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Der doppelte Gast im KULTUM

Barbara Rauchenberger hat das Format „Der doppelte Gast“ entworfen: Ein Archivbild der ersten Lesung von 2019

Um Abschied und Veränderungen geht es bei den Gedichten von Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe, die am 17. Oktober im KULTUM zu Gast sind.

Text: Lydia Bißmann

Die Reihe „Der doppelte Gast“ im KULTUM gibt es seit Herbst 2020. Kuratiert und durchgeführt wird sie von Barbara Rauchenberger, die den Bereich Literatur im Mehrspartenhaus betreut. Sie wird bei der Doppellesung die Vorstellung der Künstlerinnen, Einführung in deren Werk und die Moderation übernehmen. Auch das Konzept stammt aus ihrer Feder: Je zwei Dichterinnen oder Dichter finden sich zu einer gemeinsamen Lesung zusammen, wobei der erste Gast den zweiten vorschlägt. Während der Lesung entsteht dabei ein Dialog, der Gemeinsames oder Trennendes in der vorgetragenen Poesie aufzeigen kann. Zur 9. Ausgabe des poetischen Reigens sind die beiden Berliner Dichterinnen Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe eingeladen. Beide sind Autorinnen und verfügen auch in ihren Zivilberufen über sehr viel Wissen über das menschliche Innenleben. Kathrin Schmidt war, bevor sie sich als freiberufliche Autorin etablieren konnte, als Kinderpsychologin in verschiedenen Polikliniken tätig. Sie schrieb fünf Romane, acht Lyrikbände und erhielt für ihr literarisches Werk zahlreiche Preise. Darunter den Leonce-und-Lena-Preis oder den Lyrikpreis Meran. Birgit Kreipe arbeitet als Psychotherapeutin, Autorin und Übersetzerin von Lyrik in Berlin. 2016 und 2021 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats. 2022 ist sie Stipendiatin der deutschen Akademie Rom, Casa Baldi. Außerdem leitet sie Workshops für junge Schreibende am Haus für Poesie in Berlin.

Birgit Kreipe
Foto: Renate von Mangold

Kerngattung aller Literatur

Die Zeiten, in denen gereimte oder ungereimte Gedichte in Buchform als Massenware verkauft wurden, sind vorbei. Erich Kästners lyrische Hausapotheke aus den 30er-Jahren, wo er seine Verse im Inhaltsverzeichnis bestimmten Lebenslagen zuordnet, beinhaltet vielleicht nicht gerade seine besten Arbeiten. Der Band, der immer noch verlegt wird, bildet aber recht gut ab, worum es bei der Poesie geht. Unter den literarischen Gattungen ist es die Lyrik, die schnell zum Punkt kommt, aber keine Antwort verspricht. Hier kommen sich Gedanke und Gefühl am nächsten. Um ein Gedicht zu lesen, es zu erleben und den Gedanken der Dichter auf die Spur zu kommen, braucht es Zeit und Konzentration. Ein Gedicht kann man nicht querlesen, man kann nichts darin überblättern, hier zählt jedes Wort und jede Interpunktion. Es geht um das Nach- und Einfühlen in den menschlichen Geist, um den Freiraum von Rationalität und Ökonomie, wo man ausatmen und sich verstanden oder auch nur irritiert fühlen darf. Gedichte folgen aber einer Logik und müssen geschrieben funktionieren, was sie vom Trenddichtsport Poetry Slam unterscheidet. Eine Lesung ist ein Erlebnis, das diese ganzkörperliche Funktion um das Hören erweitert, die „einzig verfügbare Versicherung gegen die Vulgarität des Herzens“ (Joseph Brodsky).

