Vor wenigen Wochen gab Kulturlandesrat Christopher Drexler den Startschuss zu einem breit angelegten Diskussionsprozess, im Rahmen dessen neue kulturpolitische Leitlinien erarbeitet werden sollen. Wir sprachen mit ihm über kulturpolitische Ziele und die Vergabe der dreijährigen Förderverträge.
Text: Stefan Zavernik
Wieso braucht die Steiermark neue kulturpolitische Leitlinien, als Kulturregion ist sie im Grunde sehr gut aufgestellt?
Wir sind gut aufgestellt, das ist wahr. Wir erhalten international und national viel positives Feedback. Damit es so bleibt, müssen wir aber rechtzeitig darüber nachdenken, wohin wir in Zukunft wollen. Wo liegen unsere nächsten Ziele, wie sehen unsere kulturpolitischen Visionen aus? Deswegen hatten wir bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode vereinbart, dass es einen solchen Prozess geben wird. Die Pandemiesituation hat den Start ein wenig verzögert, denn für uns ist es wichtig, einen sehr partizipativen Prozess in Gang zu setzen. Und partizipativ heißt für mich, möglichst viele Kulturinitiativen aus der ganzen Steiermark miteinzubinden. Es laufen bereits die ersten Gespräche. Heidrun Primas und Werner Schrempf, zwei intime Kenner der heimischen Szene, wurden von mir beauftragt, die Diskussionen zu begleiten und Inhalte zusammenzuführen.
Welche zentralen Themen werden zur Diskussion stehen?
Es gibt keine Beschränkungen und vor allem keine Denkverbote. Die Kulturpolitik der Steiermark soll auf das nächste Jahrzehnt zugespitzt werden; wir wollen überlegen, welche neuen Impulse und welche neuen Institutionen es braucht. Ich möchte wissen, wie es Kulturschaffenden und Kulturinitiativen in diesem Land geht, welche Wünsche es von ihrer Seite gibt, welche Erwartungen sie an eine zeitgemäße Kulturpolitik richten.
Werden Sie auch selbst am Diskussionsprozess teilnehmen?
Im ersten Quartal des nächsten Jahres werde ich eine Tour durch die steirischen Regionen unternehmen, um den partizipativen Charakter des Projektes zu stärken. Ich gestehe, ich habe natürlich vor, auch mich selbst in diesen Prozess einzubringen. Aus allen gesammelten Beiträgen sollen neue kulturpolitische Leitlinien entstehen.
Bis wann sollen die Leitlinien ausgearbeitet sein?
Wir wollen sie Ende 2022 präsentieren können.
Eine der zentralen Fragen wird sein, wofür Kultur in der Steiermark eigentlich steht. Wodurch kennzeichnet sich das kulturelle Potenzial der Steiermark?
Unser Potenzial kennzeichnet sich in aller erster Linie dadurch, dass es überhaupt erst einmal ein großes Potenzial gibt. Das unterscheidet uns von anderen Regionen. Mit Graz gibt es einen Mikrokosmos innerhalb der Steiermark, der im Vergleich zu anderen europäischen Städten in diesem Format eine besonders reichhaltige Kulturszene vorweist – sowohl, was den institutionellen Bereich betrifft, als auch, was die freie Szene und einzelne Künstlerpersönlichkeiten betrifft.
Ende November läuft die Einreichfrist für die kommenden, dreijährigen Förderungen ab. Wird es für den Prozess der Vertragsvergabe Schwerpunktsetzungen geben? Wie viel kann und soll sich mit den nächsten dreijährigen Förderverträgen ändern?
Ich hoffe, dass wir das Gesamtvolumen der mehrjährigen Förderverträge leicht steigern können. Wir sind gerade in der Phase, in der der Call geöffnet ist. Mit Spannung sehe ich den eingehenden Anträgen entgegen und freue mich darauf, mir ein Bild darüber zu machen. Was wichtig ist und bleibt, ist unser hoher Qualitätsanspruch, unser Ziel der internationalen Wahrnehmbarkeit, das Ziel des internationalen Austausches und natürlich auch die im Hintergrund mitschwingende Neugierde für Neues. Das heißt, wir wollen mit den mehrjährigen Förderverträgen Neues ermöglichen, neue Formate sollen entstehen.
Seit Ihrem Antritt als Kulturlandesrat fördern Sie verstärkt das Kunst- und Kulturangebot in den Regionen. Warum ist Ihnen Kultur in den Regionen so wichtig?
