Kuratorin Barbara Rauchenberger spitzt die Literatur im Kulturzentrum bei den Minoriten zu und setzt ganz auf Lyrik. Wir sprachen mit ihr über neue Literaturformate, geistige Beschleunigung und Sprachzaubereien.
Text: Stefan Zavernik
Die Literatur hat für das KULTUM immer eine wichtige Rolle gespielt. Für diesen Bereich wird in Zukunft nun gezielt auf Lyrik gesetzt. Mit welchen Absichten legen Sie für ein Mehrspartenhaus diesen engen Fokus?
Das Wort Fokus kommt bekanntlich aus dem Lateinischen von focus für „Feuerstätte“, „Herd“, und meint vermutlich jenen besonderen Punkt, der bis heute der Nabel jedes Hauses ist. Auch wenn der heiße Nabel heute neben dem Toaster und der Mikrowelle sein Auskommen haben muss. In der griechischen Mythologie war die Feuerstelle, ein rundes Kohlebecken, das Zentrum des Hauses, zu dem man den Gast führte. Die Feuersäule, die nach oben stieg, verband Himmel und Erde, vor allem aber Mensch und Gott. Nährte die unten und sprach, „rauchte“ die oben ein. Kein Wunder also, dass in einem Haus wie „bei den Minoriten“, den minderen Brüdern, ich, nach groben Umwälzungen und Umbauten, beginne, meinen eigenen Brei zu kochen, der jetzt eben LYRIK heißt. Zum Auslöffeln lade ich herzlich ein …
Warum ist es in Ihren Augen wichtig, sich mit Lyrik auseinanderzusetzen? Was können nur Gedichte vermitteln?
Zum einen halte ich das Lesen hoch und auch schon das Wort „lesen“ ist bereits ein Wackeln mit dem Zaunpfahl, da es ursprünglich mit dem Auflesen von Beeren oder Ähren zusammenhängt, also wohl über kurz oder lang mit dem Speisen zu tun hat. Also das Lesen von Lyrik ist eine unglaubliche sprachliche Osmose. Es ist auch eine – so in etwa beschrieb es Joseph Brodsky – „höchst ökonomische Form geistiger Beschleunigung“, denn innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums legt ein Gedicht, ein gelungenes, eine enorme geistige Strecke zurück und gewährt einem oft gegen Ende hin ein „Nicht-wahr-Erlebnis“. Joseph Brodsky formuliert das dann so: „Ein Gedicht bietet einem eine Probe tätigen menschlichen Wissens in seiner vollständigen, nicht zurechtgestutzten Form.“ Und das macht wohl den Hauptreiz von Gedichten aus, neben natürlich rhythmischen und euphonischen Sprachzaubereien. Warum sollte also ein Haus wie es das KULTUM ist, nicht gerade deshalb auf das zurückgreifen, was die Sprache zum Schmelzen, zum Sieden bringt? Zumal die Dichtung als eigene Gattung erst entstand, als sie sich von der Religion und ihren Ausdrucksformen wie Tanz und Gesang, also Musik emanzipierte. Sie ist schließlich eine der elementarsten Formen, Welt zu erklären, zu reflektieren und zu deuten.
Wie groß schätzen Sie das Publikumsinteresse an Lyrik in Graz?
Ich bitte Sie, schreiben sie einfach: „Barbara Rauchenberger lächelt.“
Der Literaturherbst im KULTUM hat mit dem „Doppelten Gast“ begonnen. Welche Idee steckt hinter dem neuen Format?
Die Idee, die dahintersteckt, ist eine schlichte: Ich lade einen Lyriker, eine Lyrikerin ein mit der Bitte, sie mögen doch einen weiteren Gast dazu bitten. So gibt’s auf einen Streich Gäste und Freunde und Beschenkte. Denn auch für mich ist es immer wieder ein großes Fest, wer da jetzt ins Haus kommt, im September etwa lud Margret Kreidl Tom Schulz ein, im Oktober folgen zwei großartige Abende: Ulrich Koch hat Thomas Kunst am 8. Oktober eingeladen und Ursula Krechel wird am 22. Oktober von Daniela Danz begleitet … Was auch immer dieser Abend dann bringt, die Vorfreude der Gäste ist stets übergroß! Und Sie können mir glauben, diese Freude springt über.
Das zweite neue Format für den Literaturbereich trägt den Titel „Literatur Hotel“. Was kann sich das Publikum darunter vorstellen?
Dieses Format ist dem einfachen Gedanken geschuldet, dass ein schöner Ort wie dieser hier auch Platz machen will für andere literarische Reisende. Es wird also eine Art Insel der seligen Hotelbewohner eröffnet: Das KULTUM bezahlt die Rechnung, sorgt für die Atmosphäre, den, wie ich meine „ausschlaggebenden Teil des Abends“ allerdings bringen ANDERE, bringt der ANDERE, die ANDERE mit. Am 1. Oktober etwa waren es Andreas Unterweger und der Verleger Christian Thanhäuser, die Emily Artmann und die Pariser Autorin und Germanistin Laure Gauthier vorstellten. Neben diesem Format wird dann und wann auch die Reihe LITERATUR GEGENÜBER auftauchen, die stark an die alte Literaturschiene des Hauses OST/WEST erinnern soll, die ja in enger Kooperation mit der gleichwohl professionell wie unermüdlichen Grazer Kulturvermittlung literarische Grenzen in Schwingung versetzt, so etwa am 26. November mit Volha Hapeyeva, der aktuellen „Rotahorn“-Literaturpreisträgerin, und Katrin Köhler, die 2021 ein Styria-Artist-in-Residence Stipendium erhielt. Auch die Reihe „Nachwort der Dichter“ verspricht etwas Schönes zu werden. Den Auftakt macht rund um den 100. Geburtstag von Ilse Aichinger ein astreiner Aichinger-Abend im Frühling 2022 unter anderem mit Theresia Prammer, Ilma Rakusa und Reto Ziegler. Also ein Hotspot an Konzentration und Sprachskepsis, Subversion und Witz wird das wohl werden …
Das KULTUM vergibt seit geraumer Zeit auch Schreibaufträge. Was bedeutet diese Initiative für das Haus? Und mit welchen Autoren arbeitet man aktuell zusammen?
Aktuell wurden in der Reihe „Es federt“ Schreibaufträge zum Thema ATEM vergeben, unter anderem an die Wiener Literatin Margret Kreidl, deren luzider Text bereits zu Pfingsten uraufgeführt wurde, sprich, er wurde „zeilenweise“ vertont von drei jungen KomponistInnen, als Auftragskomposition. Dieser Text wird allerdings auch bei unserem großen ATEMABSCHLUSS am 12. November im neuen Minoritensaal von Frau Kreidl gelesen, ebenso die zwei weiteren Auftragsarbeiten, die von Felicitas Hoppe und Christian Lehnert kommen werden … dieser Abend wird neben einer abschließenden Ausstellungsführung dann auch noch auf die philosophischen Waagschale gelegt werden, wenn Lenart Škof, Linn Burchert und Nikola Roßbach dem Atem auf den Zahn fühlen. Für 2022 sind in dieser Reihe „Blumenbergtage“ geplant, anlässlich seines 102. Geburtstages. Federn werden also fallen, hoffentlich viele!