Das Ding mit den Kindern

Vom Älterwerden, von Abschieden und Veränderungen handeln die Gedichte in Kathrin Schmidts Lyrikband sommerschaums ernte, der bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist und den sie bei der Lesung im KULTUM vorstellen wird. Liebevoll, selbstironisch und mit sehr viel Witz macht sie sich darin auf die Spuren von Vergänglichkeit, körperlicher und seelischer Art. „…das alter antwortete selbstherrlich, auf jeden versuch, mir meine knochen fünfzehnjährig vorzustellen. nichts blieb mir übrig, als es den mädchen nachzusehen, wie sie perlten.“ heißt es etwa in dem gleichnamigen Gedicht sommerschaums ernte. In dem Poem nach dem trabantentrara geht es um beiderseitige Abnabelung vom Nachwuchs. „es ist zu ende. in gewissem sinne ganz ausgestanden, das ding mit den kindern, die sich aus deinem körper stanzten. sicher, da bleiben löcher, wo sie einst steckten …“. Ihre Wortschöpfungen sind sinnlich, lakonisch, intim und mutig. Sie geben aber auch Mut, denn wenn Altern so tönt, kann es nicht schlimm sein.

Kathrin Schmidt
Foto:Dirk Skiba

Birgit Kreipes jüngster und vierter Gedichtband AIRE liebäugelt offen mit so unterschiedlichen Ursprüngen (aus dem Spanischen, Englischen und Französischen) wie „Luft“, „Fluss“ oder „(Spiel)Platz“. Auf diesem luftigen, blauen Boden entstanden Gedichte, die Veränderungsprozesse zum Thema haben, seien es Umzüge oder Erkrankungen, gesellschaftliche Umbrüche wie die Pandemie, aber auch technische Veränderungen. Als Inspiration für ihre Gedichte dienen für Kreipe aber auch die Schwarz-Weiß-Fotos der New Yorker Künstlerin Francesca Woodman oder die Park-Serie von Gerhard Richter, der dabei Fotografien von Landschaften durch Übermalungen in abstrakte Bilder verwandelt. Daraus entstehen Sätze wie: „ich suche den zweiten park, den man nicht sieht. der puls wird ruhiger dort. engel-fallschirme landen unablässig im laub. der park selbst träumt diesen ort.“ Lyrik ist inzwischen vielleicht eine Orchidee in den Regalen der Buchläden. Sie duftet und blüht aber umso stärker in den Räumlichkeiten des KULTUM.

Der doppelte Gast: Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe
Einführung: Barbara Rauchenberger
KULTUM [Im Cubus], Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz. 17.10.22, 19 Uhr, Tickets: 8/5 €, www.kultum.at

Kunst im Krieg

UNI-Veranstaltungsreihe im WS 2022/23 im KULTUM, Oktober 2022—Februar 2023

Auch im Krieg wird Kunst geschaffen, um die Brutalität des Krieges schonungslos zur Darstellung zu bringen oder in der Gesellschaft ein wirkungsvolles Statement zum Widerstand gegen den Krieg zu setzen. Kunst kann aber auch zu Propagandazwecken instrumentalisiert werden oder kriegerischen Siegen ein glorifizierendes Denkmal geben. Beleuchtet wird der Zeitraum zwischen der Frühen Neuzeit mit den Bauernkriegen, deren Gräuel sich auf den Altarbildern von Jerg Ratgeb widerspiegelt, und dem aktuellen Krieg in der Ukraine mit einer Filmproduktion aus dem Donbas und dem aktuellen Werk der ukrainischen Künstlerin Kateryna Lysovenko.

Francisco de Goya, Que valor! (What Courage!)

Die ersten Termine:

Mi, 12.10.2022, 19 Uhr
Gemaltes Grauen – Jerg Ratgeb in den Bauernkriegen
Vortrag von Rainer Kampling, Berlin.

Mittwoch, 19.10.22 , 19 Uhr
Katrin Bucher Trantow: Auf der Suche nach Frieden – Künstlerischer Widerstand von Yoko Ono, Martha Rosler, Kateryna Lysovenko bis Zentrum für politische Schönheit
Weitere Termine: 9.11., 23.11., 14.12.2022; 11.1., 25.1., 1.2., 8.2.2023

www.kultum.at