Weil dort wirklich gute Kulturarbeit stattfindet. Und weil es immer den Generalverdacht gibt, die Kulturpolitik würde nur auf Graz schauen. So wie wir aus der Steiermark immer den Generalverdacht hegen, die bundesweite Kulturpolitik würde nur auf Wien und Salzburg schielen. Um diese oft geäußerte Vermutung zu zerstreuen, ist es mir wichtig, Initiativen in den steirischen Regionen zu fördern und immer wieder die Regionen in den Mittelpunkt zu stellen. Deshalb war es mir auch sehr wichtig, die Steiermark Schau, neben den Standorten in Graz, mit dem Pavillon ganz bewusst in die Regionen zu tragen.
Vor kurzem ist die Steiermark Schau zu Ende gegangen. Wie gut hat das neue große Ausstellungsformat des Landes in Ihren Augen funktioniert?
Ich bin sehr zufrieden, wie alles funktioniert hat und wirklich froh, dass wir uns dazu entschieden haben, die Steiermark Schau trotz aller Widrigkeiten stattfinden zu lassen. Man darf nicht vergessen, das Projekt ist unter sehr schwierigen Bedingungen gestartet. Die Pandemie hat uns im Griff gehabt, die Eröffnung des Pavillons in Wien fiel dem Ostlockdown zum Opfer. Wir haben mehrere Eröffnungen lediglich im Videostream-Format durchführen können. Aufgrund all dieser Unsicherheiten habe ich mich mit Prognosen und Erwartungen sehr zurückgehalten. Nur einmal habe ich mich dazu hinreißen lassen, meine Erwartungen für ein normales Jahr mit 100.000 Besucherinnen und Besuchern zu beziffern. Und jetzt sind es in einem Pandemie-Jahr – zu Beginn gänzlich ohne Führungen, mit Masken und Abstand, mit getrübtem Städte-Tourismus und fast gänzlich ohne Schul- und Ausflugsgruppen – fast so viele geworden. Nämlich beeindruckende 97.000. Ich denke, damit können wir wirklich zufrieden sein.
Gibt es bereits konkrete Ideen für die zweite Ausgabe?
Wir werden noch im Laufe des Spätherbstes die ersten Überlegungen für die Steiermark Schau 2023 vorstellen. Die Schau soll in Zukunft biennal durchgeführt werden, und es wird jedes Mal ein ganz neuartiges Erlebnis werden.
Eng verbunden, was die Konzeptionierung und die Durchführung der Steiermark Schau betrifft, war das UMJ. Eines seiner Häuser soll spätestens nächstes Jahr eine neue Führung bekommen. Welche Anforderungen stellen Sie an die neue Leitung des Kunsthauses Graz und wo möchten Sie das Haus langfristig sehen?
Tatsächlich ist das Kunsthaus Graz ja ein Joint Venture von Stadt Graz und Land Steiermark. Das heißt, hier wird es, was die Bestellung der neuen Leitung betrifft, auch ein Einvernehmen mit der Stadt Graz geben müssen. Ich habe jedenfalls den Anspruch an das Kunsthaus, dass es wieder mehr internationale Strahlkraft entwickeln muss. Dass es zu jenem Ort in Graz wird, der als natürlicher Heimatort zeitgenössischer Kunst gilt. Das erfordert eine dementsprechende Führungspersönlichkeit. Ich glaube, dass das Kunsthaus Graz von Peter Pakesch auf der europäischen Kunstlandkarte fett eingezeichnet wurde und nun geht es darum, dieser jungen Tradition überzeugend gerecht zu werden. Von den Ergebnissen des Prozesses „Kulturstrategie 2030“ abgesehen – mit welchen langfristigen kulturpolitischen Zielen gehen Sie in die nächsten Jahre? Erstens, die Steiermark Schau muss in ihrer zweiten Ausgabe ähnlich überzeugend werden wie in ihrer ersten. Das ist ganz wichtig. Ich möchte keine zweite „regionale“ erleben müssen, die nach ihrer ersten Ausgabe einfach ausgeebbt ist. Zweitens, auf uns kommen wichtige Bestellungen von Intendantinnen bzw. Intendanten zu. Graz ist mittlerweile ein erfolgreicher Exporteuer von Kulturpersonal. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass die Intendantin der Oper Graz an die Semperoper nach Dresden wechselt oder die Intendantin des Schauspielhaus Graz ans Deutsche Theater Berlin geht. Die Nachbesetzungen müssen wirklich mit Bedacht ausgewählt werden. Drittens, wir werden uns wieder intensiver der Frage widmen, ob Graz eine akademische Ausbildung im Bereich der bildenden Kunst braucht. Ich denke, Graz braucht eine solche. Ich möchte hier etwas weiterbringen. Und viertens, was braucht es, um unsere Festivallandschaft in der Steiermark zu schärfen? Wir müssen offen für Neues bleiben. Ich möchte nicht in die Situation kommen, dass – wenn über Kulturpolitik geredet wird, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war – immer nur von der guten alten Zeit gesprochen wird, „als es noch dies oder jenes gegeben hat“. Im Hier und Jetzt muss Neues entstehen.