtschaft und vor allem die Projekt-Initiatoren geladen waren, steuerten Letztere jeweils einen erkenntnisreichen Satz bei, der als Textmontage den Abend unterhaltsam und nachdenklich gestaltete. Der weiße Stoff, so könnte man sagen, war jener, auf dem die Träume oder zumindest die Vorstellungen und Ideen der Grazer Bevölkerung – in Hinblick auf die Ausgangsfrage des Kulturjahres „Wie wir leben wollen“ – nochmals als Resümee Platz fanden. Durch den Abend lenkte galant das Theater im Bahnhof, in persona Pia Hierzegger, Martina Zinner und Lorenz Kabas. Gewohnt sarkastisch und nicht ohne sich den einen oder anderen Seitenhieb Richtung Politik zu gönnen. Warum denn diese glaube, dass man Künstlern nun Fragen vorgeben müsse – so Pia Hierzegger in Bezug auf den Call unter dem Titel Urbane Zukunft, der dann zur Kulturjahr-Ausgangsfrage wurde. Die Angesprochenen nahmen es sportlich und gelassen.
Vielleicht war die Ähnlichkeit der Animation mit den Coronaviren ja auch eine gewollte Anspielung auf das immer wieder pandemiebedingte verlängerte „längste (Kultur-)Jahr“ der Welt. Das übrigens, in normaler und nicht Feature-Länge von 639 Tagen, wiederholt werden soll – so Günter Riegler, der sich liebend gern erneut als Kulturstadtrat um dieses kümmern wolle. Mit dem Unterschied, dass es statt des einmaligen 5-Millionen-Euro-Budgets ein jährliches Sonderbudget geben soll.
Resümee in Zahlen
Zu 8.000 Veranstaltungsterminen war das Kulturjahr-Publikum geladen. Fragt man die Grazer, würden sich rund 70 % ein ähnliches Veranstaltungsformat auch in Zukunft wünschen, dabei würden sich 36 % nicht einmal als kulturaffin bezeichnen. Zwei Drittel aller Befragten glauben an eine Steigerung der Attraktivität der Region Graz und der lokalen Wirtschaft durch eine solche Kulturjahrstruktur, die es bisher ja noch nicht gab. Über die Hälfte der Kooperationspartner der Kulturjahrprojekte stammten aus dem Bereich Bildung, fast zu gleichen Teilen aus den Bereichen Religion/Soziales sowie Wissenschaft. Es ist zu hoffen, dass die vielen neu entstandenen und vielfach interdisziplinären Kollaborationen nachhaltig erhalten bleiben.
Durch seine hohe Anzahl an Partnern zeichnete sich beispielsweise das Projekt Volkskultur bewegt aus. Über 50 waren es, die schließlich zu einem klingenden und humorvollen Kurzfilm von Regisseur Georg Schütky beigetragen haben, der wiederum durch Schauplätze wie der Murinsel oder der Terrassenhaussiedlung verschiedene Aspekte der Stadtkultur zeigt. Das Kulturjahr hätte bewiesen, Kunst und Kultur sind resilient, herausfordernd und zukunftsorientiert. Kunst und Kultur sind Indikatoren für die Lebensqualität einer Stadt, so Riegler. Er zeigte sich zufrieden mit den Besucherzahlen, die ohne Corona wesentlich höher gewesen wären. Als Beispiel führt er die Installation in der Schloßbergbahn von studio ASYNCHROME an, die 80.000 Menschen, darunter Grazer ebenso wie Touristen, sahen. In einem normalen Vergleichsjahr wären es 200.000 gewesen.
Gelebtes Laboratorium mit erwünschten Nachwirkungen
Als „Psychohygiene“ bezeichnete Landtagsabgeordnete Barbara Riener die Balkonkonzerte. Sie hätten das ersetzt oder zumindest gelindert, was uns die Pandemie vor allem innerhalb der Lockdowns genommen hat: das soziale Miteinander. Das Kulturjahr habe uns Orte gezeigt, die wir derart noch nie so wahrgenommen haben, ergänzt Kulturjahr-Manager Christian Mayer. Wie das Schwimmbecken in Eggenberg in der Badehose, es war nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Kunst gefüllt, genau genommen mit einer Performance des Duos JULALENA und ihren 21 Visionen für das 21. Jahrhundert; eine Anlehnung an das Werk des Historikers Yuval Noah Harari. Mayer formuliert den Erfolg des Kulturjahrs, neben der Bespielung aller 17 Bezirke folgendermaßen: „Kein Festival, das zwischen Protagonisten auf der einen und Besuchern auf der anderen Seite trennt, sondern ein Erlebnisraum, der mit vielen kleinen Projekten Menschen direkt vor Ort verbindet.“
Jetzt ist es an der Zeit, an das Danach zu denken. Die Künstlergruppe Breathe Earth Collective sucht gemeinsam mit politischen Entscheidungsträgern Nachnutzungsmöglichkeiten für ihren Klima-Pavillon. „Die Resonanz war unglaublich positiv und oftmals mit dem Wunsch der Besucher verbunden, dass der Pavillon am Freiheitsplatz bleiben soll“, so Andreas Goritschnig vom Kollektiv. Es ist auch denkbar, dass der Pavillon auf Reisen geht. So wie das Projekt Space:Object:Inbetween von studio ASYNCHROME. Auf Einladung der diesjährigen EXPO in Dubai wird es Teil des Österreichpavillons, der sich mit Themen wie Arbeit von morgen und Digitalisierung beschäftigt, die auch im Kulturjahr eine zentrale Rolle spielten. Ein konkret sichtbares Objekt in der Grünangerbucht bleibt die Installation FlussFluss von transparadiso und dem italienischen Architektur-Kollektiv orizzontale. Weiterwachsen darf auch das nachhaltige Bildungsprojekt Let’s Graze. Die von Pädagogischer Hochschule und ProHolz initiierte Idee von Vertikalgärten und dem dazu notwendigen Know-how wird an Schulen weitergeführt.
Publikation und ORF-Beitrag
Ein Versuch, die Ergebnisse des „längsten (Kultur-)Jahres“ festzuhalten und in die nächste Legislaturperiode mitzunehmen, bietet die abschließende Publikation, die noch 2021 erscheinen soll. „Die Antworten, die das Kulturjahr 2020 gefunden hat, werden unsere Stadt noch lange Zeit beschäftigen. Es sind die großen Fragen unserer Zeit. Wie gehen wir mit der Natur um? Was kann, was muss eine Stadt bieten? Wie finden wir trotz aller Unterschiede einen Weg zum Miteinander? Das Kulturjahr hat genau das getan, was Kultur leisten kann und soll: uns als Individuen herausfordern und als Gesellschaft zusammenbringen“, so Bürgermeister Nagl.
Ende November wird Günter Schilhans filmischer Essay zum Kulturjahr im ORF zu sehen sein. Schon jetzt liegen hilfreiche Leitfäden und Publikationen (in Summe 42) vor, wie jener der Akademie Graz für inklusive Zugänge zu und in Kultureinrichtungen. Es ist zu hoffen, dass auch die Erfahrungen zur sinnvollen Nutzung der Grazer Vorgärten des ÖKOTEAMs von der Stadtplanung und der Grünraumbewirtschaftung als Impulse aufgegriffen werden und sich in keiner Schublade verlieren. Die Erkenntnisse haben immerhin bereits Eingang in das Statistik-Jahresbuch der Stadt Graz gefunden.
Übersicht aller Kulturjahr-Projekte: www.kulturjahr2020.at